Banalität des Begehrens
Maria Pourchets mitreißender Roman „Feuer“ war in Frankreich ein Riesenerfolg und erscheint nun in der Übersetzung von Claudia Marquardt auch auf Deutsch
Von Sula Textor
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAlles beginnt mit einer ganz banalen Begegnung. Laure, 40, verheiratet und Mutter von zwei Töchtern, ist Professorin an einer Pariser Universität und braucht dringend einen Gastredner für den Kongress, den sie organisiert. Clément ist gut zehn Jahre älter, alleinstehend, hochrangiger Angestellter einer großen Bank und bei weitem nicht ihre erste Wahl für diesen Job. Aber da ihre Fakultät für den Vortrag kein Honorar bezahlen kann und Clément vor lauter Langeweile gar nicht weiß, wohin mit seinem Geld, sitzt er jetzt mit Laure beim Mittagessen. Und obwohl sie völlig uninteressant findet, was er zum Thema des Kongresses zu sagen hat, und er gar nicht richtig versteht, was sie eigentlich von ihm will, knistert da etwas zwischen ihnen. Etwas, gegen das sie sich schon bald nicht mehr wehren können, das ahnt man gleich. Ein kleiner Funke genügt, um ein gewaltiges Feuer zu entfachen, das schnell außer Kontrolle gerät und verheerende Folgen hat für das Leben der beiden Protagonisten.
„Du hast etwas kommen sehen, ohne zu wissen, was es ist, und hast alles gegeben, dich dieser Sache immer mehr auszuliefern“, wird Laure sich später erinnern. Und auch Clément merkt, schon als Laure ein paar Tage nach diesem Mittagessen anfängt, ihm Nachrichten zu schicken, dass da etwas zwischen ihnen ist, wovon er besser die Finger lassen sollte: „Ich warte ab, ich liebe es. Nur noch eine Nachricht, nur noch einen Tag, dann höre ich auf, es ist nicht richtig, ein Spiel mit dem Feuer.“
Vom ersten Aufeinandertreffen bis zum erwartbar bitteren Ende erzählt Maria Pourchet mit ungeheurer sprachlicher Präzision von der Wucht dieser Leidenschaft, und zwar in den Stimmen von Laure und Clément selbst. Sie kommen in kurzen, eng verzahnten Kapiteln abwechselnd zu Wort. Das sorgt für Tempo, für einen regelrechten Sog. Die Stimmen sind auf diesen Kontrast hingearbeitet und zeugen von der Genauigkeit, mit der die Autorin die sozialen Gefüge beobachtet, in denen sie ihre Figuren verortet.
Man könnte Feuer einen streng zeitgenössischen Ehebruchsroman nennen und Laure als einen Kommentar auf Emma Bovary lesen. Von einem Liebesroman zu sprechen, fällt ein wenig schwerer. Und das obwohl Laure und Clément durchaus von Liebe reden. Der schnelle Wechsel zwischen den beiden Perspektiven macht deutlich, wie wenig im Leben und Empfinden der beiden Figuren zueinander passt, wie unterschiedlich ihr Begehren füreinander ist, und wie schlecht sie sich eigentlich kennen. Wenn sie lieben, dann lieben sie aneinander vorbei. Vielmehr ist ihr Begehren Ausdruck eines Mangels, den beide isoliert in ihrem eigenen Leben empfinden.
Laures Leben scheint die Summe zu vieler Kompromisse zu sein, irgendwo zwischen ihren Mutterpflichten, dem Eigenheim in einem Pariser Vorort und dem schlecht bezahlten Job an der Uni droht sie zu erstarren. Sie will, dass etwas passiert, etwas, das die Starre durchbricht und ihr das Gefühl von Bedeutsamkeit gibt. Clément dagegen erwartet nichts mehr vom Leben, außer, dass es endet, und manövriert sich mit einer ordentlichen Portion Zynismus durch einen Alltag voll drohender Katastrophen. Laure glaubt, ihn aus seiner Einsamkeit retten zu können, ohne ihn wirklich zu kennen. Und während er merkt, dass sie etwas von ihm will, das er nicht erträgt, kann sie die Vorstellung nicht ertragen, dass das zwischen ihnen wieder vorbei sein könnte. Feuer erzählt also auch von einer hoffnungslos missglückenden Kommunikation.
Nichts ist zu viel oder zu wenig an diesem Roman, der streng auf die Perspektiven der beiden Protagonisten und die Ereignisse, die auf ihrer Begegnung folgen, fokussiert bleibt. Die beiden Figuren sind so fein gearbeitet und so konsequent in ihrer jeweiligen Biographie und ihrem Umfeld verortet, dass sich auf subtile Weise grundlegendere Fragen an unsere Zeit auftun, während man dem mitreißenden Strom der Erzählung folgt.
In einem Interview erklärt Maria Pourchet, dass Schreiben für sie eng mit Bewegung verknüpft ist. Einen Roman schreiben sei wie ein Ritt auf einem galoppierenden Pferd, dem man sich hingeben, das man aber auch zu bändigen wissen muss, damit es einen nicht abwirft oder zu weit weg trägt. Und das solle beim Lesen spürbar bleiben, wünscht sie sich. Mit Feuer ist ihr das auf beeindruckende Weise gelungen. Genauso beeindruckend ist, wie gut dieser rasante Kunstritt auch der Übersetzerin Claudia Marquardt glückt.
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