Wie neu beginnen?

Luise Straus-Ernsts neu editierte Überlebensgeschichten aus dem Exilroman „Zauberkreis Paris“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Konjunktur der Nachdrucke und Wiederentdeckungen von Texten aus dem frühen 20. Jahrhundert hält bis heute an. Immer wieder werden Texte neu ediert und damit wieder ins literarische Gedächtnis zurückgeholt, die niemand seit Jahren auf dem Zettel hatte, die Autorinnen und Autoren inbegriffen. Nach Victoria, Helen und Theodor Wolff (um nur die nicht miteinander verwandten Autor/innen mit Namen Wolff Revue passieren zu lassen), nach Larissa Reissner, Marta Karlweis und Lili Körber – alles Funde der letzten Jahre – ist nun auch Louise Straus, oder wie sie hier firmiert: Luise Straus-Ernst (erneut) Gegenstand des editorischen Interesses geworden. Nach den 2012 erschienenen Exil-Feuilletons ist nun im Südverlag in Konstanz ein Roman der 1893 in Köln geborenen Autorin erschienen, der bislang nicht im selbständigen Druck erschienen ist.

Zauberkreis Paris lag bislang nur als Zeitungsdruck vor, erschienen zwischen dem 31. Dezember 1934 und dem 6. Februar 1935 in der deutschsprachigen Exilzeitung „Pariser Tageblatt“, gezeichnet mit einer androgyn gekürzten Fassung des Namens, „Lou Ernst“. Armin Strohmeyr hat den kleinen Roman, der im Druck nur 150 Seiten umfasst, erstmalig in Buchform vorgelegt, maßvoll editorisch bearbeitet, mit Erläuterungen, einem umfangreichen biografischen Nachwort und einer Zeittafel zur Biografie Luise Straus-Ernsts versehen.

Zu lesen ist eine kleine, dennoch nicht zu vernachlässigende Geschichte um zwei junge Exilanten, einen Journalisten, Peter Krimmer, der aus politischen Gründen Deutschland in Richtung Paris verlassen muss, und dessen Freundin, Ulla Frankfurter, eine Bibliothekarin, die ihm wenig später folgen muss, da sie aufgrund ihrer jüdischen Konfession, die hier, wie so oft, in eine ethnische Kategorie umgeschrieben wird, ihre Stelle verliert.

Freilich sind es eigentlich zwei Geschichten, denn die Geschichte Krimmers ist grundsätzlich anders angelegt als die Frankfurters. Krimmers Exilkarriere, der wegen seiner Sympathien mit kulturbolschewistischen Tendenzen seine Stelle an einer Kölner Tageszeitung verliert, liest sich mehr oder weniger wie das Gros der Untergangsgeschichten, die sich im Exil schreiben. Seine Fähigkeiten werden in der neuen Umgebung nicht gebraucht, er unternimmt allerdings nicht allzuviel, um als Journalist neu starten zu können. Und um seinen Lebensunterhalt anders zu bestreiten, ist er – als Mann – zu stolz und unflexibel. Dass es ein Wert an sich ist, sich wie auch immer seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist für Krimmer nicht plausibel. Die geringe Resonanz auf seine Arbeiten, die ja mit den Arbeiten einer Vielzahl von Autor/innen konkurrieren müssen, und das in einer fremden Kultur, deren Sprache er nicht ausreichend beherrscht, lähmt in zusehends. Aus dieser Lethargie kann er sich über die gesamte Handlungszeit des Romans nicht befreien. Er beginnt eine Liaison mit einer Exil-Russin, die sich freilich als Spionin entpuppt, lernt dabei, den Abwasch selbst zu machen, ist aber ansonsten zu kaum etwas zu gebrauchen.

Hans Falladas Kleiner Mann (1932) ist das Paradebeispiel solch hymnischer männlicher Ignoranz, die lieber untergeht als sich selbst – schwimmend oder wie auch immer – über Wasser zu halten. Mit Borja, der schönen Russin, die Krimmer als Tarnung und als unwissenden Boten benutzt, taucht der Journalist ohne Zeitung immer tiefer in die Pariser Vergnügungskultur ein (Horkheimer/Adornos Bemerkung zum „fun“ liegt da recht nahe), gibt aber zugleich mehr und mehr eigene Erwerbsaktivitäten auf. Um sich dann am Ende, nachdem Borja sich abgesetzt hat, aus Furcht vor der französischen Polizei selbst das Leben zu nehmen. Eine missglückende Exil-Biografie, wie sie auch in anderen Büchern steht.

