Zum Schönen an sich
Die Neuedition des dritten Teils von Arthur Schopenhauers „Vorlesung über Die gesamte Philosophie“
Von Maximilian Huschke
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas universitäre Intermezzo Schopenhauers 1820 dürfte nicht zuletzt wegen des kurzen Disputs mit seinem oft von ihm mit Polemik bedachten Kollegen Hegel nicht unbekannt sein. Dass die von Schopenhauer in den beiden Semestern gehaltenen Vorlesungen über Die gesamte Philosophie nicht früher als 1913 erstmals vollständig transkribiert und seither nicht wieder in einer textkritischen Ausgabe publiziert wurden, spricht dabei nicht gegen Schopenhauer, vielmehr gibt es einen Eindruck von der generell schlechten editorischen Situation seines Werkes. Dass die Vorlesungen inhaltlich wie strukturell deutliche Ähnlichkeiten mit dem erstmals ein Jahr zuvor erschienen Hauptwerk Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung aufweisen, mag besonders dann ersichtlich sein, wenn man in Rechnung stellt, dass er selbst meinte, den „Hauptzweck“ seines Lebens erreicht zu haben, und dass Werk wie Vorlesung „die gesammte Philosophie, d.i. die Lehre vom Wesen der Welt und dem menschlichen Geiste“, in toto verhandeln.
Im dritten Teil dieser Vorlesung, der dementsprechend konsequent als dritter Band der Studienausgabe von Daniel Schubbe im Felix Meiner Verlag herausgegeben wurde, soll die „Metaphysik des Schönen“ Thema sein. Die wiederum sei dabei aber nicht zu verwechseln mit der Ästhetik, verstanden als „Regeln der Technik der einzelnen Künste“, verhalte sich vielmehr zu ihr wie die „Physik zur Metaphysik“. Es soll also nicht darum gehen, wie ‚Schönes‘ oder wie etwas ‚schön‘ wird, sondern darum, „was das Schöne an sich sei, d.h. was in uns vorgeht, wenn uns das Schöne rührt und erfreut“, und wie „der Zweck der Kunst überhaupt“ sein muss, um derart rühren und erfreuen zu können. Zentral für Schopenhauer ist dabei, ausgehend von Kants Bestimmung des Schönen als „interesselosem Wohlgefallen“, dass die „Freude am Schönen […] stets in der blossen Erkenntniss, ganz allein und rein“, liegt. Sie ist also „völlig uninteressirt“, damit strikt vom „Angenehmen“ oder „Nützlichen“ zu unterscheiden, weshalb sie auch niemals mit dem Begriff des Genusses erfassbar ist, und sei folglich ebenso eine „willenlose“ Erkenntnis, da ihre Objekte ohne „einen Bezug auf unsre persönlichen Zwecke, d.h. auf unsern Willen“ auskommen. Indem die Freude am Schönen als bloßer Erkenntnis von dieser Erkenntnisweise bedingt ist, stellt sich Schopenhauer die Frage, wie wir dazu kommen, derart zu erkennen. Die nicht von allen geteilte, aber von Schubbe ins Vorwort eingebrachte These, Schopenhauers Philosophie als eine „Morphologie von Erkenntnisformen“ zu lesen, zeigt hier also insofern Evidenz, als die Metaphysik des Schönen dieses als „eine ganz besondre Erkenntnissart“ verhandelt, die die Dinge „als die in ihnen sich zeigende Idee“ (Schubbe) auffasst. Schopenhauers Antwort auf die selbstgestellte Frage, wie das Kantische „interesselose Wohlgefallen“ möglich sei, besteht also darin, „daß die Idee das willensreine Subjekt des Erkennens zum Korrelat hat“, wie er in den Parerga und Paralipomena erläutert. Dass wir einen „Gegenstand schön nennen“ meint dann, „dass er Objekt unsrer ästhetischen Betrachtung ist“ und wir uns selbst insofern erstens „nicht mehr bewusst sind als Individuen“, sondern vielmehr als „reine[s] willenlose[s] Subjekt des Erkennens“, und zweitens, „dass wir im Gegenstande nicht das einzelne Ding, sondern eine Idee erkennen“. Nur im Schönen also ist diese Erkenntnis der Ideen möglich, weil nur die ästhetische Betrachtung sich von der Bedingtheit durch den Satz vom Grund, der die Erscheinungswelt von den Ideen trennt, zu befreien vermag. Daraus folgt für Schopenhauer einerseits, dass grundsätzlich „jedes vorhandene Ding schön“ ist, weil in ihm eine „bestimmte