Unterhaltung statt Haltung
Hannelore Schlaffer zeigt in ihrem Essayband „Rüpel und Rebell“ anhand der Figur des Intellektuellen, dass Denken auch ganz körperlich zu verstehen ist
Von Michael Preidel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAller Verachtung für sein Auftreten und allen Grabreden zum Trotz besitzt der Intellektuelle noch immer eine faszinierende Strahlkraft. Ausgehend von seinem ersten Erscheinen während der Dreyfus-Affäre und Émile Zolas Ich klage an beschäftigt er die Öffentlichkeit mit seiner Angewohnheit, Apartes zu denken und zu äußern, bis in die Gegenwart. Er regt immer wieder aufs Neue dazu an, sich mit seiner langen Geschichte auseinanderzusetzen und sich zu fragen, wo und ob man ihm überhaupt heute begegnen kann. Dabei bewahrheitet sich nicht nur, dass Totgesagte länger leben. Es zeigt sich auch, dass weder die soziale Herkunft noch die Ausbildung, sondern die Haltung darüber entscheiden, wer Intellektueller ist und sich als solcher selbst entwirft. Seit jeher kursieren unterschiedliche Vorstellungen von dem, wie er sein soll, und es bestätigen sich mit jedem neuen Beitrag über seine Existenz zwei Dinge: zum einen, dass die Geschichte der Intelligenz – das hat gerade Dietz Bering in seinen Werken eindrucksvoll dargelegt – neben Ideen- immer auch Begriffsgeschichte ist, zum anderen wird mit jedem Werk, das sich mit der Frage, was den Intellektuellen und sein Verhältnis zur Öffentlichkeit auszeichnet, deutlich, dass es immer Vertreter der Intelligenz selbst sind, die sich darüber Gedanken machen.
Einen Beleg für diese Selbstbezüglichkeit des Intellektuellendiskurses liefert auch Hannelore Schlaffer mit ihrem lesenswerten Essayband Rüpel und Rebell. Die Erfolgsgeschichte des Intellektuellen, in dem sich die Literaturwissenschaftlerin den Intellektuellen ausgehend vom Lebensstil nähert. Sie tut das nicht nur als eine Autorin, die bereits mehrfach bewiesen hat, dass sie eine brillante Essayistin ist, sondern auch als jemand, der sich beispielsweise im Zuge des Bauprojekts Stuttgart 21 öffentlich geäußert und Stellung bezogen hat. Ausgehend von ihrer Beobachtung des schlechten Benehmens als charakteristisches Merkmal der Intelligenz interessiert sie vor allem deren Habitus, die Kleidung und nicht zuletzt auch deren Gesten. Ihr Blick reicht dabei weit. Neben einer interessanten Interpretation von Denis Diderots Rameaus Neffe, in der Schlaffer auch aufgrund des körperlichen Umgangs mit dem Denken Vorzeichen für die Geburt des Intellektuellen erkennt, widmet sie sich in ihren Ausführungen zunächst der Streitkultur in den Salons, den Zeitungen und dem Stadtleben. Der Essay endet schließlich auf der Theaterbühne und in den Talkshows der Gegenwart, wo sie im Auftritt des Experten das Ende des Intellektuellen erkennt. Ein Symptom dieser Entwicklung ist für Schlaffer nicht zuletzt das vom politischen Magazin Cicero jährlich neu erstellte Ranking der 500 wichtigsten deutschsprachigen Intellektuellen, in dem ganz im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie die Medienpräsenz als entscheidender Faktor herangezogen wird.
Im Zeitalter des Fernsehens ersetzt die Unterhaltung immer mehr die unangepasste Haltung des Intellektuellen. War der Begriff „Intellektueller“ anfangs noch als Schimpfwort gedacht, das schlechtes Benehmen kennzeichnete, ist er heute eine Auszeichnung für ein großes Maß an Medienöffentlichkeit. Aus dem rüpelhaften Rebellen von damals ist ein populärer Fernseh-Routinier geworden, dem es gelingt, eine Fangemeinde um sich zu scharen und der als Handlungsreisender nur noch in eigener Sache unterwegs ist. Doch mit dieser Diagnose allein gibt sich Schlaffer nicht zufrieden. Sie erkennt im Abschied des Intellektuellen auch die Spuren einer gesellschaftlichen Veränderung. Es ist in ihren Augen der Privatmann, der den Platz des Intellektuellen einnimmt und das schlechte Benehmen salonfähig macht. Der Erfolg sozialer Medien sowie die dort stattfindende Kommunikation, auf die die Autorin in ihrem Essay leider nicht eingeht, gibt ihr bei dieser Beobachtung Recht. Inzwischen kann jeder zu allen Themen etwas beitragen und muss auf keine Diskurshoheit Rücksicht nehmen.
Aus dem Kreis der vielen Beiträge zur Figur des Intellektuellen ragt Schlaffers Essay aber nicht nur wegen dieser Anregung zum Weiterdenken heraus. Der besondere Verdienst ihrer Arbeit zeigt sich gerade dann, wenn sie mit ihren Überlegungen darauf aufmerksam macht, dass neben der Ideen- und Begriffsgeschichte auch der Körperlichkeit von Denken ein besonderer Stellenwert eingeräumt werden muss. Bezogen auf ihren eigenen Beobachtungsgegenstand verpasst sie es dabei als eine von wenigen Autorinnen, die sich mit den Intellektuellen auseinandersetzt, aber leider, neben den rebellischen Männern auch die ebenso agierenden Frauen noch stärker in den Blick zu nehmen. Zwar kommt Schlaffer am Rande auf Personen wie Madame de Staël und George Sand zu sprechen und weiß deren Auftreten zu würdigen, angesichts des speziellen Blicks auf eine Körpergeschichte des Denkens hätte es sich allerdings angeboten, gerade die Frauen noch mehr in den Fokus zu nehmen und ihrer Geschichte bis in die Gegenwart nachzuspüren.
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