Ein Tag im Leben des Zbigniew Hintz

Zbigniew Mentzel auf der Suche nach der Sprache

Von Daniel HenselerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Henseler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zbigniew Mentzel (geboren 1951) war im deutschsprachigen Raum bisher wenig bekannt. Er hat Polonistik studiert und war bis zur Ausrufung des Kriegsrechts im Dezember 1981 Assistent an der Warschauer Universität. Daneben schrieb er für das Wochenmagazin "Polityka". Später arbeitete er beim Exilverlag "Puls" in London. Börsenspekulationen seien seine Haupteinnahmequelle, meldet der Klappentext weiter.

Beinahe dieselben biografischen Elemente konstituieren auch die Vita von Zbigniew Hintz, dem Helden von Mentzels erstem ins Deutsche übertragenem Roman. Die Ähnlichkeit von Namen und Biografie gestattet es, in Hintz ein Alter Ego des Autors zu vermuten. Zbigniew Hintz widerfährt in einem Traum zu Beginn des Romans eine Art Pfingsterlebnis: In einer Vision erscheinen ihm unzählige menschliche Zungen. Von da ist es nicht mehr weit bis zur Sprache: Es folgt eine vergnügliche Abhandlung über Sprache, über Sprechen und Schreiben, über Sprachkompetenz und -inkompetenz, über Sprech- und Schreibblockaden. "Alle Sprachen dieser Welt" ist im Grunde genommen die Geschichte einer immerwährenden Suche nach (der) Sprache, und damit auch ein Entwicklungsroman sui generis.

Den Rahmen des Romans bildet ein einziger Tag, bald 10 Jahre nach dem Ende Volkspolens. Es ist der letzte Arbeitstag von Zbigniews 82 Jahre altem Vater Rudolf Hintz, der immer noch gewissenhaft in der Apotheke eines Krankenhauses seinen Dienst verrichtet, obwohl er schon längst pensioniert sein könnte. Zbigniew Hintz, der die Mitte vierzig überschritten hat, will seinem Vater an diesem Tag bei der Organisation und Durchführung einer kleinen Abschiedsfeier im Spital zur Seite stehen. Später besuchen sie gemeinsam das Grab der Mutter. - Zbigniew selbst ist ansonsten eigentlich ein Tagträumer und Taugenichts, der sich mit Schreiben einigermaßen über Wasser hält - wenn da eben nicht die ständigen Blockaden wären. Mit Börsenspekulationen verdient er jedenfalls ein wenig dazu.

Dieser eigentlich wenig besondere Tag wird jedoch für Zbigniew zum Anlass, um Rückschau auf sein bisheriges Leben zu halten. Und so melden sich immer wieder Szenen aus Kindheit, Schul- und Jugendzeit in seiner Erinnerung. Das Leitmotiv, das diese Rückblenden strukturiert und verbindet, ist immer wieder die Sprache. Der Sprachunterricht in der Schule (damals in Volkspolen bedeutete das natürlich Russisch, aber im Falle des Schülers Zbigniew auch Deutsch) beispielsweise bleibt folgenlos: Hintz tut sich mit fremden Sprachen zunächst ziemlich schwer. Hingegen wird eine alte deutsche Schreibmaschine der Marke "Rheinmetall" für den Knaben Zbigniew zum Gegenstand einer Initiation. Auf diesem Gerät schreibt er nämlich seine ersten Sätze, wenn auch vorerst noch rein "mechanisch", ohne Sinn und Zusammenhang: Noch ist kein neuer Schriftsteller geboren. Die Metallbuchstaben geben außerdem allmählich ihren Geist auf, und ein neues Farbband lässt sich in schwieriger Zeit bald nicht mehr auftreiben. Trotzdem markiert diese Episode eine wichtige Etappe bei der Sprachfindung des Protagonisten. Später studiert Hintz in Warschau Literatur und wird Schriftsteller; zwischendurch hat er unter anderem davon geträumt, Sprecher im Radio oder im Fernsehen zu werden.

Mentzels Buch ist satirisch angelegt, wobei der Ich-Erzähler Hintz einen Großteil der Peinlichkeiten auf seine eigene Kappe nehmen muss. Während aber Hintz auf der einen Seite seine permanenten Misserfolge mit und in der Sprache auflistet, so ist sein virtuoser Bericht darüber andererseits zugleich ein Zeugnis seiner literarischen Kompetenz.

