Harry Potters Siegeszug

Joanne K. Rowling und der Riesenerfolg von Harry Potter

Von Mareile AhrndtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mareile Ahrndt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es hat drei Jahre gedauert. Jetzt kann Joanne K. Rowling den Satz sagen: "Sie will nur Geld." Denn davon hat Rowling mittlerweile eine Menge und deshalb auch Leute im Schlepptau, die ein paar Krumen vom Erfolg abhaben möchten. "My friend Nancy" nennt Joanne K. Rowling ironisch die amerikanische Autorin, die gegen sie vor Gericht wegen geistigen Diebstahls klagt. Nancy hat vor Jahren eine Figur namens Larry Potter erdacht. "Mag sein", kontert Rowling, "aber ich kenne Nancys Buch gar nicht."

Joanne Kathleen Rowlings Held heißt Harry Potter. Er hat sie auf einen Schlag reich gemacht. Genauer: Er hat sie zur drittreichsten Frau Englands gemacht. So schnell, wie man es vermeintlich nur mit E-Commerce, WorldWideWeb und Nasdaq werden kann. Und dann reist da eine Frau durch die Gegend, um aus ihren Büchern zu lesen, und Beobachter fühlen sich an die Begeisterung bei Beatles-Konzerten erinnert. Die meisten Fans können sich daran nicht erinnern, denn sie sind nicht älter als Jahrgang 1986: Rowling hat einen Kinderbuch-Bestseller gelandet.

Das Schreiben selber war kein Schnellschuss: "Ich habe die Ideen für insgesamt sieben Harry-Potter-Bücher gesammelt und dann angefangen zu schreiben", sagt die 34-Jährige auf einer ihrer Pressekonferenzen. Sie versteckt ihr Gesicht zur Hälfte hinter den langen blonden Haaren. Ihr Leben hatte seine Tiefpunkte: Mit 28 stand sie im nasskalten Edinburgh, neben ihr ein Kinderwagen mit einem drei Monate alten Baby darin. Nach einer gescheiterten Ehe mit einem portugiesischen Journalisten kam sie zurück nach Schottland, weil dort ihre Schwester wohnte. Als allein erziehende Mutter, ohne Arbeit, von Sozialhilfe lebend, besann sie sich auf ihre alte Idee, die Geschichte von Harry Potter aufzuschreiben. "Als der erste Band fertig war und ich ihn einem Verlag angeboten habe, hätte ich noch alles unterschrieben, nur damit er gedruckt wird." Rowling unterschrieb und er wurde gedruckt. Ihr Titelvorschlag -"Philosopher's Stone"- verschwand im Orkus der Verkaufsstrategen, sie entwickelten das eingängige "Harry Potter and the Sorcerer's Stone" (auf deutsch erschienen als "Harry Potter und der Stein der Weisen"). Viel mehr tat der Bloomsbury-Verlag nicht für das Buch, das für den Verkauf an Taschengeld-Empfänger gedacht war. Was dann geschah, überraschte das Verlagshaus genauso wie Joanne K. Rowling.

Zuerst bricht in Großbritannien das Potter-Fieber aus. Die ersten drei Bände der Kinderbuchreihe landen ohne große Werbekampagnen in den Bestsellerlisten. Dann setzt "Time" Harry Potter aufs Titelbild. Verhandlungen für den Verkauf in den USA werden geführt. Kaum in den Buchhandlungen, erobert Band eins auch dort die Bestsellerlisten: 40 Wochen hält er sich dort. Am selben Tag, an dem der dritte Band erscheint, gehen von ihm 50.000 Stück über den Ladentisch. Ein globaler Siegeszug nimmt seinen Anfang. Mittlerweile gibt es Harry Potter in 28 Sprachen, weltweit wurden über 13 Millionen Exemplare verkauft. Im letzten Herbst siegt der Hamburger Carlsen-Verlag im Kampf um die deutschen Rechte. Ein lohnender Coup: Der erste Band wurde bisher über 400.000 mal verkauft, die zwei weiteren Bände über 200.000 mal. Band ist im Juli erschienen, und schon jetzt ein Verkaufsschlager: unzählige Vorbestellungen, Startauflage in England eine Million Exemplare, in den USA 3,8 Millionen. Und für den boomenden Hörbuch-Markt sind auch schon die ersten 600 Minuten als Audio Book auf deutsch aufgenommen. Eine Merchandising-Kampagne ist noch nicht angelaufen. Von Bechern bis zu Plüschfiguren ist da noch einiges zu erwarten. Doch vorher zieht Potter größere Kreise. In der 'rollenden ICE-Bibliothek', einer Kooperation von Deutscher Bahn und Stiftung Lesen, landet selbstverständlich auch ein Potter-Band. Wer den Erfolg hat, braucht für die Werbung nicht zu sorgen.

