Raumnarrative

Ein vielfältiger Sammelband erforscht globale Gewalträume

Von Franz Sz. HorváthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Sz. Horváth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die topologische Wende der Geschichtswissenschaften, also die Hinwendung zur historischen Wirkmächtigkeit von Räumen, liegt nunmehr einige Jahrzehnte zurück. Der bereits vor drei Jahren erschienene Sammelband von Ulrike Jureit bietet unter dem Titel Umkämpfte Räume. Raumbilder, Ordnungswille und Gewaltmobilisierung einen Überblick über eine besondere Kombination und Deutung historischer Phänomene, die der „Gewalträume“. Darunter verstehen die Herausgeberin und Felix Schnell, die sich dem Begriff auf der theoretischen Ebene nähern, einen sozialen Raum auch im übertragenen Sinn. Dieser werde durch die gewalttätigen und -bereiten Handlungen von Akteuren erzeugt und wirke auf diese zurück. Dabei gehe es stets um eine partikulare Gewalt, die von einer zentralen und institutionellen Macht immer weniger kontrolliert werde. Die so entstehenden Strukturen erzeugten sowohl eine Sprache als auch eine Kultur der Gewalt, die zur Erosion und zum Kippen der tradierten sozial-politischen Ordnung und des Wertesystems führe, weil sich diese Gewalt für immer mehr Akteure lohne. Terror, Ausbeutung und der Zusammenbruch herkömmlicher Ordnung destabilisierten einen Raum genauso wie die dortigen Menschen. Da jedoch in Gewalträumen vielfältige Akteursgruppen miteinander um die Hegemonie konkurrierten, setze sich gewöhnlich nach einem Prozess der Auszehrung eine dieser Gruppen durch, errichte eine Art von Herrschaft und überwinde damit den Gewaltraum.

Das Konzept der Gewalträume eignet sich somit bestens zur Erfassung und Deutung von Gewaltausbrüchen und Auseinandersetzungen in „umkämpften Räumen“ – so die Überschrift des ersten Aufsatzblocks. Aus diesem ist insbesondere der Beitrag von Michael Schwarz hervorzuheben, der ethnische Säuberungen durch die Spanier, die Amerikaner und im Osmanischen Reich darstellt. Grenzverläufe stellen ebenfalls besondere Räume dar, in welchen Gewaltanwendung stets eine Rolle spielte. Die Aufsätze des zweiten Teils sind daher Gewaltzonen und Grenzkonflikten in Afrika, Russland, Asien und Amerika gewidmet. Die letzten beiden Aufsatzblöcke stellen „leere und entleerte Räume“ in den Mittelpunkt: Thematisiert werden unter anderen „die Mandschurei in imperialen Raumvorstellungen“ (Sören Urbansky), „zionistische Aneignungen des Raumes“ (Miriam Rürup), die „Legitimierung preußisch-deutscher Herrschaft im 19. Jahrhundert“ (Gregor Thum) oder ein aufschlussreicher Vergleich des amerikanischen Westens mit der nationalsozialistischen „Lebensraum im Osten“ (Jens-Uwe Guettel).

Titelbild

Ulrike Jureit (Hg.): Umkämpfte Räume. Raumbilder, Ordnungswille und Gewaltmobilisierung.
Wallstein Verlag, Göttingen 2016.
328 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835319219

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