Der Raubvogel als Spiegel des Autors

T.H. Whites Klassiker „Der Habicht“ aus dem Jahr 1951 folgt in seiner deutschen Erstübersetzung der ergreifend tragischen Beziehung zwischen Autor und Tier

Von Felix HaasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Haas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor allem durch seine König Artus- und Science Fiction-Romane war Terence Hanbury (T.H.) White bereits ein wohletablierter Autor, als sein Verleger David Garnett in den späten 1940er Jahren unter Whites Sofakissen eine Zufallsentdeckung machte. 1936 hatte White seine Stellung als Fachleiter für Englisch an der renommierten Stowe School aufgegeben um sich in eine Hütte in Buckinghamshire zurückzuziehen und dort alleine, nur mit seiner Hündin lebend, einen Habicht abzurichten, den ihm ein Freund aus Deutschland geschickt hatte. Es ist Whites Tagebuch jener Zeit, welches sein Verleger zufällig fand und 1951 als The Goshawk (Der Habicht) publizierte.

„Sich unnötiger Besitztümer und größtenteils anderer Menschen zu entledigen – das war es, worauf es im Leben ankommt.“ Dieser Maxime, die sich in „Der Habicht“ findet, blieb White sein Leben lang treu. Nach seiner Zeit in Buckinghamshire, verbrachte er die Kriegsjahre als Verweigerer in einem kleinen Dorf außerhalb von Dublin, und zog 1946 auf die Kanalinsel Alderney, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1964 blieb. Das besagte Manuskript blieb nicht die letzte folgenreiche Entdeckung unter Whites Besitztümern. Zeitschriften und andere Dokumente, die sich unter seinem Nachlass fanden befeuerten langjährige Gerüchte über Whites nicht ausgelebte Homosexualität und sado-masochistische Neigungen.

Der Habicht kann als Bekenntnis und Fabel sowohl für Whites Misanthropie und Verachtung der stetig eskalierenden Vorkriegsereignisse, als auch für seinen Sado-Masochismus gelesen werden. Der Habicht Gos ist dabei Spiegel des Autors und dient ihm abwechselnd als Objekt des Hasses, Neides aber auch Mitleides. Gos ist seiner Wildheit und seinem Wahnsinn wehrlos ausgeliefert und so gleichsam frei, wie verdammt dazu, seine Natur zu leben – etwas zu dem White nie im Stande war. Als er die Abrichtung von Gos beginnt, hat White weder Erfahrung noch Hilfe. Seine einzige Anleitung ist ein Lehrbuch aus dem Jahr 1619. Unter solchen Voraussetzungen scheint die Abrichtung eines Habichts, welche als notorisch schwierig gilt, zum Scheitern verurteilt. Was folgt, ist eine tragische Abfolge von Machtspielen, Willens- und Unterwerfungsdynamiken bei denen der Autor immer wieder an Punkte gelangt wo er sich fragen muss: „Wer war hier eigentlich der Herr und Meister?“, nur um zu konstatieren: „Gos hatte nicht den mindesten Zweifel dran, wer der Sklave war.“

Der Entzug von Schlaf und Futter sind Whites Hauptwaffen in dem andauernden Kampf um Dominanz. Dabei ist er selbst oft so müde, dass er von sich in der dritten Person spricht. Nach mehrfachen Rückschlägen, verbringt White zwei oder drei Nächte ohne Schlaf, einzig um seinem Vogel gleichsam keinen zu gönnen. „Schenke ich ihm auch nur einen Augenblick keine Aufmerksamkeit, kehrt er unweigerlich in seinen ursprünglichen Zustand der Wildheit zurück.“Doch ist seine Verbindung zu Gos nicht nur ein konstanter Kampf, sondern kennt auch ergreifende Zärtlichkeit. So gesteht White noch kurz bevor ihre Beziehung ein tragisches Ende findet, sie hätten sich „erneut ineinander verliebt.“ Er ist ein Suchender, der in Gos ein Geschöpf findet, das ähnlich von seiner Natur gequält wird, und genauso fremd ist wie er. Der Habicht „war ein Fremder aus weit entfernten Schwarzkiefernwäldern“, und White war nicht nur den meisten anderen Menschen fremd, sondern auch sich selbst.

Dass das Tagebuch nun, 68 Jahre nach der Publikation des englischen Originals, erstmals in deutscher Sprache erscheint, mag vor allem Helen Macdonalds autobiografischem Roman H wie Habicht von 2014 geschuldet sein. Wie White zieht sich auch Macdonald von ihrem alten Leben zurück um einen jungen Habicht abzurichten. Während White vor den Menschen, dem aufziehenden Krieg und sich selbst flieht, dient Macdonalds Obsession mit ihrem Vogel der Trauerbewältigung nach dem Tod ihres Vaters. H wie Habicht bezieht sich mehrfach explizit auf White und sein Buch. In vielem wird sie von ihm geleitet, sowohl durch seine Erfolge als auch seine Fehler, die sie minutiös zu vermeiden versucht. Es scheint deshalb nur folgerichtig, dass Macdonalds Vorwort die nun bei Matthes & Seitz erschienene Erstübersetzung des Tagebuchs eröffnet. Ulrike Kretschmers Übersetzung schafft es in diesem schönen Band die Falknersprache des Originals ebenso wie seine emotionale Tiefe zu präservieren. 

Doch bereits kurz vor dem Erscheinen der deutschen Version von H wie Habicht 2015, haben Matthes & Seitz die Übersetzung eines anderen Meisterwerks des englischen Nature Writing publiziert. Der Wanderfalke von J.A. Baker aus dem Jahre 1967 hat anders als bei White und Macdonald nicht die Abrichtung eines Raubvogels zum Gegenstand, sondern begleitet den Autor wie er über ein halbes Jahr hinweg einem Paar Wanderfalken in East Anglia folgt. Der Habicht mag weniger Poesie als Der Wanderfalke und nicht dieselbe Trauer wie H wie Habicht fassen, dennoch ist es ein beachtliches Zeugnis einer ergreifenden Beziehung zwischen Mensch und Tier und nicht nur wegen seiner literaturhistorischen Bedeutung für sein Genre so lesenswert.

Titelbild

T.H. White: Der Habicht.
Übersetzt aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2018.
188 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-13: 9783957576422

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