Massenvergewaltigungen – ein fester Bestandteil von Kriegshandlungen

Helke Sander und Barbara Johr Begleitbuch zum Film „BeFreier und Befreite“ als Taschenbuch

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1992, vor nun bald schon 15 Jahren, wurde auf den internationalen Filmfestspielen in Berlin Helke Sanders Film „BeFreier und Befreite“ uraufgeführt und damit im seinerzeit erst kurz zuvor wiedervereinigten Deutschland eines der mächtigsten Tabus der beiden vormaligen Teilstaaten gebrochen: das der massenhaften Vergewaltigungen der Befreiten durch ihre Befreier. Nun kann man zu Recht sagen, die eigentlich Befreiten seien nicht die deutschen Frauen (und Männer) gewesen, von denen hier doch offenbar die Rede ist, sondern die jüdischen. Wenn es darum ging, eine Frau zu vergewaltigen, war es Soldaten zumal der Roten Armee aber auch schon mal egal, ob sie eine Jüdin oder eine deutsche Täterin vor sich hatten. „Nix Jüdin – du Frau, ich sehen“, blaffte ein Rotarmist eine eben befreiten KZ-Insassin vor ihrer Vergewaltigung an. Ein Beispiel, das nicht Sanders Film entnommen ist, sondern dem 1993 erschienen Buch „Obszönität und Gewalt“ von Hans Peter Duerr. Doch lässt der Film zahlreiche Frauen zu Wort kommen, deren Vergewaltigungserlebnisse wohl kaum weniger grausam waren.

Bald nach seiner Uraufführung war er nicht nur im Kino zu sehen, sondern wurde auch mehrfach im Fernsehen gezeigt. Nach zunächst überwiegend positiver Aufnahme wurde er im Gefolge zweier Texte aus der Feder Gertrud Kochs heftig kritisiert. Er sei revisionistisch, revanchistisch, antisemitisch und zu alledem viktimisiere er Frauen. Gerade der letzte Vorwurf bewegt sich auf einem schmalen Grat, nicht hinsichtlich der Frage, ob er gegenüber dem Film gerechtfertigt ist, sondern grundsätzlich. Von der Behauptung, vergewaltigte Frauen seien nicht nur Opfer, ist es kein allzu großer Schritt zum allbekannten „selber schuld“, mit den ebenso abstrusen wie sexistischen ‚Begründungen‘ etwa des aufreizenden Verhaltens und des kurzen Röckchens der vergewaltigten Frau – oder sei es auch ‚nur‘ dem Vorhalt, sie habe sich eben nicht richtig gewehrt.

Zum Film erschien seinerzeit ein Begleitbuch, das die Regisseurin gemeinsam mit der Historikerin Barbara Johr herausgegeben hatte. Erweitert um ein „Zuwort zum Vorwort“ hat es der Fischer Verlag nun wieder aufgelegt. Hier lässt sich das inzwischen nicht mehr ganz so unbekannte Grauen, dem die Frauen um das Kriegsende herum in Berlin und anderswo ausgesetzt waren, noch einmal nachlesen. Innerhalb einiger Wochen wurden allein in der Hauptstadt nicht weniger als 100.000 Frauen vergewaltigt. In ganz Deutschland waren es zwischen Dezember 1944 und Winter 1945 etwa zwei Millionen. Dass diese Frauen „Opfer der Rache für deutsche Verbrechen“ gewesen seien, lässt Sander weder als Erklärung noch gar als Rechtfertigung gelten. Solche Bemerkungen dienten vor allem dazu, „Männer zu entlasten“.

Zu recht stellt Ingrid Schmidt-Harzbach in einem der Beiträge fest, dass sich Vergewaltigungen als „fester Bestandteil von Kriegshandlungen“ wie ein „roter Faden“ durch die Geschichte ziehen, und zwar völlig „unabhängig von Nationalität, geographischer Lage, kulturellem Niveau, von Rasse, Klasse, Kaste oder Ideologie“ der Täter.

Weit weniger als über massenhafte Kriegsvergewaltigungen ist hingegen über Massenvergewaltigungen im Zusammenhang mit polizeilichen Großeinsätzen bekannt; eine terra incognita auch für die Forschung. Dass es sie dennoch gibt, war einem Bericht aus der „Frankfurter Rundschau“ vom 12. Juni 2006 zu entnehmen. Anfang Mai war es bei einer Demonstration in einem Vorort von Mexiko-Stadt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen. Im Morgengrauen des folgenden Tages starteten 3.000 Polizisten einen Rachefeldzug, stürmten den Vorort, brachen unzählige Häuser auf und nahmen wahllos Verhaftungen vor. Mindestens 23 Frauen der 200 Verhafteten beiderlei Geschlechts wurden noch am gleichen Tag sexuell misshandelt und vergewaltigt. Erfahren hat man von alledem vermutlich nur, weil unter den Frauen zufällig eine deutsche Studentin war.

Dass das alltägliche Vorkommen von Massenvergewaltigungen in (Bürger-)Kriegen, anders als das – hoffentlich seltene – bei polizeilichen Großeinsätzen heute weithin bekannt ist, ist nicht zuletzt Helke Sanders Film zu verdanken. Ulrich Wickert erklärte es seinerzeit in den „Tagesthemen“ zur Pflicht, ihn anzuschauen. Wer aber den Film versäumt hat, sollte das Buch lesen. Wer ihn gesehen hat, wird es ohnehin tun.

Titelbild

Helke Sander / Barbara Johr (Hg.): BeFreier und Befreite. Krieg, Vergewaltigung, Kinder.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
228 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3596163056
ISBN-13: 9783596163052

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