Die erwachsenen Kulturpessimisten kommen an dem Phänomen Harry Potter nicht mehr vorbei. Sie müssen zugeben, dass die Computerkids wider Erwarten doch noch zu Büchern greifen, dass die Bildschirme in den Kinderzimmern tagelang so dunkel bleiben wie die Mächte, gegen die Harry Potter sich zu behaupten hat. Sie müssen wie die verhassten Verwandten, bei denen Harry seit dem Tode seiner Eltern leben muss, einsehen, dass Harry Zauberkräfte hat. Sie müssen registrieren, dass Kinder verzweifelte E-Mails an Harry Potter schicken (www.harrypotter.de), und fragen, wann er endlich wieder ins Zaubererinternat aufbricht: Pro Buch absolviert der Zauberlehrling ein Schuljahr. Seine Fans können mitbibbern, wenn böse Zauberer ihr grausiges Werk vollbringen wollen - und Harry es verhindert.

Denn Harry ist gut. Darauf ist Verlass wie auf den klaren Aufbau der Geschichten. Spannung steht an erster Stelle, ohne öde Belehrung, ohne Wunsch nach einer Aussage. Alle Absurditäten gab es schon einmal: Werwölfe, geköpfte Gespenster, Hexen, fliegende Einhörner. Auch alle bekannten Thriller-Zutaten: Unsicherheit, wer auf welcher Seite steht, Sieg der Charaktervollen, eine kleine Portion Kitsch. Bewährtes und Neues in der richtigen Mixtur - gut ausgeklügelt, kaum aus der Hand zu legen. "Harry Potter" fesselt auch Erwachsene. Warum? Da ist zunächst Rowlings Stil. Der sitzt. Besser kann der Wechsel von wörtlicher Rede und vorantreibender Handlung nicht vollzogen werden. Der kurze Hauptsatz bindet den Leser. Die Wortwahl ist nur bei den Verben variantenreich; sie kümmert sich ganz um das, was geschieht. Nur am Beginn des ersten Bandes geht es etwas langsamer zu. Dort kann ein wenig Literatur aufblühen. "Mr. and Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sie könnten sich in eine merkwürdige und geheimnisvolle Geschichte verstricken, denn mit solchem Unsinn wollten sie nichts zu tun haben." Dieser allererste Absatz zeigt seine Wirkung eben auch beim erprobten Leser: Normalität, Stolz, Geheimnisse - darüber wurde schon manches Buch geschrieben. "Harry Potter" gibt in der Tat eine eigene Antwort. Das Waisenkind, das die Dursleys aufnehmen mussten, stört ihre auf Unauffälligkeit bedachte Existenz. Es wird eiskalt behandelt, muss in einem Schrank wohnen und Tage darin als Strafe verbringen. Eine klare, gute Botschaft: Wer um jeden Preis 'normal' sein will, verlässt schnell die Normen der Menschlichkeit.

