Sterben für Deutschland?
Nach dem Showdown im Weißen Haus – Wer soll unser Land mit Waffen verteidigen?
Von Dirk Kaesler
und Stefanie von Wietersheim
Rätsel des Lebens, Abteilung Verteidigungspolitik in Zeiten von Donald Trump, 2. Amtszeit. Warum, um Himmels willen, spüren wir nach dem verbalen Angriff des amerikanischen Präsidenten Trump auf Wolodymyr Selenskyj vor laufenden Kameras am 1. März 2025 einen solch tiefen Schock? Die Antwort ist eigentlich einfach: Weil unser großer demokratischer Verbündeter, die USA, plötzlich die Seiten gewechselt zu haben scheint – und wir Angst haben, als Bewohner in der Mitte Europas von den Russen angegriffen zu werden. Wir können nicht glauben, dass der amerikanische Präsident, der eigentlich als sogenannter Führer der sogenannten Freien Welt gilt, den Angreifer und Kriegsverbrecher Vladimir Putin in Moskau in Schutz nimmt, die europäischen Staaten beschimpft und droht, aus der NATO auszusteigen. Wir warten schon auf den worst case: dass sich Trump als autokratischer Bruder im Geiste auch formal mit Putin verbündet und wir in Europa eingeklemmt sind zwischen zwei Feinden, die unsere Werte, Wirtschaft und existentielle Sicherheit bedrohen. In unseren Familien sind über Generationen hinweg die Schrecken des Zweiten Weltkriegs noch zu lebendig, als dass wir diese Szenarien uns nicht in den düstersten Farben ausmalen würden.
Aber warum spüren wir angesichts der weltpolitischen Entwicklungen keinen ernsthaften Willen zur Verteidigung Deutschlands? Warum werden diejenigen, die vor der Gefahr einer Invasion Deutschlands durch Streitkräfte der Russischen Föderation warnen, als Kriegstreiber denunziert? Und: Wer würde heute für die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland mit einer Waffe in der Hand bewusst sein Leben einsetzen? Jetzt, da so laut gefordert wird, dass „wir“ verteidigungsbereit sein müssen. Manche geben sogar die Parole aus, dass wir „kriegstüchtig“ werden müssen.
Dafür haben wir doch die Bundeswehr, werden manche aus unserer Leserschaft sagen. So, wie wir die Feuerwehr haben für die Bekämpfung von Gefahren durch Feuer. Wofür gibt es denn die Feuerwehr? Fragen wir „Die Sendung mit der Maus“:
Retten, löschen, bergen, schützen. Das sind die wichtigsten Aufgaben der Feuerwehr. Dafür brauchen die Feuerwehrleute jede Menge Wasser, große Fahrzeuge, eine gute Ausrüstung und viel Erfahrung im Umgang mit Feuer.
Interessanterweise existiert keine einzige „Sendung mit der Maus“, die der Frage nachgeht: „Wofür gibt es die Bundeswehr?“ Es gibt jedoch eine gute Ausgabe „Der Krieg in der Ukraine“, auch wenn diese inzwischen sehr veraltet wirkt. Wir empfehlen sie dennoch, zum gemeinsamen Sehen mit Kindern.
Warum gibt es keinen Bundeswehr-Check?
Unter den bisher 168 Folgen der beliebten Kinderwissenssendung „Checker Tobi“ gibt es keine einzige, die sich mit der Bundeswehr beschäftigt. Seit 2013 machte Checker Tobi Krell – inzwischen verstärkt durch „Checkerin“ Marina Blanke – einen Polizei-Check, Feuerwehr-Check, Seenotrettungs-Check, Bergwacht-Check, aber niemals einen Militär-Check. Nicht einmal in der grandiosen Folge „Leben-und-Sterben-Check“ wird vom Sterben von Soldatinnen und Soldaten berichtet. Dabei beteiligt sich seit 1992 die Bundeswehr an kriegerischen Auslandseinsätzen. Seitdem sind 119 deutsche Soldaten im Einsatz und in anerkannten Missionen ums Leben gekommen. 37 von ihnen fielen in Gefechten oder wurden bei Anschlägen getötet. Der bislang höchste Blutzoll war in Afghanistan zu beklagen: 60 deutsche Soldaten verloren in Folge dieses Einsatzes ihr Leben, davon fielen 35 durch Fremdeinwirkung. In Bosnien-Herzegowina und im Kosovo starben insgesamt 49 Bundeswehrangehörige. Wir bezweifeln, dass diese Zahlen im öffentlichen Bewusstsein sind.
