Die Welt von morgen, wie sie heute schon ist
Markus Metz und Georg Seeßlen zeigen in „Schnittstelle Körper“, was es für unsere Individualität und unser gesellschaftliches Zusammenleben bedeutet, wenn der Mensch zum Cyborg wird
Von Sebastian Meißner
Die Entwicklung ist so rasant, dass selbst diejenigen, die das Davor noch kannten, sich kaum mehr daran erinnern können. Wir kaufen, informieren und verlieben uns digital. Der digitalisierte Kapitalismus verändert unsere Individualität, unsere Gesellschaftlichkeit und unsere Seele, unsere Kultur. Es sind Veränderungen im Kleinen wie im Großen. Veränderungen, die wir bei uns und anderen bemerken, deren Ursachen und Wirkungen wir aber kaum abschätzen können. Nur eines ist klar: Der Wandel geschieht. Und er betrifft alle Bereiche des Lebens: Geburt, Liebe, Tod, Arbeit, Kommunikation, Gemeinwesen, Politik, Krieg.
Wearables, Drohnen, künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge, Big Data, E-Learning, die Quantifizierung des Sozialen oder Bodyfitness: Markus Metz und Georg Seeßlen zoomen in ihrer Studie Schnittstelle Körper ganz nah heran an die Merkmale, die den radikalen Umbau des Menschen am deutlichsten zeigen.
Uns interessieren hier die kleinen Veränderungen: die Auswirkungen all dieser selbstverständlichen, nützlichen und erschwinglichen Technologien, die wir in den Händen oder sonst wo am Körper mit uns herumtragen, die unser Leben so bequem und sicher machen wollen, die uns „Fit machen“ sollen für den Wettbewerb und uns immerwährenden Spaß versprechen
heißt es im Vorwort dieses rund 400 Seiten starken Buches, das diese Entwicklung zwar kritisch betrachtet, sich aber ausdrücklich von Kulturpessimismus und Nostalgie distanziert. Kein moralischer Zeigefinger also, keine Moralkeule, sondern der Versuch, das Alltägliche und Selbstverständliche besser zu begreifen. Und das heißt: Wir sind bereits Cyborgs, eine Annäherung von Mensch und Maschine, die nächste Evolutionsstufe, das Next Level. Schlimm sei nicht, so die Autoren, dass sich etwas verändere, sondern dass sich die Dinge ändern, ohne dass sich zugleich ihr Bewusstsein verändert.
Im ersten Kapitel „Backstory“ widmen sich die Autoren der Frage, was bisher geschah. Dort beschreiben sie die Computerisierung des Alltags anhand einiger Meilensteine. Im zweiten – „Mein wunderbarer Digitalalltag“ – wenden sie sich dem Hier und Jetzt zu. In diesem Kapitel werden unter anderem der mitdenkende Kaffeeautomat, der Kopfhörer, die Gamification der Welt, das Smartphone, die digitalisierte Küche, Bildschirmhopping und Drohnen, Superwaffen sowie Minispielzeug thematisiert. In ihrer Fülle zeichnen diese Themen ein Bild von der Gegenwart, das noch immer wie Science-Fiction anmutet, unseren Alltag aber längst erreicht hat. Den Autoren gelingt es nicht nur, die Technologien zu erklären, sondern vor allem auch ihren Nutzen und ihre Risiken aufzuzeigen. Denn bei aller Fokussierung auf das Neue – auch das machen diese Texte klar – blieb uns keine Zeit, uns von den Dingen zu verabschieden, die uns verlorengegangen sind. Kapitel drei „KulturtechnikenReloaded“ behandelt Big Data und Selbst-Quantifizierung, Digital Brainwashing und Maschinensprache. Es ist dieser Abschnitt, der am ehesten Angst vor der sich vollziehenden Metamorphose schürt. Denn was passiert eigentlich mit einer Gesellschaft voller Individuen, die das Universum als um sich drehend begreifen? Was geschieht mit einer Gesellschaft voller Menschen in Filterblasen, die keine Schnittmengen haben? Und vor allem: Was geschieht mit einer Gesellschaft, die auf Effizienz getrimmt ist, ihre Kultur aber dafür aufgegeben hat? Fragen wie dieser wird im letzten Kapitel „Das Ding an meinem Körper frisst mich auf: Ein kritischer Abschluss“ nachgegangen. Hier kommen die Autoren zu einer Art Fazit, das Hoffnung gibt.
Die Digitalisierung des Menschen ist eben beides: Fluch und Segen. Das Ziel muss es sein, ein „kultivierter Cyborg“ zu sein. Der Umgang mit Künstlicher Intelligenz, das Ende der freien Marktwirtschaft oder der digitalisierte (Schein-)Körper sind Themen, die auf uns warten und denen wir uns mit vollem Bewusstsein widmen müssen. „Der Kern der Umwandlung des Menschen in der Welt von Wearable Technology, Smart Homes und Industrie 4.0 besteht in einer direkten Verknüpfung des Subjekts mit dem zirkulierenden Kapital“, schreiben die beiden Autoren in ihrem vorläufigen Resümee. Die Bewusstmachung dieser Tatsache – und damit ein großer Schritt hin zur Handlungs- und Mitgestaltungsfähigkeit – gelingt Metz und Seeßlen mit diesem Buch.
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