Doch wir sind in einem Kinderroman. Harry sitzt im Schrank, weil er die Identifikationsfigur ist. Gemein behandelt, total verkannt, aber der wahre Held. Das nimmt auch den Erwachsenen für Harry ein, und fortan gemahnen Harrys Ängste an die eigenen Kinderängste. Beispiel: Harry sitzt bei der Eröffnungsfeier für das Zaubererinternat, bei der die Schüler in Klassen gewählt werden. "Plötzlich überfiel Harry ein schrecklicher Gedanke, so plötzlich, wie es Gedanken an sich haben, wenn man aufgeregt ist. Was, wenn er gar nicht gewählt würde? Was, wenn er, den Hut auf dem Kopf, eine Ewigkeit lang nur dasäße, bis Professor McGonagall ihm den Hut vom Kopf reißen und erkären würde, offenbar sei ein Irrtum geschehen und er solle doch besser wieder in den Zug steigen?" Ist schon gefühlsmäßig die volle Anteilnahme da, fehlt nur noch das Einhaken in die träge gewordene Fantasie der Erwachsenen. Es gelingt, weil Rowling die reale Welt als Schablone nimmt, die sie dann übermalt. "Mein Name war schon auf der Liste für Eton, müsst ihr wissen, und ich kann euch gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass ich dann doch hierher kam." Die britische Gesellschaft schimmert ebenso hindurch wie die völkerverbindende Suche nach Freundschaften, wie sie (angeblich) auf Internaten gepflegt werden: Deswegen können sich viele Kinder für Enid Blyton begeistern. Doch Rowling knüpft an noch mehr Leseerlebnisse aus der Vergangenheit an. Wer heute die Rezensionen von Tolkiens "Herr der Ringe" durchgeht, bemerkt viele Parallelen in den Lobeshymnen, die da angestimmt wurden.

Und die ja recht bekommen haben. Tolkien ist zu einem der Klassiker der Kinderliteratur geworden. Angesichts der Verkaufszahlen kann man sich kaum vorstellen, dass "Harry Potter" nicht auch einen bleibenden Platz einnehmen wird. Da mit weiteren Auflagen zu rechnen ist, könnten einige Übersetzungsschwächen beseitigt werden. "Es hat nie keinen umgebracht!" ist im Deutschen ebenso unverständlich wie "Beleidigt nie keinen!" Lektorieren könnte man auch Sätze wie "Und auf die Kühler stecken sie kleine Wimpel mit G. W. drauf." " - für Gewaltige Angeber", sagte Fred." oder "Alles dank euch dreien." Stilistische Holprigkeiten wie "ein kräftiger Zweig peitschte ihm todbringend entgegen" zählen wohl zu den Eigenarten der Autorin. Wie die Anflüge von Kitsch: "Blacks ausgemergeltes Gesicht verzog sich zum ersten wirklichen Lächeln, das Harry bei ihm gesehen hatte. Es hatte eine verblüffende Wirkung: als ob ein zehn Jahre jüngerer Mensch hinter der ausgemergelten Maske zum Vorschein käme."

Über all das darf der Erfolg gern hinwegtäuschen. Schwerer wiegt das Menschenbild, das Rowling vermittelt. Es ist mindestens problematisch. In "Harry Potter" sind die Bösen folgerichtig vor allem mit Bosheit ausgestattet. Die Guten aber verachten die Bösen auf eine Art, wie es in herben Thrillern üblich ist: "Harry, diese Kanaille ist der Grund, weshalb du keine Eltern mehr hast," schnarrte Black, "dieses sich windende Stück Dreck hätte auch dich ohne mit der Wimper zu zucken sterben lassen. Du hast ihn gehört. Seine eigene stinkende Haut war ihm mehr wert als deine ganze Familie." Natürlich, der Held Harry übt trotzdem Nachsicht. Aber warum lesen Erwachsene solche Sätze? Nur, weil "Harry Potter" spannend ist. Einen literarischen Wert gibt es nicht. Allerdings sind unzählige spannende Kinderbücher lieferbar, und kein Erwachsener fasst sie je an. Es ist der Medienrummel, der "Harry Potter" zur Ausnahme macht.