Mentzel fährt mit allerlei amüsanten Szenen und Gesprächen auf. Besonders die Stellen erscheinen besonders gelungen, an denen es um die Poesie geht. Dass diese in einem Roman zu gebührender Ehre kommt, ist ja an und für sich schon selten genug. Zbigniews Mutter Janka beispielsweise war, als sie noch lebte, eine Liebhaberin von Poesie. Sie verehrte Kazimierz Wierzynski, einen Dichter, der in den 1920er und 30er Jahren groß in Mode war. Wierzynski hat Janka sogar einmal "Talent" beschieden, denn diese dilettierte selbst ein wenig in Poesie. - Janka Hintz versucht nun eines Tages, die ungeliebte Mitbewohnerin Wanda Olczak loszuwerden. Man muss sich hierbei vor Augen halten, dass im sozialistischen Polen bisweilen fremde Leute in eine Wohnung einquartiert werden konnten, vom Wohnungsamt zugeteilt, als Maßnahme gegen die Wohnungsnot. Janka stellt sich also vor die Zimmertür der "Untermieterin" und deklamiert laut und auf französisch (!) das Gedicht "Albatros" von Charles Baudelaire. Poesie als Waffe: Leider lässt sich die Gemeinte durch diese machtvolle Demonstration nicht so leicht beeindrucken.

Und noch ein anderes Beispiel: Der Russischunterricht an Zbigniews Schule ist rein fiktiv. Zwar finden die Lektionen durchaus statt: Die Lehrerin betritt das Klassenzimmer und setzt sich an den Schreibtisch, dann verfällt sie jedoch in Lethargie, in der sie bis zum Läuten der Schulglocke verharrt. Die Schüler bleiben derweil sich selbst überlassen, spekulieren aber immerhin, es könnte sich hier um eine gezielte Inszenierung durch die Lehrerin handeln, um eine subtile Sabotage der offiziellen Schulpolitik. Das fordert ihnen zumindest einigen Respekt ab, und am Ende des Schuljahres erfüllen sie der Lehrerin gerne den einzigen Wunsch, den diese je geäußert hat: Sie rezitieren bereitwillig und auswendig deren Lieblingsgedicht von Michail Lermontow. Als Belohnung erhalten sie in Russisch allesamt die Note "sehr gut".

Mentzel parodiert aber auch die sozialistischen Sprachlehrbücher. Ganze Schülergenerationen im kommunistischen Osteuropa haben im Sprachunterricht kuriose "Phrasebooks" mit auf den Lebensweg bekommen, damit sie später mit Ausländern über den Weltfrieden und die Errungenschaften der sozialistischen Staaten kommunizieren können. Das klang dann etwa so: "Wie viel Rente bekommen bei euch Behinderte? - Studieren viele Arbeiter- und Bauernkinder an euren Universitäten? - Ich höre in Polen oft Übertragungen von Opern aus der Scala. Habt ihr diese Möglichkeit auch? - Gibt es bei euch ein Presseorgan der Kommunistischen Partei?" Und dergleichen mehr. Wer hierzulande kurz nach der Wende jungen Reisenden aus dem Osten begegnet ist, die ihre eben gewonnene Freiheit in vollen Zügen genießen wollten, der kennt das urkomische Potential, das in solchen Lehrbüchern steckt und dann bei der ersten Konversation auf ausländischem Boden freigesetzt wird: "Postkutscher, kann ich mich zu Ihnen auf den Bock setzen?"

Zbigniew Mentzel lässt in seinem Roman den Protagonisten nach der Sprache suchen und dabei immer wieder scheitern. Zugleich beweist aber Hintz anhand seines Berichts, dass er die literarische Sprache doch eigentlich meisterhaft beherrscht. Ein in sprachlicher Hinsicht kunstvoller Roman über ein mühsames und dauerndes Ringen um die Sprache: Darin steckt sicher auch eine gehörige Portion augenzwinkernder Koketterie des Autors Mentzel und seines Protagonisten Hintz.


Titelbild

Zbigniew Mentzel: Alle Sprachen dieser Welt. Roman.
Übersetzt aus dem Polnischen von Paulina Schulz.
dtv Verlag, München 2006.
177 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 342324528X

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