Literatinnen reflektieren kongenial über Werke verstorbener Kolleginnen

Im dritten Band der Reihe „Autorinnen feiern Autorinnen“ würdigt Julya Rabinowich Mela Hartwig

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der erste Band der kleinen, aber feinen Reihe Autorinnen feiern Autorinnen erschien vor gerade einmal vier Jahren. Er enthielt einen Text von Marlen Streeruwitz über Bertha von Suttner. Bereits dieser erste Band ließ unschwer erkennen, dass man genau eine solche Reihe, in der kluge österreichische Literatinnen kongenial über verstorbene Kolleginnen des Alpenlandes und ihre Werke räsonieren, schon lange vermisst hat – auch wenn einem das vielleicht gar nicht bewusst war. Es ist daher sehr zu wünschen, dass ein entsprechendes Projekt recht bald auch in Deutschland aus der Taufe gehoben wird.

Im jüngsten, dem dritten Band der Reihe stellt Julya Rabinowich Mela Hartwig vor. Die Autorin erkennt in ihr „eine ungezügeltere, exaltiertere und ekstatische Vorgängerin der Elfriede Jelinek, vielleicht eine weniger trocken stilsichere Schwester im Geiste“. Sie nähert sich der zu würdigenden Kollegin sehr poetisch in wohlgewählten Bildern und aussagekräftigen Metaphern. So betrachtet sie Hartwigs zersplitterte Biografie in einem „zerbrochenen Spiegel“, ohne den zweifellos vergeblichen Versuch unternehmen zu wollen, „die herabregnenden Spiegelbruchstücke“ mosaikartig zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Sehr persönlich wird die Autorin, wenn sie ihre eigene Biografie in derjenigen Hartwigs spiegelt. Denn es gibt etliche Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Schriftstellerinnen. Darauf macht Julia Danielczyk die Lesenden bereits im Vorwort aufmerksam.

Reüssierte Hartwig zunächst als Theaterschauspielerin, wählte sie Ende der 1920er Jahre die Literatur als ihr Betätigungsfeld. Schon ihre ersten Werke wurden preisgekrönt. Doch wurde dem Erfolg bald ein Ende gesetzt. Nachdem der Nationalsozialismus sie 1938 gemeinsam mit ihrem ebenfalls jüdischen Ehemann ins Exil gezwungen und so weitgehend der Möglichkeit in ihrer Muttersprache zu publizieren beraubt hatte, verschob sie ihre künstlerische Ausdrucksweise ein weiteres Mal, diesmal hin zur Malerei. Finanziell hielt sie sich nun als Übersetzerin über Wasser.

Von Hartwigs literarische Werken nimmt Rabinowich insbesondere die Erzählungen Das Verbrechen und Der phantastische Paragraph in den Blick und interpretiert sie ebenso einfühlsam wie kenntnisreich. So attestiert sie ihrer Kollegin zweifellos zu Recht eine „analytische, zuweilen grausam genaue Betrachtung der sie umgebenden Welt“, insbesondere „der Welt jener Abgründe und Wunder, die sich zwischen Mann und Frau manifestieren können, aber auch jene der politischen Verhältnisse“. Im literaturwissenschaftlichen Streit um die Frage, ob Hartwigs Frauenfiguren „bloß das Passive, Elende“ des weiblichen Daseins beschreiben oder „feministisch agieren“, schlägt sie sich eher auf Seiten letzterer und merkt differenzierend an, dass „Hartwigs tragische, elende, machtvolle, verführerische und unansehnliche Heldinnen“ ein „Widerspruch“ sind, „und zwar nicht nur sich selbst, sondern vor allem den misogynen Frauenbildern ihrer Zeit gegenüber“.

Auch wenn mit Ekstasen, Das Weib ist ein Nichts und Bin ich ein überflüssiger Mensch? in den letzten Jahren die vermutlich wichtigsten Novellen und Romane dieser ganz außergewöhnlichen Autorin neu aufgelegt wurden und sich dann und wann einmal eine literaturwissenschaftliche Untersuchung mit ihr befasst, beklagt Rabinowich ganz und gar nicht ohne Grund, dass Hartwig „völlig tragisch und zu Unrecht in Vergessenheit geraten“ ist. Daher lässt sich Rabinowichs Anregung nur unterstreichen, Hartwigs neu aufgelegte Bücher zu kaufen oder zu entleihen, „damit Mela Hartwig jenen Platz bekommt, der ihr genommen wurde“. Doch nicht nur um der weithin vergessenen Literatin und ihrer Werke willen sollte man sie lesen, sondern ebenso sehr aus ganz eigennützigen Gründen: Ihre außergewöhnlichen, auch an der Psychoanalyse geschulten Romane und Erzählungen bieten für uns Heutige noch immer eine ebenso unterhaltende wie provozierende, manchmal vielleicht sogar etwas verstörende Lektüre wie vor nunmehr bald 100 Jahren für ihre ZeitgenossInnen. Man wird sie berührt, nachdenklich und sicher nicht ohne Gewinn aus der Hand legen.

PS: In einer Besprechung aus dem Jahr 2005 hat der Rezensent bedauert, dass Hartwigs Nachlassromane Der verlorene Traum (1943/44) und Inferno (1946/48) immer noch der Veröffentlichung harren. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Es verstauben sogar noch zwei weitere Werke Hartwigs unveröffentlicht in den Archiven.

Titelbild

Julya Rabinowich: Julya Rabinowich über Mela Hartwig. In zerbrochenen Spiegeln.
Mandelbaum Verlag, Wien 2017.
72 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783854765486

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