Glühende Marxisten
Brigitte Reimann blickt in „Die Denunziantin“ auf die DDR der 50er Jahre
Von Werner Jung
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNach einigen Wochen des Studiums der Theater- und Filmwissenschaften, einem kurzen pädagogischen Lehrgang für Neulehrer am Institut für Lehrerbildung und ihrer Arbeit als Grundschullehrerin in Burg begann Brigitte Reimann mit gerade einmal 19 Jahren mit der Niederschrift ihres ersten Romans Die Denunziantin. Geschrieben hatte sie schon länger, und jetzt suchte sie den Kontakt zu ihrem Vorbild, der großen Anna Seghers, die sie dann auch ausdrücklich brieflich dazu ermunterte, „eine gewisse Kühnheit“ zu zeigen. Und weiter: „Schreiben Sie nur kein Sonntagsdeutsch, schreiben Sie nur, was Sie wirklich denken und erleben. Schreiben Sie nur kein falsches Pathos und keine gedichteten Artikel.“ Eine Ermunterung, die, wie die Herausgeberin des Romans, Kristina Stella, mehrfach betont, einen großen Eindruck auf die junge Brigitte Reimann hinterlassen habe. Die Beschäftigung und Arbeit mit den Archivalien, deren Auswertung Stella in einem umfangreichen dokumentarischen Teil ihrer Edition mit großem Sachverstand und in minuziöser Detailrecherche ausbreitet, zeigt, dass Brigitte Reimann die erste Fassung (Stella: die Urfassung) zwischen 1952 und 1953 rasch geschrieben hat. Mit dieser Fassung konnte Reimann allerdings bei verschiedenen Verlagen ebenso wenig reüssieren wie mit drei weiteren Überarbeitungen des Romans, die man gewiss mit Stella als „Verschlimmbesserungen“ bezeichnen kann, denn Reimann unternimmt darin den Versuch, sich den ideologischen Maßgaben der jungen DDR-Literatur- und Kulturpolitik anzupassen und eine strahlende sozialistische Heldin zu entwerfen.
Erstmals nun erscheint der Romanerstling Reimanns, die bis zu ihrem frühen Krebstod 1973 ein schmales, aber vielbeachtetes Prosawerk vorgelegt hat (darunter die Romane Ankunft im Alltag und postum Franziska Linkerhand), in authentischer Urfassung im Aisthesis-Verlag. Es geht darin um die 17-jährige FDJ-Gruppenleiterin Eva, die eine Schüler-Laienspieltruppe anführt, die im Begriff ist ein Stück aufzuführen, das den antifaschistischen Widerstand einerseits und seine Entdeckung durch die Nazis andererseits spiegelt. Evas Widersacher ist der Deutsch- und Englischlehrer Sehning, eine überzeugende und charismatische Lehrerfigur, die diese Laieninszenierung als Kitsch, ja – in Andeutungen – das politische Antifa-Engagement als sinnlose Tätigkeit diffamiert. Eva wehrt sich dagegen und ‚denunziert‘ den Lehrer. Sie glaubt, ihn mit seiner defätistischen und antisozialistischen Haltung zu entlarven. Das führt zunächst dazu, dass sich die Klasse zum überwiegenden Teil von ihr distanziert und ihr Freund Klaus sich von ihr trennt. Nur wenige Vertraute halten zu ihr. Doch schließlich wird die Aufführung des Stücks zu einem großen Erfolg, Sehning muss seine Niederlage eingestehen und am Ende sogar in den Westen nach Hamburg übersiedeln. Eva hingegen – in einem als Ausklang bezeichneten letzten Kapitel – geht an der Seite ihres neuen Freundes Georg einer neuen sozialistischen Zukunft entgegen: Sie als angehende Studentin beim DEFA-Filminstitut, er als Student an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Berlin.
Herausgeberin Stella ist Recht zu geben darin, dass Reimanns Roman aus dem üblichen Schema der frühen DDR-Literatur herausfällt, weil ihre ProtagonistInnen, vor allem natürlich Eva, Figuren mit Ecken und Kanten sind – einerseits „glühende Marxisten“, andererseits aber auch – pennäler- und backfischhaft – eigenwillig und störrisch, überaus sinnlich, dann wieder geradezu oberlehrermäßig. Außerdem fallen – kein Wunder bei einer 19-jährigen, die an ihrer Prosa feilen muss – etliche Formulierungen mehr oder weniger deutlich in die Kategorie Kitsch: „Heiliger Ernst schwang in der Stimme des Jungen, und gleich einer starken, steilen Flamme standen seine letzten Worte in der Stille des Saales.“ – „Aus den schrägen, schwarzen Augen strahlte eine wunderbare Glut – nichts von kleinlichem Triumph, nur die große Flamme edler Begeisterung: Wir haben gesiegt!“
Dennoch ist man nach der Lektüre dieses Romans versucht, darüber zu spekulieren, was aus der jungen (dogmatisch unbelasteten) DDR-Literatur hätte entstehen können, wenn ihr nicht Lehrbücher einer marxistisch-leninistischen Ästhetik und restriktive, auf die proletarische Arbeiterliteratur im Stil des BPRS verpflichtete Literaturnormen störend im Weg gestanden hätten.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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