Da uns das Fernsehen nicht hilft, blättern wir im „Klexikon“, dem Lexikon für Kinder. Auf die Frage „Was ist der Auftrag der Bundeswehr“ antwortet es:
Die Bundeswehr verteidigt Deutschlands Souveränität sowie das Staatsgebiet und schützt seine Bürger. Sie trägt außerdem dazu bei, Staat und Gesellschaft widerstandsfähig gegen äußere Bedrohungen zu halten und handlungsfähig zu bleiben. Die Bundeswehr hat aber auch den Auftrag, Deutschlands Verbündete zu schützen.
Was uns auffällt: Es ist nie von Menschen die Rede, es geht immer nur um die Institution Bundeswehr. Bei der Feuerwehr lesen wir von Feuerwehrleuten, bei der Polizei lesen wir von Polizistinnen und Polizisten, aber bei der Bundeswehr werden die Worte Soldatin und Soldat vermieden. Ist das Kindern nicht zumutbar, dass es Erwachsene gibt, die beruflich unser Land mit ihrem Leben verteidigen? Dass manche dabei um Leben und Gesundheit kommen?
Wenn ein Polizist in Ausübung seines Dienstes getötet wird, sehen wir öffentliche Trauerzüge und Trauerbeflaggung. Als die letzten 264 deutschen Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan am 30. Juni 2021 auf dem Fliegerhorst Wunstorf landeten, wurden sie vom Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Erich Pfeffer, empfangen. Vertreter des Bundestags, also die Auftraggeber unserer Parlamentsarmee, waren nicht zugegen. Tatsächlich war kein Politiker gekommen, kein Angehöriger der Bundesregierung, der Bundespräsident auch nicht, niemand. Die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer war wegen einer Auslandsreise verhindert.
Was macht die Bundeswehr?
Fragen wir die Homepage des Bundesministeriums der Verteidigung nach den Aufgaben der Bundeswehr:
Wie heißen die vier Aufgabenbereiche der Bundeswehr? Sie unterteilen sich in die vier Teilstreitkräfte: Heer, Marine, Luftwaffe und CIR (Cyber- und Informationsraum) sowie den Unterstützungsbereich, der die Teilstreitkräfte bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mit knappen militärischen Fähigkeiten wie etwa Logistik oder Sanität ab April 2025 unterstützt.
Auch hier keine Erwähnung von Menschen. Welches Kind wird an uniformierte Mitmenschen denken, wenn es um „Teilstreitkräfte“ geht? Kinder und Jugendliche sehen kaum Uniformen auf den Straßen, manchmal sehen sie in den öffentlichen Verkehrsmitteln Menschen in ihnen unbekannter Gewandung. Flüsternd erklärt man den Kindern, dass das weder Feuerwehrleute noch Polizisten sind, sondern Soldaten. „Ja, sogar die Frau da drüben, mit dem langen, blonden Pferdeschwanz, den Perlensteckern und den geschminkten Lippen.“ Wir kennen hohe Offiziere, die ihre Wohnungen in Zivilkleidung verlassen, ihre Uniform wartet auf sie in den Diensträumen. Dort bleibt sie auch, wenn es wieder nach Hause geht. Kinder in Deutschland sehen mehr Postbotinnen und Postboten in Dienstkleidung als Angehörige der Bundeswehr. Woher sollen sie wissen, dass „die Bundeswehr“ aus Menschen besteht? Woher sollen sie erfahren, was diese Menschen in den Kasernen machen, die mit hohen Mauern umgeben sind?
