Ein kurzes Dichterleben

Nach einem halben Jahrhundert liegt nun wieder eine überarbeitete und aktualisierte Ausgabe der „Dichtungen und Briefe“ von Georg Trakl vor

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Georg Trakl wurde am 3. Februar 1887 in Salzburg geboren, als fünftes Kind von insgesamt sieben Geschwistern. Der Vater besaß ein Geschäft für Eisenwaren, ein gutmütiger und erfolgreicher Händler, während die Mutter ein schwieriges Verhältnis zu ihren Kindern hatte und drogenabhängig war. Den Mutterersatz und die Erziehung der Kinder übernahm eine französische Gouvernante. Materielle Sorgen hatte die Familie zunächst nicht gekannt – sie setzten erst nach dem Tode des Vaters kurz vor dem Ersten Weltkrieg ein. Georg besuchte die Volksschule und danach das humanistische k. k. Staatsgymnasium, das er nach zweimaligem Sitzenbleiben aber ohne Matura 1905 verließ und ein dreijähriges Apothekerpraktikum begann. In diese Zeit fielen auch seine ersten Experimente mit Drogen. Nach Abschluss des Praktikums begann er ein Pharmaziestudium in Wien. Er wurde Magister der Pharmazie und leistete als Einjährig-Freiwilliger seine Militärzeit ab. Bei Kriegsausbruch (1914) rückte er als Medikamentenbetreuer an die Front nach Galizien. Angesichts der Qualen der Schwerverwundeten erlitt er einen Nervenzusammenbruch. Seine Kameraden verhinderten seinen Selbstmordversuch und brachten ihn in die Psychiatrie nach Krakau. Ein paar Tage später, am 3. November 1914, starb Georg Trakl, siebenundzwanzig Jahre alt, an Herzlähmung als Folge einer Kokainvergiftung.

So die kurze, recht ereignis- und erfolglose Biografie Trakls. Kurz nach der Jahrhundertwende, noch während der Gymnasialzeit, begann Trakl, erste Gedichte zu verfassen. Doch bald versuchte er sich zunächst als Dramatiker und 1906 wurden zwei Einakter (Totentag und Fata Morgana) im Salzburger Stadttheater aufgeführt. Wegen Erfolglosigkeit vernichtete Trakl die Manuskripte und er fiel in eine längere Schaffenspause. Die frühen Gedichte hat sein Jugendfreund Erhard Buschbeck (1889–1960) vergeblich verschiedenen Verlagen angeboten und sie schließlich 1939, ein Vierteljahrhundert nach Trakls Tod, unter dem Titel Aus goldenem Kelch herausgegeben.

Das eigentliche lyrische Werk Trakls entstand in den letzten vier Lebensjahren, das er selbst in den beiden Gedichtbänden Gedichte (1913) und Sebastian im Traum (1915) – beide im Kurt Wolff Verlag Leipzig erschienen – zusammengestellt hat. Die erste Gesamtausgabe Die Dichtungen (1918) hat dann Trakls Freund Karl Röck (1883–1954) erstellt. Dessen Gliederung hatte der Salzburger Otto Müller Verlag beibehalten, als er diese Ausgabe 1939 vom Leipziger Verlag Kurt Wolff übernahm. In den 1960er Jahren sichteten die deutschen Germanisten Walther Killy und Hans Szklenar das gesamte Textmaterial neu und erarbeiteten eine historisch-kritische Ausgabe (HKA), die 1969 in zwei Bänden im Otto Müller Verlag erschien. Ein halbes Jahrhundert später wollte der Verlag nun eine ansprechende Ausgabe weiter in seinem Programm haben. Ein Nachdruck erschien angesichts neuer Erkenntnisse der Trakl-Forschung wenig befriedigend.

Die Gliederung der nun vorliegenden Neuerscheinung orientiert sich an der HKA, so dass Trakls Anordnung der Texte gewahrt blieb. Neben den beiden Bänden Gedichte und Sebastian im Traum versammelt die Ausgabe einige Beiträge in der Innsbrucker Zeitschrift Der Brenner aus den Jahren 1914/1915 sowie die sonstigen Veröffentlichungen (Gedichte, Prosa und Rezensionen) zu Lebzeiten. Umfangreich ist der Nachlassteil mit Gedichten, Varianten, Dramenfragmenten, Aphorismen und Widmungen. Darunter zahlreiche Texte, die erst in letzter Zeit gefunden worden sind. Dazu zählen 15 Gedichte der „Sammlung Richard Buhlig“, die Marty Bax (Amsterdam) im Archiv der California State University Long Beach bei Recherchen entdeckt hat, oder das Gedicht Hölderlin, das von einem Wiener Antiquariat angeboten wurde. Trakl führte keinen ausgedehnten Briefverkehr. Meist waren es nur Mitteilungen an Freunde und Bekannte oder die Korrespondenz mit dem Verlag in Leipzig. Daher wurden aus Platzgründen nicht alle Briefe der HKA aufgenommen. Ergänzt wird die neue Werkausgabe durch eine Lebenschronik, ein Nachwort des Herausgebers Hans Weichselbaum und verschiedene Register.

Trotz seines kurzen Lebens gilt Georg Trakl als einer der bedeutendsten Dichter des Frühexpressionismus. Sein Werk hatte entscheidenden Einfluss sowohl auf die expressionistische Lyrik als auch auf die Lyrik nach dem Zweiten Weltkrieg. Die überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe will nach den Worten ihres Herausgebers „mit all ihren Ergänzungen und Korrekturen den Leserinnen und Lesern das Werk des großen Dichters möglichst umfangreich, gut lesbar und in einer soliden Ausstattung zur Verfügung stellen“.

Titelbild

Georg Trakl: Dichtungen und Briefe.
Hg. von Hans Weichselbaum.
Otto Müller Verlag, Salzburg 2020.
600 Seiten , 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783701312825

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