Mit Liebesbriefen fing es an

Pointiert und sprachlich ausgefeilt erinnert sich Peter Wawerzinek in „Bin ein Schreiberling“ an drei Jahrzehnte inner- und außerhalb des Literaturbetriebs

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nein, ein „Schriftsteller“ will er nicht genannt werden, denn „Schreiberling und Schriftsteller trennen Welten“, wie es an einer Stelle von Peter Wawerzineks kleiner Reise zu den Höhe- und Tiefpunkten seines Autorenlebens heißt, die den programmatischen Titel Bin ein Schreiberling trägt. Schriftsteller – das sind all die anderen. Diejenigen, die sich an den Großen der Zunft orientieren und die ihre festen Gewohnheiten haben, von denen abzuweichen bedeuten würde, das „Werk“ zu gefährden. Schriftsteller gehören zum Literaturbetrieb, besitzen einen bestimmten Bekanntheitsgrad, müssen sich nicht immer wieder neu beweisen und bekommen „alle gängigen Huldigungen turnusmäßig“ frei Haus geliefert. Und weil sie schon früh in ihrem Literatenleben „endversorgt“ sind, ahnen sie kaum, „wie hungrig man in seinem Künstlerleben bleiben muss“, will man in erster Linie vor sich selbst und erst danach vor Lesern und Welt bestehen.

Da ist der „Schreiberling“ doch ein ganz anderer Kerl. „Frei von hemmender Absicherung“, findet er sich „in jeder Enge zurecht“, „isst im Stehen neben dem Herd“, will nichts anderes als ein ehrlicher „Handwerker“ sein und hat sich „das Rüstzeug und den Heißhunger auf das Schreiben durch Teilnahme am Normalleben erarbeitet“. Und auch wenn „Schreiberling“ in den Ohren vieler anderer nach „Beikoch, Volontär, Farbenmischer oder Ersatztorwart“ klingt: „Schreiberling will ich heißen. Darunter mache ich es einfach nicht.“

Mit dieser Maxime ist Peter Wawerzinek (1954 als Peter Runkel in Rostock geboren) seit den späten 1980er-Jahren literarisch unterwegs. Nun hat er in 31 kurzen, jeweils mit einem Schlagwort überschriebenen Kapiteln Bilanz gezogen über gut drei Jahrzehnte als Autor, literarischer Parodist, anarchischer Performance-Künstler und wortgewandter Stegreif-Poet.

Entstanden ist das launig-pointierte Porträt eines von Anfang an Unangepassten. Eines Bohemiens, der in der Ostberliner Prenzlauer-Berg-Szene der späten 1980er-Jahre ein und aus ging und doch nicht dazugehören wollte. Eines „See-, Orts- und Stadtschreibers“, der „in bösen Saufzeiten hoffnungslos verloren schien“ – der Roman Schluckspecht thematisierte 2014 Wawerzineks fünfjährige freiwillige Therapie in Wewelsfleth samt ihrer Jahrzehnte zurückreichenden Vorgeschichte – und sich nach seinem Klagenfurter Triumph beim Ingeborg-Bachmann-Preislesen 2010 einer „Karawanserei aus Stipendien, Lesehonoraren, Preisgeldern und Zuwendungen aus irgendwelchen Großkassen“ konfrontiert sah, die es ihm endlich erlaubte, sich ein wenig unabhängiger zu fühlen.

Zu Kreuze kriechen sah man Wawerzinek jedenfalls nie. Und auch der späte Ruhm, der mit Klagenfurt und dem erschütternden Roman Rabenliebe (2010) kam, ohne aus seinem Autor eine Instanz des verhassten Literaturbetriebs zu machen, stieg ihm nicht zu Kopf, selbst wenn das an einigen wenigen Stellen des vorliegenden Erinnerungsbuches so scheinen mag.

