Der Band „Selbstverlust und Welterfahrung“ erforscht die Erkenntnisdimension des Erleidens in Ästhetik, Anthropologie sowie politischer und soziologischer Theorie der Moderne

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Beiträge des Bandes Selbstverlust und Welterfahrung entstammen einem erweiterten Spektrum der Literatur- und Kulturwissenschaften, der Philosophie, Soziologie und Ethnologie. Sie setzen an der ‚Schattenseite‘ moderner Subjektivität und Aktivität an, um Erfahrungen und Erkenntnispotentiale des Selbstverlusts, der Bewusstseinsschwächung und des Kontrollverlusts zu studieren. In den Fokus rückt damit eine bislang weniger beachtete Seite moderner Wissenskultur und Literatur: die pathische Dimension des Erleidens und der Leidenschaften, der Passion und der Passivität.

Die einzelnen Beiträge behandeln zum einen Fragen des theoretisch-methodischen Zugangs zu solchen Fällen von Entmächtigung und Selbstentbundenheit, aber auch der Wiedererlangung von eigenmächtiger Subjektivität. Zum anderen erörtern sie den Konnex von Selbstverlust und Welterfahrung anhand von Fallstudien mit Blick auf die körperlichen, sinnlichen und ästhetischen Dimensionen, die sich an der Schwelle von (Selbst-)Wahrnehmung und Artikulation auftun.

Zu lesen sind im Einzelnen: Bemerkungen zu Praxistheorie und Pathostheorie zwischen Soziologie und Anthropologie (Björn Bertrams), eine Kritik der ökopolitischen Schriften Bruno Latours (Oliver Precht), eine passivitätstheoretische Grundlegung der Sozialwissenschaften mit Helmuth Plessner (Joachim Fischer), Studien über Selbst- und Weltgewinn in Hannah Arendts politischer Theorie (Héla Hecker), über die Denkfigur der ‚Selbstlosigkeit‘ in Psychologie, politischer Theorie und Literatur um 1940 (Sandra Janßen), über Parasitismus und fiktionale Wissenschaft bei Roger Caillois (Elisabeth Heyne), über die vermeintliche Passivität des Hörens im Denken Ulrich Sonnemanns (Martin Mettin), über Selbstverlust als Wissensform bei Antonin Artaud, F. Scott Fitzgerald, Chris Kraus und Paul B. Preciado (Kathrin Busch), über Maya Derens filmethnographische Studien zum rituellen Selbstverlust in Haiti (Michaela Schäuble), über Leid und Leidenschaft in Aby Warburgs Bilderatlas Mnemosyne (Martin Treml), über die Fotografin, Ethnologin, Lyrikerin und Gastgeberin des ersten Treffens der Gruppe 47 Ilse Schneider-Lengyel (Peter Braun), über eine alternative Ethnologie in der Bundesrepublik der 1970er Jahre (Rosa Eidelpes), über ethnographische und rituelle Grenzerfahrungen im Amazonas und in Java (Volker Gottowik), über die Erkenntnisdimension des Selbstverlusts in der Ethnologie (Thomas Reinhardt), über Carlo Levis Kunsttheorie und seine Ethnographie Lukaniens (Rosemary Snelling-Gőgh), über Schamanismus bei Elias Canetti und Ernesto de Martino (Ulrich van Loyen) und über Selbst- und Weltkrisen in Ernesto de Martinos Kulturtheorie (Antonio Roselli).

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Titelbild

Antonio Roselli / Björn Bertrams (Hg.): Selbstverlust und Welterfahrung. Erkundungen einer pathischen Moderne.
Turia + Kant Verlag, Wien 2021.
431 Seiten, 40,00 EUR.
ISBN-13: 9783851329933

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