Was machen Soldatinnen und Soldaten?
Seit drei Jahren fragen Kinder, was im Krieg in der benachbarten Ukraine passiert. Sie kommen nicht umhin, auf Fernsehbildern zu sehen, wie Menschen mit geschminkten Gesichtern, in eigenartigen Klamotten, mit seltsamen Kopfbedeckungen und allerlei unbekannten Objekten in ihren Händen durch Trümmerlandschaften stapfen. Oder auf dem Bauch liegend im Gras und durch Wälder robbend. Oder sie sehen, wie Raketen in die Luft geschossen werden, wie Panzer sich durch Schlamm pflügen oder wie Drohnen durch Schüsse vom Himmel geholt werden. Und neben all den Fahrzeugen und Maschinen sind es Menschen, die man in heftiger Aktion sieht. „Was machen die da? Was sind das für Leute? Und warum machen die das? Das ist doch gefährlich, oder? Andere Menschen erschießen ist doch böse, oder?“
Was hat die Politik mit der Bundeswehr vor?
Nun leben wir in Zeiten, in denen fast alle politischen Parteien im soeben beendeten Wahlkampf in ihren Wahlprogrammen gefordert haben, die Verteidigungsfinanzierung und damit auch die Personalstärke der Bundeswehr signifikant zu erhöhen. Einzig die Partei Die Linke forderte Abrüstung und den Rückzug aus allen Auslandseinsätzen. Die Notstandsgesetze, die den Einsatz der Bundeswehr im Inneren ermöglichen, sollten nach ihrem Wunsch aufgehoben werden. Außerdem plant diese Partei einen Austritt aus der NATO, dem politisch-militärischen Bündnis, dem 32 Mitgliedstaaten überwiegend aus der westlichen Hemisphäre angehören. Langfristig verfolgt Die Linke das Ziel eines Deutschlands und Europas ohne Armeen.
In allen übrigen Wahlprogrammen wurde der Ausbau der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands versprochen. Die SPD setzte auf eine nachhaltige Verteidigungsfinanzierung in Höhe von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und eine Modernisierung. Sie will die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiver machen. Dazu zähle die Vereinbarkeit von Familien und Dienst ebenso wie die weitere berufliche Perspektive im öffentlichen Dienst. CDU/CSU wollen die Bundeswehr langfristig stärken und modernisieren und die Wertschätzung von Soldatinnen und Soldaten erhöhen. Sie sind außerdem für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr. Damit wollen sie Möglichkeiten der heutigen Freiwilligendienste weiter ausbauen. Das soll mit einer „aufwachsenden Wehrpflicht“ zusammen gedacht werden. Gemeint ist damit, dass diejenigen zum Grundwehrdienst einberufen werden, die tauglich sind und ihre Bereitschaft zum Wehrdienst signalisiert haben.
Noch immer steht im Artikel 12a unseres Grundgesetzes:
Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. [Ausführungen über den Ersatzdienst] Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.
Dieser Grundgesetzartikel und damit die Wehrpflicht gelten zwar immer noch, aber am 28. April 2011 beschloss der Bundestag – auf Antrag der CDU/CSU – die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011.
Zurück zu den Wahlprogrammen: Die Grünen plädierten für rechtssichere Prüfverfahren, um extremistische Netzwerke innerhalb der Bundeswehr frühzeitig zu erkennen. Sie wollen die Bundeswehr „gut und modern“ ausstatten. Der freiwillige Wehrdienst soll attraktiver gestaltet werden. Die Partei will außerdem noch mehr in Sicherheit investieren. Die FDP ihrerseits wollte die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Streitkraft Europas machen. Neben besserer Ausstattung und Finanzierung plante sie eine nationale Datenbank zur Erfassung wehrfähiger Männer und Frauen. Der Dienst bei der Bundeswehr solle durch gesellschaftliche Vorteile attraktiver werden. Allerdings wurde nicht weiter definiert, wie das konkret aussehen soll. Es soll außerdem ein Nationaler Sicherheitsrat eingerichtet werden, der Risiken frühzeitig erkennen soll. Das BSW hingegen möchte die Bundeswehr auf eine reine Verteidigungsarmee beschränken und lehnt höhere Militärausgaben ab. Die AfD forderte am entschiedensten eine umfassende Aufrüstung der Bundeswehr. Die Wehrpflicht soll nach ihrem Willen wieder eingeführt werden und es soll eine „ideelle Revitalisierung“ stattfinden, das heißt die Bindung der Soldatinnen und Soldaten zu Deutschland soll gestärkt werden.