Anders hingegen Ulla Frankfurter. Zwar wird sie in Paris von ihrem Peter nicht wie erwartet mit offenen Armen aufgenommen. Aber anders als ihr in Deutschland doch so lebenstüchtiger Freund, sucht sie im Exil vor allem zu überleben. Und dafür ist ihr keine Arbeit zu schäbig oder zu erniedrigend. Während die Männer noch den Niedergang abwarten, um sich dann – gegebenenfalls – von alten Ansprüchen zu verabschieden, kommt es Ulla nur darauf an, sich von Anfang an selbst zu versorgen. Egal wie und auf jeden Fall eigenständig – zumindest im Rahmen der bürgerlichen Existenz, die sie sich weiterhin bewahren will. Damit wird zwar fast jeder Job annahmefähig, damit fallen aber auch die Versorgung über einen Mann und die Prostitution weg, die etwa in Helen Wolffs Roman Hintergrund für Liebe (2020 aus dem Nachlass erschienen) immerhin noch verhandelt werden (Irmgard Keuns Roman-Portfolio der frühen 1930er Jahre bildet dafür die Blaupause). Anders Ulla, sie will mit dem Mann, der im Exil ihr Begleiter wird, keine Beziehung, sondern lieber Kamerad bleiben, zu deprimierend sind die weiblichen Exil-Biografien, die Straus nebenbei schildert.

Stattdessen präsentiert Luise Straus-Ernst mit Ulla Frankfurter das Wunschbild einer aktiven, sich nie aufgebenden Frau, die am Ende (des Romans) in der Gründung einer Produktionsgenossenschaft, die Spielzeug nach der Manier des Riesengebirges produzieren will, ihr Ziel findet. Es bleibt ein Schimmer Hoffnung am Ende des Romans.

In gewisser Weise skizzierte Luise Ernst-Straus damit das Gegenbild zu ihrer eigenen Exil-Biografie, in der sie – aus Deutschland, aus Köln von den Nazis vertrieben – sich vor allem auf ihre im weiteren Sinn literarische Produktivität stützen musste. Eine Produktionsgenossenschaft, die ihrer Protagonistin Ziel und Hoffnung gibt und zugleich den Vorschein einer gelingenden Gesellschaft ermöglicht, lässt sich in Luise Straus-Ernsts Leben nicht finden.

Nach der Trennung von Max Ernst, der erst in den Folgejahren zum erfolgreiche Künstler werden würde, setzte Straus-Ernst auf eine journalistische Karriere, von der allerdings wenig in Erinnerung geblieben ist. Eine Sammlung von Exil-Feuilletons und ihre Erinnerungen sind vor einigen Jahren erschienen. Ein bisschen Biografisches kommt hinzu. Mehr allerdings nicht.

Wäre Louise Straus nicht einige Jahre mit Max Ernst verheiratet gewesen, von dem sie ihren zweiten Namensbestandteil übernahm, der bis heute ihren Namen konventionell ziert, würde sie vielleicht auch unentdeckt geblieben sein. Eine der vielen also, die 1933 noch nicht bekannt genug waren, um auch in einer fremden Kultur zu überleben – aber wem wäre das außer Thomas Mann und Lion Feuchtwanger, deren internationales Renommee ihnen auch im Exil einen hohen Lebensstandard ermöglichte, per se gelungen?

Auch wenn Luise Straus-Ernst im Exil anfangs sogar noch relativ erfolgreich war, wie der Herausgeber des Bandes, Armin Strohmeyr, betont, musste sie seit den späten 1930er Jahren um ihre Einkünfte kämpfen. Ihre spätere Biografie ist von Rückschlägen geprägt, sie hatte mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Vor allem nach dem Einmarsch der deutschen Besatzer in Frankreich, war sie ständig bedroht; ihre Auswanderung, die eine zeitlang als vormalige Ehefrau Max Ernsts zu gelingen schien, scheiterte am Ende doch. Luise Straus-Ernst wurde von ihren Landsleuten, den deutschen Besatzern deportiert und im Juli 1944 im KZ Auschwitz ermordet.

Titelbild

Luise Straus-Ernst: Zauberkreis Paris. Roman aus dem Exil.
Hg. von Armin Strohmeyr.
Südverlag, Konstanz 2022.
199 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783878001577

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