Stufe der Objektität des Willens, also eine Idee“ erscheint, und anderseits ergibt sich eine gewisse Ordnung des Schönen, die eben diesen Stufen entspricht. ‚Schöner‘ ist damit je, was „die rein objektive Betrachtung erleichtert“ und dessen uns ansprechende Idee „eine hohe Stufe der Objektität des Willens sei, und daher durchaus bedeutend und vielsagend sei“. – Kurz: Ist der Mensch Objekt der Kunst, bedinge das tendenziell eher eine ästhetische Erkenntnisweise als wenn es die Materie selbst ist; Historienmalerei und Skulptur als unmittelbar anschauliche Darstellung des Menschen als höchstem Grad der Objektität des Willens sind schöner als Werke der Baukunst, weil deren Objekt die „allgemeinsten Qualitäten der Materie“ als „schwächste Objektität des Willens“ ist. – Adornos Bemerkung, dass diese „Wendung zum Objekt […] gekoppelt mit Banausie“ sei, ließe sich dahingehend spezifizieren, dass eine solche Hierarchie des Schönen heute suspekt sein muss. Schopenhauers Überlegungen im Anschluss an die Kantischen Bestimmungen des Schönen hingegen, die in der Zuspitzung auf das darin liegende utopische Moment, dass allein ästhetischeErkenntnis „uns ein Beispiel giebt, von der Möglichkeit eines Daseÿns, das nicht im Wollen besteht, wie unser jetziges“, und also ein Bild der Freiheit von Leid zu geben vermag, sind ohne Zweifel wert, bedacht zu werden.
Es ist vermutlich eine Aufgabe eigenen Typs, Manuskripte zu edieren, deren Autor seinen „Fluch über jeden“ aussprach, der bei deren Publikation „irgend etwas daran wissentlich ändert, sei es eine Periode, oder auch nur ein Wort, eine Silbe, ein Buchstabe, ein Interpunktionszeichen.“ Doch wäre Schubbe wohl nicht nur dieser Fluch, sondern auch der Spott über „Universitäts-Philosophie“ und „Kathederphilosophen“ Schopenhauers sicher. Statt sich von derlei Urteilen des Autors, dem er doch ein gewisses Maß Arbeit gewidmet hat, beirren zu lassen, hat er mit der vorliegenden Edition den Versuch unternommen, eine „gut lesbare“ und trotzdem textkritische Ausgabe vorzulegen. Diesen editorischen Spagat versucht er zu meistern, indem er erstmals seit der Edition Franz Mockrauers 1913 wieder eine Transkription vorlegt, dieser eine Markierung aller aufgrund einer „Vielzahl von Kontraktionen, Abbreviaturen und Ligaturen“ möglichen Varianten im Fußnotenapparat beifügt, die Zitate in nachgestellten Anmerkungen übersetzt und präzise Verweise gibt und versucht, die internen Werkverweise vollständig aufzuschlüsseln. Besonders die Transparenz hinsichtlich möglicher zu lesender Varianten von Abkürzungen ist als Grundlage verschiedener Interpretationen, vornehmlich, wenn es um die Frage geht, ob „r.S.d.E“ nun reines Subjekt des Erkennens oder der Erkenntnis heißt, hilfreich. Dass die Ausgabe hingegen zugunsten der Lesbarkeit unterschiedliche Unterstreichungen nur kursiv setzt, die unterschiedlichen Formen der Abkürzung durch Punkt oder Doppelpunkt genauso wie Bindestriche und Anführungszeichen vereinheitlicht und darüber hinaus stillschweigend Punkte ergänzt und die zwei Spalten des Manuskripts tilgt, in denen Entwurf und Ergänzungen bzw. Verweise und Einfügungen separiert waren, verunmöglicht es der Ausgabe, einen Eindruck von der Arbeitsweise Schopenhauers wie dem geborgenen Material selbst zu geben. Der Verzicht auf die Darstellung gestrichener Passagen ist dabei zusätzlicher Verlust. Doch schließlich zielen diese Verwürfe alle auf eines: dass es sich bei der von Schubbe vorgelegten Edition um keine historisch-kritische handelt, deren Notwendigkeit ebenso einsichtig wie ihre Nichtexistenz unverständlich ist, und sie sollen nicht darüber täuschen, dass es sich bei Schubbes wohl um die bestmöglich textkritische Leseausgabe handelt, sieht man von der fehlenden Darstellung von Streichungen einmal ab.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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