So stand es in den Wahlprogrammen. Nach dem Auszählen der Stimmen und dem damit verbundenen Ausscheiden der FDP und dem Nichteinzug des BSW im Deutschen Bundestag werden die Karten und Argumente in Sachen Landesverteidigung derzeit neu gemischt. Insbesondere Die Linke und die AfD scheinen die Finanzierung der militärischen Unterstützung der Ukraine vehement abzulehnen. Bei der Diskussion über die Verlängerung oder Ausweitung der militärischen Unterstützung für die Ukraine könnte im neuen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit notwendig sein. Die möglichen Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD sowie die Grünen kommen plus dem Abgeordneten des Südschleswigschen Wählerverbandes nur auf 414 Stimmen. Für eine Zweidrittelmehrheit wären jedoch sechs Stimmen aus der Fraktion der Linken und AfD erforderlich. Das Hoffen auf die „Abweichler“ in den erstarkten Bundestagsfraktionen der Linken und der AfD wird banger.
Wer alle diese Fragen mit Kindern und erstmals 18jährigen Wahlberechtigten durchging, musste viel erklären. Auch diese Mitbürger erkennen, dass die US-Militärpräsenz in Europa über Jahrzehnte eine beruhigende Absicherung für den „Ernstfall“ gewesen war. Mit der neuen Regierung in Washington von Präsident Donald Trump können sich die Europäer aber nicht mehr sicher sein, ob die USA im Falle eines russischen Angriffs Beistand leisten werden. In Deutschland wird deswegen mit großer Dringlichkeit nicht nur über hohe Milliardensummen für Verteidigung diskutiert, sondern auch über einen neuen Wehrdienst. In den anstehenden Gesprächen über eine Regierungsbildung kommen Union und SPD um das Thema nicht herum. Unstrittig ist unter Experten, dass die Kräfte der Bundeswehr im Verteidigungsfall nicht ausreichen. Rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten dienen aktuell in der Truppe. Es sollen mindestens 20.000 mehr sein, aber der Bundeswehr gelingt es nicht, die Zahl spürbar zu steigern.
Der CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter schätzt, dass die Truppe mittelfristig auf bis zu 400.000 Soldaten einschließlich einsatzbereiter Reservekräfte anwachsen müsse, damit Deutschland seine Nato-Verpflichtungen erfüllen könne und auf die Sicherheitsbedrohung in Europa vorbereitet sei. „Die internationalen Entwicklungen erfordern ein gesellschaftlich resilientes und verteidigungsfähiges Deutschland“, findet auch der SPD-Verteidigungsexperte Falko Droßmann. „Wir müssen daher überlegen, ob und wie ein neuer, attraktiver Dienst eingeführt werden sollte.“
Erst nun wird auch öffentlich wahrgenommen, dass es sowohl an Kasernen, Ausbildern und Ausrüstung fehlt. Es fehlt jedoch vor allem an Menschen, die bereit sind, militärische Tätigkeiten in den Streitkräften zu erlernen, um sie dann auf Befehl auszuüben.
Was gelobt man als Soldatin oder Soldat?
