So nah und doch so fern
Annette Mingels erzählt in „Der letzte Liebende“ vom geteilten Unglück einer Ehe und spätem Glück nach dem Tod
Von Stefanie Steible
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn Der letzte Liebende porträtiert Annette Mingels ihre Hauptfigur Carl Krueger. Der emeritierte Chemieprofessor führte jahrzehntelang eine für beide Seiten unglückliche Ehe mit seiner Frau Helen. Er, weil er sie immer wieder mit zunehmend jüngeren Studentinnen betrog und dabei seine Position an der Universität scheinbar schamlos ausnutzte. Sie, weil sie es in den all den Jahren trotz mehrerer ernsthaften Versuche nicht schaffte, sich von ihrem untreuen Ehegatten zu befreien.
Auch von außen betrachtet, sowohl für die eigene Familie und die Adoptivtochter Lisa als auch den Freundes- und Bekanntenkreis, war die Beziehung mehr von Dramen und Betrug geprägt als von schönen Momenten. Innerlich aber versuchten es die beiden immer wieder miteinander, doch war dies nie von dauerhaftem Erfolg gekrönt, mal weil die eine sich wieder zurückzog, mal weil der andere einer neuen Versuchung erlag. So verbrachten sie nahezu 60 Jahre miteinander. „Sie hatten beide immer getan, als gäbe es eine zweite Chance. Als wäre dieses Leben die Generalprobe fürs nächste. Jetzt war es vorbei, die eine Möglichkeit vertan, und es war seine Schuld, das wusste er.“
Richtig bemerkt dies Carl erst mit Helens Erkrankung. Jetzt erkennt er, wie fern er ihr ist und dass er ihr selbst in ihren schwersten Minuten keine Hilfe sein kann, geschweige denn in ihrer Nähe willkommen ist. Als sein früherer Kollege Trevor dann auch noch einen Roman veröffentlicht, der zwar nicht komplett biographisch ist, aber sich dennoch eng an Carls Leben anlehnt, fühlt er sich fast beleidigt und kann dem unsympathischen Typen, der hier dargestellt wird, nichts abgewinnen. So sagt er ihm direkt ins Gesicht: Und ich habe dich dazu inspiriert, weil du mich nicht magst.“ Trevor zeigt mit seiner Antwort die schwierige Beziehung zwischen Carl und seiner Umwelt: „Nein… Ich glaube, es ist eigentlich etwas anderes. Ich konnte deine Leichtigkeit nicht ertragen.“ Und diese wenigen Worte lösen bei Carl aus, dass „… in ihm etwas zerbrach: Eine Überzeugung, die er bislang nicht hatte infrage stellen müssen.“
Mit dem Tod von Helen ergeben sich neue Chancen für Carl. Er fragt sich zunächst, ob er in diesem Jahrhundert überhaupt angekommen ist, nimmt aber nach einer Phase von Schock und Stillstand die Aufforderung seiner Tochter an, mit ihr in seine alte polnische Heimat zu reisen und seine Wurzeln zu suchen. Begleitet von Lisas Sohn Jason machen sich die drei auf eine Reise, auf der er seinen Bruder das letzte Mal sehen wird, vieles wiederfindet, was er schon vergessen hatte, selbst einen Herzinfarkt erleidet, aber sich auch seiner Tochter wieder annähert. Ein innerer Konflikt entsteht in ihm, der sich vielleicht in seinem Leben nicht mehr vollständig auflösen wird. Doch Carl lernt, dies zu akzeptieren und als Teil seines Lebens anzusehen.
Zurück in den USA beginnt er, Frieden mit sich und er Welt zu schließen. Es entsteht eine innere Ruhe in ihm, die ihm fortan das Glück schenkt, das er vorher nicht finden konnte. Schließlich verleiht es ihm auch die Gewissheit, dass es im Leben nicht darauf ankommt, alles richtig zu machen. Wahrnehmen kann er dies erst, als ihm der Verlust von Helen richtig bewusst wird. Er muss sich eingestehen, dass er nie aufgehört hatte, sie zu lieben.
Und auch die Hoffnung, sie eines Tages zurückgewinnen zu können, hatte er nie ganz verloren. Bis jetzt. Er schaltete die Lampe aus. Die Dunkelheit schien allumfassend…ein Gefühl des Verlustes überkam ihn, eine Hoffnungslosigkeit, nicht unähnlich dem Gefühl, das ihn als Kind manchmal befallen hatte, wenn sein Vater nach einem seiner seltenen Besuche in Windisch wieder abgereist war.
Annette Mingels beschreibt mit vielen Bildern, einer gewissen Lakonie und hoher Detailtreue die innere Zerrissenheit, die Carl so sehr prägt. Sie zeigt auch auf, wie schwierig es ist, sich in einer Welt zurechtzufinden, die sich weiterdreht und in der es Carl nicht immer gelingt, seinen Platz richtig zu identifizieren. Erst spät schafft er es, das anzuerkennen, wonach er vielleicht ein Leben lang gestrebt hat und auch das kleine Glück des Moments als großes Ganzes wertzuschätzen.
Ein anrührender Roman ist Annette Mingels hier gelungen, der ein wenig Melancholie, aber nie Trauer verbreitet, weil es der Autorin gelingt, den Situationen das Positive abzugewinnen. Das schafft sie auch, weil sie diese immer aus Sicht der verschiedenen Beteiligten betrachtet und nicht nur von einer Seite.
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