Angefangen hat es mit dem „Schreiberling“ Peter Wawerzinek jedenfalls ganz banal. Einer, der sonst nicht weiter auffällig ist, Kind einer Mutter, die ihn, seine Schwester und das östliche Deutschland früh verließ, um im Westen ein neues Leben mit einer neuen Familie zu beginnen, aufgewachsen in Heimen und bei Pflegeeltern, still und in sich gekehrt, entdeckt eines Tages das Mittel, mit dem er die „Raubeine des Ortes“, die „poetisch nichts in ihren Birnen“ hatten, auf seine Seite bringen kann: Er macht ihnen den Ghostwriter, sorgt mit Liebesbriefen und schnell zusammengeschusterten Versen für ihren Erfolg bei den leicht zu beeindruckenden Mädchen. Als dann noch ein Deutschlehrer hinzukommt, wie man ihn jedem nur wünschen kann, agil und literaturbesessen, den Lehrplan ignorierend und zu eigener Textproduktion ermutigend, liegt der weitere Lebensweg glasklar vor dem sprachbegabten Jungen.

„Der erste Schriftsteller, den ich kennenlernte, hieß Jan Koplowitz, kam aus Berlin, trug weißes Langhaar und einen Rauschebart.“ Die Begegnung mit dem später als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit eine unrühmliche Rolle spielenden deutsch-jüdischen Autor (1909–2001) prägt Wawerzineks Wunsch, zu schreiben genauso wie seine intensiven Lektüren von Dylan Thomas bis zu den Reiseabenteuern des Marco Polo.

„Das Rüstzeug und den Heißhunger auf das Schreiben“ freilich erarbeitet er sich durch seine „Teilnahme am Normalleben“. Nach einem gescheiterten Studium an der Kunsthochschule Berlin sucht er sein Auskommen in den 1980er-Jahren als Friedhofsangestellter, arbeitet in einer Tischlerei, als Hausmeister, Postbote, Zugkellner, Telegrammzusteller und schließlich Rampenwart. Es ist nicht nur eine Schule des Lebens, sondern auch eine der Sprache(n). Die zahllosen Leseerlebnisse jener Jahre machen ihn zunächst zum – auch mit Freunden auf kleinen, spontan organisierten Tourneen durchs Land ziehenden – Parodisten, Sänger und Stegreif-Poeten, ehe dann erste Gedichte und kurze Texte das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Der „Schreiberling“ ist geboren.

Und der weiß von Beginn an zu unterscheiden zwischen denen, zu welchen er sich selbst zählt – Adolf Endler als sein großes Vorbild, Wolfgang Hilbig, Matthias Baader Holst, Stefan Döring, Erich Arendt und Elke Erb gehören dazu –, und jenen, zu denen er Distanz wahrt. Stefan Heym etwa ist ihm zu „wichtigtuerisch“, „vorlaut und selbstsüchtig um Aufmerksamkeit bemüht“ wie Günther Grass auf der anderen Seite der Mauer, die noch steht, als Wawerzinek sich auf den Weg unter die Poeten macht. Die Dissidentenszene rund um den Prenzlauer Berg beäugt er mit Misstrauen. Für ihn besteht sie hauptsächlich aus „Menschen, die es mit der Konspiration, nicht aber Inspiration hatten“. Und überhaupt: „Dissidenten gab es eine Menge in diesem Land, gute Dichter aber waren rar.“

In Bin ein Schreiberling nimmt Peter Wawerzinek kein Blatt vor den Mund. Die eingangs beschriebene Grundantinomie zwischen „Dichter[n] mit Mumm“ und solchen mit „Berechtigungsschein“ durchzieht die gut 150 Seiten wie ein roter Faden. Die Knappheit der meisten der 31 Kapitel verhindert ein Autobiografien sonst häufig kennzeichnendes weitschweifiges Einlassen auf Lebens- und Karrieresituationen. Weitschweifigkeit gehörte freilich noch nie zu den stilistischen Eigenheiten dieses Autors. Und so erfreuen auch in seinem neuen Buch am meisten jene Passagen, wo in wenigen Sätzen mit viel Lebenszeit und -mut erkaufte Überzeugungen und Erkenntnisse auf den Punkt gebracht werden. Wie zum Beispiel die Gewissheit, die Wawerzinek von seiner vorerst letzten Stadtschreiber-Mission im sächsischen Dresden und angesichts der dortigen Pegida-Demonstrationen mit nach Hause zurücknahm: „dass die besseren Dresdner alle vom P besetzten Plätze wieder zurückerobern, das P aus dem Stadtzentrum heraus drängen werden, damit die Sonne wieder schön wie nie über Deutschland scheint.“

Titelbild

Peter Wawerzinek: Bin ein Schreiberling.
Transit Buchverlag, Berlin 2017.
143 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783887473419

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