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, soweit sie Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit sind, leisten in einem „feierlichen Gelöbnis“ diesen Diensteid: „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe.“ Die Gottesformel kann entfallen. Schon in der Grundausbildung bei den Streitkräften wird einem sehr deutlich gemacht, dass „tapfer zu verteidigen“ bedeutet, das eigene Sterben in Kauf zu nehmen. In der 31. Auflage vom „Taschenbuch für Wehrausbildung“ von 1972, das auf dem Schreibtisch liegt, ist zu lesen:
Die Pflicht, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, geht über die Pflicht hinaus, die den Beamten auferlegt ist. Die Pflichten der Soldaten unterscheiden sich insoweit von den Pflichten der Beamten. Die Pflicht, tapfer zu sein, verlangt, dass der Soldat seine Furcht überwindet und trotz persönlicher Gefahr treu seine Pflicht erfüllt.
Seit drei Jahren tobt in der Ukraine ein mörderischer Verteidigungskrieg
Wer in unseren Tagen die Berichte über die Soldatinnen und Soldaten der ukrainischen Streitkräfte sieht, erkennt unschwer, dass diese Menschen ihre berechtigte Furcht vor einer erdrückend gewaltigen Militärmaschine aus der Luft, auf dem Boden und auf dem Meer täglich überwinden und ihr Land verteidigen. Viele bezahlen ihren Einsatz mit ihrem Leben, sehr viele mit der Beschädigung ihrer Gesundheit, für unterschiedlich lange Zeit. Manche für immer.
Mindestens 46.000 ukrainische Soldaten sind laut Präsident Selenskyj im Krieg gefallen. Beobachter gehen davon aus, dass es wesentlich mehr getötete Soldaten bisher sind. Das Leid der Witwen und Halbwaisen ist Thema vieler schreckenserregender Berichterstattungen.
Warum machen Menschen das? Sie sagen aus „Liebe“ zu ihrem Land, dem sie treu dienen wollen. Wer „liebt“ sein Land? Wer ist seinem Land „treu“, treu bis zum Tod, aus Liebe?
Wer „liebt“ Deutschland?
Uns kommen bei dieser Frage zwei Bundespräsidenten in den Sinn: Gustav Heinemann antwortete einem Fernsehinterviewer, der ihn fragte, ob er den deutschen Staat „liebe“, kühl: „Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau.“ Er sagte es damals gegen einen Patriotismus, der allzu oft mit Revisionismus verbunden war. Viele meinten noch, Deutschland nur lieben zu können, wenn sie den dunklen Teil der eigenen Geschichte verdrängen. Dieser erste von der SPD gestellte Bundespräsident hatte auch deshalb gute Gründe für seine Antwort, weil zu der Zeit selbstgerechte politische Rechte die Sozialdemokraten immer noch als vaterlandslos bezeichneten. Denen wollte er sich nicht beugen, ihnen sagte er darum nicht: wir sind doch auch Patrioten. Schließlich passte es zum deutschen Protestanten Heinemann, seine ganz persönlichen großen Gefühle für seine Frau und seinen Gott zu reservieren.
Horst Köhler, der erst kürzlich verstorbene Bundespräsident, sagte in seiner Amtszeit ganz selbstverständlich: „Ich liebe unser Land.“ Denn in den vergangenen Jahrzehnten hatte Deutschland seiner Meinung nach eine Fähigkeit auf jeden Fall erworben: sich zu lieben, ohne irgendetwas zu verdrängen. Zu diesem Land und zugleich zu seiner ganzen Geschichte zu stehen, das sei heute kein grundsätzlicher Widerspruch mehr. Und die Haltung Heinemanns, dass alle großen Gefühle doch gefälligst dem Privaten vorbehalten sein sollten, sei mittlerweile so weit verbreitet, dass für das Allgemeine, für das gemeine Wohl, unterm Strich oft zu wenig übrigbleibe.
Noch immer scheint es für viele Menschen in Deutschland schwer bis unmöglich zu sein, Patriotismus und Nationalismus auseinander zu halten. Der Schein der Wiederholung trügt, denn die Debatten über Vaterlandsliebe verändern sich, in ihnen spiegelt sich das jeweilige Selbstbild der Bürger wider. Es geht nicht mehr nur darum, den Staat zu säkularisieren und zur Geschichte zu stehen, sondern darum, eine spezifisch deutsche Form dessen zu entwickeln, was die meisten anderen Nationen haben, ohne darüber lange reden zu müssen. Dieses Ja zum eigenen Land brauchen wir – nicht um jemanden auszugrenzen, sondern, im Gegenteil, um das Wir zu formulieren, in das alle eingeschlossen sind, die hier leben.
