Frühneuzeitliche Städte als Kommunikationsknotenpunkte

Kommunikationsräume – Medien – Strategien

Von Lina SchröderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lina Schröder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viele Jahre lang standen im Rahmen der Stadtgeschichte vor allem die über die stadtrechtliche Verwaltung geprägten Stadt-Umland-Beziehungen (zum Beispiel für das 19./20 Jahrhundert Wolfgang R. Krabbe 1985/89) im Vordergrund – nicht selten unter Bezugnahme auf die aus der Geographie stammende Christaller’sche Zentralort-Theorie. Seit den 2000er Jahren nehmen Stadthistoriker*innen vermehrt aus kulturwissenschaftlicher Perspektive und unter Berücksichtigung des „neuen Raumparadigmas“ (Stichwort spatial turn, vgl. Dieter Schott 2013, Michel Pauly/Martina Stercken 2019) die Rolle vor allem größerer Städte und ihrer Einrichtungen selbst als Kommunikationsknotenpunkte respektive Orte der Öffentlichkeit (vgl. u.a. Susanne Rau/Gerd Schwerhoff 2004/14) in den Blick. Der Tagungsband Die frühneuzeitliche Stadt als Knotenpunkt der Kommunikation lässt sich hier einordnen. Im Vordergrund stehen dabei vermehrt Städte Ost- und Mitteleuropas – also eine urbane Landschaft, die über Jahrzehnte zu Gunsten Flanderns und der Niederlande, Südost-Englands, Nordost Frankreichs oder Italiens eher vernachlässigt wurde. Bei den hier analysierten Städten handelt es sich unter anderem um Brünn, Krakau, Breslau, Posen, Bistritz ob Pernstein, Sobieslau, Reval und Budweis. Fünf Beiträge mit Untersuchungen zu Wien, Basel/Paris, Mannheim, Antwerpen und London erweitern das Blickfeld. Von Bistritz ob Pernstein und Sobieslau abgesehen handelt es sich dabei einmal mehr wieder um eher größere Städte.

Die Basis aller Beiträge besteht in der bereits durch zahlreiche Arbeiten belegten Prämisse, dass Städte im Zeitraum vom 16. bis zum 18. Jahrhundert eine unersetzliche Rolle im Kontext bestehender Kommunikationsflüsse einnahmen. Die Herausgeber*innen sehen daher die Aufgabe vorliegender Zusammenstellung vor allem darin,

eine Serie von Modellbeispielen vorzustellen, die dokumentieren, auf welche Art und Weise die postmediävalen Städte Europas beziehungsweise Mitteleuropas die Funktionen von Knotenpunkten der Kommunikation erfüllten, und zwar unter Berücksichtigung relevanter Formen des Informationsflusses, die sich auf verschiedene Ebenen direkt im urbanen Milieu abspielten oder damit anderweitig verbunden waren.

Das Herausgeberteam hat die insgesamt 18 Beiträge, die von einer Einleitung, einem Schlusswort und einem in Auswahl angelegtem Literatur- und Quellenverzeichnis gerahmt werden, dafür drei großen thematischen Blöcken zugeordnet. Ihre Überschriften stellen, so in der Einleitung beschrieben, „mögliche[n] systemische[n] Ausgangspunkte des Studiums des Informationsaustauschs im städtischen Milieu“ dar. Damit wurde bewusst die Palette der Betrachtungsaspekte eingegrenzt. Spezifische methodische Herangehensweisen spielen hier, abgesehen von einem kurzen, darauffolgend jedoch nicht weiter einbezogenen Zitat Niklas Luhmanns in einem der Aufsätze, keine Rolle.

Beiträge, die den ersten Block mit dem Titel „Kommunikationsraum“ bilden, widmen sich geographischen, topographischen, urbanistischen und architektonischen Voraussetzungen der Kommunikation. Mit Blick auf Urbanisierung und Architektur beschreiben die Autoren*innen verschiedene Einrichtungen wie etwa Marktplätze, Wirtshäuser, Kirchen, Friedhöfe aber auch Rathäuser und Stadtbefestigungen als einerseits Orte für die Lenkung von Kommunikationsströmen, andererseits als eigentliche Knotenpunkte von Kommunikation. In diesem Kontext kamen, um eine Begrifflichkeit von Kevin Lynch (1989) zu gebrauchen, auch diversen Merk- oder Wahrzeichen wie etwa Marktfahnen und auch Brunnen eine Bedeutung zu. Aber auch Geographie und Topographie sind nicht unwichtig, wenn es um die Erreichbarkeit einer Stadt und ihrer Einrichtungen an und für sich geht. Das inner- und außerstädtische Straßen-, Wege- und Flusssystem bildet entsprechend bei der Analyse des Kommunikationsraums gleichfalls einen zentralen Bestandteil.

Der zweite Teil – mit dem Titel „Kommunikationsmedien“ überschrieben – richtet den Fokus auf zentrale Formen des Informationsflusses, an deren Umsetzung das vormoderne städtische Milieu beteiligt war. Hier stehen vor allem praktische Fragen im Vordergrund, etwa wie die Korrespondenz organisatorisch, aber auch technisch durchgeführt wurde, wer an ihr beteiligt war und auf welche Art und Weise beziehungsweise über welche Medien die Kommunikationspartner*innen zueinander fanden. Es zeigt sich, dass vor allem Familien-, Universitäts- oder auch Gewerbenetzwerke (zum Beispiel Buchdrucker oder -händler) hier von zentraler Bedeutung waren. Als Medien spielten Zeitschriften, Flugblätter oder Adressbücher eine wichtige Rolle.

Im dritten und letzten Teil unter der Überschrift „Kommunikationsstrategien“ werden anhand verschiedener beispielhafter Modellsituationen Fragen nach dem Verhältnis der Mittel und Methoden von Kommunikation sowie ihre Ziele erörtert. Hier geraten einerseits die alltäglichen Situationen und Kommunikationsnetzwerke, die auf rechtlichen (Stadtrecht), ökonomischen (Zunftordnung) und gesellschaftlichen (nicht-professionelle Korporationen – Bruderschaften, das Bildungsmäzenatentum) Instrumenten basierten, andererseits besondere Ereignisse wie zum Beispiel die Neubesetzung des Pfarramtes und die mit dem Stadtrat diesbezüglich einhergehenden Beratungen, die Einzüge neuer Stadt- oder Landesherrn, der städtische Austausch im Rahmen der Städtebünde und Reichstage oder die Verhandlungen mit dem Feind im Falle der städtischen Belagerung, in den Blickpunkt. Für jede dieser Situationen entwickelten sich spezifische Kommunikationspraktiken, die sich mit Blick auf die longue durée mit der Zeit wandelten.

Insgesamt bieten die zum Teil in der sprachlichen Qualität sehr unterschiedlichen Beiträge ein buntes Potpourri, so dass die Hoffnung des Herausgeberteams, dass „das Buch als kompaktes Ganzes, einander ergänzende parallele Sichtweisen verschiedener Aspekte der vormodernen städtischen Kommunikation präsentiert und einem breiteren interessierten Publikum aus Forscherkreisen Inspiration bietet“, durchaus als erfüllt betrachtet werden darf.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Tomás Sterneck / Michaela Hrubá / Martin Holý: Die frühneuzeitliche Stadt als Knotenpunkt der Kommunikation.
LIT Verlag, Münster 2019.
296 Seiten, 29,34 EUR.
ISBN-13: 9783643139412

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