Die Frage, was zuerst da war, ist hier eindeutig zu beantworten: Die Begeisterung der Kinder, mit der die Verlage geschickt umzugehen wussten. Erst als die Lawine losgetreten war, kamen die Erwachsenen dazu, die nach all den Teletubbies und Pokemons endlich wieder etwas mit ihren Kindern teilen wollen.

Das führt zurück zu der Geschichte von Potters Autorin. Joanne K. Rowling hat nicht geahnt, wie das Publikum "Harry Potter" aufnehmen würde. Aber sie wollte ihre persönliche Situation verändern. Sie hat ihr Talent erkannt und genutzt. Sie ist ins Geschäft gekommen und tut seither alles, um drinzubleiben. Ihr Agent Christopher Little, ein Vollprofi, führt die Verhandlungen für sie. Er verdient seine Tantiemen nicht damit, die Rechte an die höchstbietenden Verlage zu verkaufen. Auch der deutsche Carlsen-Verlag brachte nicht das finanziell lukrativste Angebot ein. Das Mitspracherecht stimmte, die Zugeständnisse gefielen. Zum Beispiel, dass keine Informationen über Geld, Prozente, Honorare an die Öffentlichkeit dringen. Carlsen ist alles andere als ein Branchenriese; Christopher Little und Joanne K. Rowling müssen nicht damit rechnen, dass ihre Vorstellungen von einem mächtigen Partner missachtet werden. Der Erfolg von Potter soll nicht ein kurzes Feuerwerk bleiben, sondern langfristig am Kochen gehalten werden. Jedes Jahr ein von den Kids schon herbeigesehntes Buch. Wenn die Auflage stagniert, wird die Maschinerie in Gang gesetzt: Nichts, worauf Potter nicht abzubilden wäre. Mütter kennen das von Janoschs Tigerente oder Petterssons Kater Findus.

Rowling profitiert jetzt von ihrem auf Dauer angelegten Konzept. Sie braucht keine schöpferische Pause, um die Strapazen der schnellen Expansion wegzustecken. Ihre Energie packt sie in einen Dreizehn-Stunden-Tag: Interviews geben, Lesungen halten, Schreiben. Von "my secretary" spricht Rowling in jedem dritten Satz - der rote Faden in dieser Geschäftigkeit. Eine gute Chefin weiß das zu schätzen. Besonders eine, die eigentlich nichts aus der Hand geben will. Die sich als One-Woman-Company sieht. Als sie im März in Deutschland unterwegs war, hing Rowling ständig am Telephon, um mit Warner Bros. alle Einzelheiten der geplanten Verfilmung abzusprechen. Aber auf die Frage, wie sie es findet, dass der Carlsen-Verlag jetzt - nach dem vielgekauften Vorbild des britischen Verlags - noch eine Ausgabe für Erwachsene, auf besserem Papier und mit anderem Umschlag, auf den Markt wirft, antwortet sie mit einem Lachen: "Ich finde das total unsinnig." Verhindert hat sie es nicht. Eine Frau, die Geld verdienen kann.

Titelbild

Joanne K. Rowling: Harry Potter und der Stein der Weisen. Aus dem Englischen von Klaus Fritz.
Carlsen Verlag, Hamburg 1998.
335 Seiten, 13,30 EUR.
ISBN-10: 3551551677

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Joanne K. Rowling: Harry Potter und der Gefangene von Askaban. Aus dem Englischen von Klaus Fritz.
Carlsen Verlag, Hamburg 1999.
448 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3551551693

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Titelbild

Joanne K. Rowling: Harry Potter und die Kammer des Schreckens. Aus dem Englischen von Klaus Fritz.
Carlsen Verlag, Hamburg 1999.
352 Seiten, 13,30 EUR.
ISBN-10: 3551551685

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Titelbild

Joanne K. Rowling: Harry Potter und der Stein der Weisen, Erwachsenenausgabe. Aus dem Englischen von Klaus Fritz.
Carlsen Verlag, Hamburg 2000.
335 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3551552002

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