Was wollen wir im Ernstfall denn verteidigen?
Lange wurde den Deutschen ein gespaltenes Verhältnis zu ihrer eigenen Nation und ihrem Land nachgesagt. Die Nazi-Zeit wirkte hier bei Vielen nach. Doch seit der Einheit hat sich offenbar auch das nationale Selbstbild gewandelt und Platz geschaffen für eine unverkrampftere Sicht auf das vereinte Deutschland.
Das belegt eine erst kürzlich von der Konrad-Adenauer-Stiftung vorgestellte Studie. Dazu wurden Menschen aus den alten und neuen Bundesländern befragt, mit welchen Gefühlen sie auf die Geschichte der Bundesrepublik blicken, was sie an ihrem Land schätzen und was sie vom Staat erwarten. Die Bilanz ist durchweg positiv – und räumt mit dem weit verbreiteten Vorurteil auf, dass Deutsche nicht auf ihr Land stolz sein können.
Rund 90 Prozent der Deutschen bewerten die bisherige Geschichte der Bundesrepublik als Erfolgsgeschichte. So verwundert es nicht, dass gut zwei Drittel der Befragten „stolz“ auf die Bundesrepublik von heute sind. Dabei empfinden die Westdeutschen mit 69 Prozent zwar mehr Stolz als ihre Mitbürger in den neuen Bundesländern, diese stimmten der Aussage aber auch mit 57 Prozent zu.
Innerhalb der Parteienlandschaft ist die Zustimmung am höchsten bei den Anhängern der Union, am schwächsten bei den Anhängern der Partei Die Linke (39 Prozent), die sich mit den Zuständen im Land offenbar noch immer schwertun.
Auch die deutsche Verfassung, das Grundgesetz, genießt ein hohes Ansehen: Nahezu drei Viertel aller Befragten sind darauf stolz. Im parteipolitischen Spektrum weichen auch hier nur die Anhänger der Die Linke mit einer 25 Prozent geringeren Zustimmung ab.
Insgesamt stellen die Bürger der Bundesrepublik ein positives Zeugnis aus: So sehen die meisten Befragten die Bundesrepublik als einen soliden und freien Staat, in dem man gerne lebt (94 Prozent) und den es lohnt zu verteidigen (89 Prozent). Mit 87 Prozent ist hier sogar die Verteidigungsbereitschaft der Anhänger der Linken erstaunlich hoch. „Verteidigungsbereitschaft“ kann man getrost mit Aufbau und Stärkung der Bundeswehr übersetzen.
Beim endgültigen Redigieren dieser Kolumne fällt uns eine Meldung aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. März 2025 ins Auge. Unter der Überschrift „Werbeverbot für die Bundeswehr“ wird aus der Stadt Zwickau im Freistaat Sachsen berichtet, dass der dortige Stadtrat – auf Initiative des BSW – mehrheitlich beschlossen hat, keine Werbung für die Bundeswehr „in Liegenschaften der Stadtverwaltung und der kommunalen Unternehmen sowie Fahrzeugen und sonstigen Präsentationsflächen“ für „Kriegsdienst und Rüstungsprodukte“ zuzulassen. Dabei liegt die Landesgrenze zur noch nicht vollkommen russisch besetzten Ukraine nur knappe tausend Kilometer entfernt. Ein nächstes Mal wird die US-Armee wahrscheinlich nicht erneut kommen, um diese Stadt vor den Russen zu schützen, wie sie das im April 1945 tat, bevor sie dann ab Juli 1945 von der Roten Armee besetzt wurde.
Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag gehört zur monatlich erscheinenden Kolumne „Rätsel des Lebens“ von Dirk Kaesler und Stefanie von Wietersheim.