Macht und Widerstand und Literatur

Ilija Trojanow und seine Mitstreiter verzetteln sich bei ihrem Aufruf zum Ungehorsam

Von Christophe FrickerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christophe Fricker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein kleines Buch über ein großes Thema – voller großer Sätze, die ein ziemliches Durcheinander ergeben. Zum Verhältnis von „Macht“ und „Widerstand“, wie es im Titel heißt, und zum Verhältnis der beiden zur „Erinnerung“, wie im Text noch ergänzt wird. Versuchen wir, uns eine Übersicht zu verschaffen.

Das Buch besteht aus drei Teilen: Im Zentrum steht Ilija Trojanows Rede „Macht und Widerstand“, gehalten ursprünglich am 9.9.2015 und dann noch einmal am 12.10.2016 in Villach auf der Veranstaltung, die mit dem vorliegenden Band dokumentiert wird. An die Rede schloss sich ein Gespräch zwischen Trojanow und dem Publizisten Michael Kerbler an, das ebenfalls wiedergegeben wird. Eingeleitet wird der Band von Helmut Friessner und Horst Peter Groß im Namen der Veranstalter, des „Universitäts.club|Wissenschaftsverein Kärnten“.

Die Einleitung lobt Trojanow für sein engagiertes „Bekenntnis zum Widerstand“, seinen Aufruf dazu, „Mut zu zeigen“, da „gesellschaftlich – ob regional oder global – etwas offenbar schiefläuft“. Wie nun mit diesem Aufruf umgehen? Trojanows Auftritt sei „ein fast magischer Moment gewesen“, und „seine literarische Qualität spricht zudem für sich selbst!“ Daher verdiene es diese „explosive Mischung aus gesellschaftspolitischem Appell und literarischem Anliegen, mit jedem Buchstaben aufgesogen zu werden“. Wie dieses Aufsaugen des Explosiven konkret aussehen könnte, mag man sich nicht vorstellen. Dass die Demutsgeste inhaltlich den Vorstellungen des widerständigen Geehrten entspricht, ist zweifelhaft.

Der ungeklärte Kernpunkt des Buches (den alle vier Autoren umschiffen), hat mit der Frage zu tun, ob „Widerstand“ immer empfehlenswert ist oder nur unter bestimmten Umständen und mit bestimmten Zielen. Denn einerseits ist von der „absoluten Wertigkeit von Widerstand“ die Rede und von der Notwendigkeit, „die Eliten gänzlich [zu] entmachten“. Selbst das Grundgesetz mit seinem verbrieften Widerstandsrecht und dem Verweis auf die Würde des Menschen sei Teil einer „unglaubliche[n] Starre“ und gehöre auf den Prüfstand. Andererseits wird Widerstand inhaltlich klar umrissen: Er sei ein Postulat der Aufklärung und ein spezifisches Kennzeichen der demokratischen Gesellschaft. Inwiefern man aber demokratisch und zugleich gewaltsam (der gewaltfreie Widerstand sei „eine große Chimäre“) gegen das Grundgesetz agieren kann, wird nicht weiter ausgelotet. Warum man dies sollte, ebenfalls nicht – es wäre schwierig: Wer einen Begriff inhaltlich (um nicht zu sagen ideologisch) auflädt, kann nicht ein Handeln im Namen dieses Begriffes gegen die Manifestationen seines semantischen Kerns fordern. („Performativer Widerspruch“ wäre eine höfliche Umschreibung des entsprechenden Vorgehens.)

Nun stehe aber ohnehin vor allem die „absolut notwendige ökologische Umgestaltung unseres Wirtschaftens“ an. Wenn sie absolut notwendig ist, verbietet sich dann der Widerstand dagegen? Auch dies bleibt offen, obwohl es das zentrale Anliegen des Buches berührt.

Unklar bleibt, in welchem Zusammenhang „Widerstand“ und „Freiheit“ gesehen werden. Einerseits wird Widerstand als Kampf gegen die Unfreiheit verstanden. Wer sich nicht an diesem Widerstand beteilige, sei sowohl unfrei als auch „bequem“ als auch ein Komplize der Machthaber. In der Realität sind diese drei Aspekte keineswegs deckungsgleich oder notwendigerweise miteinander verbunden. Ernst Jünger beispielsweise hat darauf hingewiesen, dass er als Angehöriger der Wehrmacht im Paris des Zweiten Weltkriegs zwar ein bequemes, aber aufgrund des Totalverdachts, ohne den ein totalitäres Regime nicht existieren kann, kein sicheres Leben führte – und gerade dies als Unfreiheit empfand.

Gleichwohl sehen sowohl Jünger als auch Trojanow im Autor und im unbefangenen Leser den Archetypen des freien Menschen, und sie sehen Literatur (Jünger sagt „Dichtung“, Trojanow spricht vor allem vom Roman) als Widerstand. Trojanow pocht darauf, dass „bei der Lektüre […] etwas entstehen kann, was dann wirkungsmächtiger und vielleicht radikaler ist, als wenn es gleich öffentlich ist.“ Inwiefern die öffentliche Widerstandshandlung (die durch ihre ‚messiness‘ und ‚clumsiness‘, wie es in der zeitgenössischen Theorie heißt, den Einzelnen unweigerlich kompromittiert) dann allerdings noch Freiheit zu nennen ist, bleibt unausgelotet.

Michael Kerbler fragt folgerichtig, ob Literatur denn wirklich immer zu einer moralischen Verbesserung des Menschen führe. Es gebe doch genug Beispiele für belesene Massenmörder. Trojanow reagiert mit einer bemerkenswerten Volte. Er illustriert „Kultur“ mit Nathan dem Weisen und suggeriert, dass es eine richtige Rezeptionsform gibt, die dazu führt, dass man nicht FPÖ wählt. Muss man daran erinnern, dass gerade der Nathan einer der Ankerpunkte einer Kontroverse um den ‚latenten Antisemitismus‘ in der deutschen Literatur ist? Wenn Trojanow das weiß, verschweigt er es; wenn nicht, überrascht die Wahl des Nathan erst recht, denn es ist ihm ja gerade um „die“ Literatur an sich zu tun, und insofern wäre ein ‚Grenzfall‘ ein viel stärkerer Kronzeuge. Selbst wenn man den Nathan für unbedenklich und die Kontroverse für weit hergeholt hält, muss man im Interesse der historischen und der philologischen Sorgfalt anerkennen, dass Lektüren zu einem beträchtlichen Grad kontingent sind und dasselbe literarische Werk von den unterschiedlichsten Ideologien in Beschlag genommen werden kann.

Trojanow bezieht sich in seinem Vortrag auf Vorkommnisse während des Kalten Krieges in Osteuropa und auf den Umgang mit dieser Geschichte. Er erinnert an bestürzende Ereignisse, die mit dem kommunistischen Führerkult, mit Geheimdiensten und willkürlichen Strafen zu tun haben. Er weist auf den in der Tat erstaunlichen Umstand hin, dass „unschuldige“ Opfer viel häufiger literarisch gewürdigt werden als Widerstandskämpfer, und man vor lauter Mitläuferfiguren in der Literatur die Täter nicht sieht.

Es würde der Diskussion gut tun, diese eindrücklich evozierten historischen, historiographischen und literarischen Spezifika nicht vorschnell zugunsten anthropologischer Generalisierungen hinter sich zu lassen.

Titelbild

Ilija Trojanow: Literarische Sprengsätze. Über das Verhältnis von Macht und Widerstand. Vortrag und Gespräch mit Michael Kerbler.
Wieser Verlag, Klagenfurt 2017.
63 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-13: 9783990292853

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