Auf der Couch

Michael Wolffs vieldiskutiertes Buch über Donald Trumps bisherige Präsidentschaft, ,,Fire and Fury“ , ist verstörend, komisch, erhellend und ärgerlich zugleich

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist eine Szene, die mehr als alles andere erklärt, warum Michael Wolffs schonungslose Abrechnung mit Donald Trump und seinem angeblich inkompetenten Stab mit sehr viel Vorsicht zu genießen ist. In der US-Talkshow des US-Satirikers Bill Maher, wenige Wochen nach Erscheinen des Buches, wird Wolff gefragt, ob es denn noch Enthüllungen gebe, die nicht in seinem Buch stünden. Ja, antwortet dieser, da gebe es etwas tatsächlich Spektakuläres, das dort gegen Ende angedeutet werde, man müsse es nur genau lesen. Maher, offensichtlich bereits vor der Sendung eingeweiht, fragt unverblümt: „Geht es um jemanden, den er fickt?“ Ja, so Wolff weiter, genau das wäre es, ihm fehle nur – dies eine Anspielung auf den Spermafleck auf Monica Lewinskys Kleid, der Bill Clinton seinerzeit der Lüge überführte – das befleckte Kleidungsstück, sonst sei aber alles klar. Worauf die Presse sofort nach Stellen suchte und schnell fündig wurde: Hope Hicks, die 29-jährige Pressefrau, sei Trumps Auserwählte; beide hätten, so Wolff im Buch, „ein unnatürliches Verhältnis“. Nein, schrieben andere, es sei Nicki Haley, die UN-Botschafterin, denn sie „verbringt sehr viel Zeit mit dem Präsidenten allein in der Air Force One.“ Seit Wochen wird nun weiterfabuliert.

Wolff und sein Verlag haben den Rummel um sein Buch präzise inszeniert und genial vermarktet. Trump kocht und tweeted seine üblichen Hasstiraden? Genau das wollte man. Steve Bannon, der undurchsichtige ehemalige Chefstratege, der zwar gefeuert wurde, aber angeblich weiter im Hintergrund die Fäden zieht? Wird nicht nur endgültig von Trump verstoßen, sondern auch von seinen milliardenschweren Geldgebern, den Mercers, fallen gelassen – nachdem in Fire and Fury dessen gesammelte abfälligen Bemerkungen über den Präsidenten und vor allem über dessen Familie genussvoll ausgebreitet wurden. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Das Buch ist sofort nach Erscheinen ausverkauft, die ohnehin schon hohe Auflage musste schleunigst nachgedruckt werden, und dass bei einem unbebilderten, wenig attraktiv gestalteten Sachbuch in Zeiten von E-Books. Klatsch verkauft sich, und die Vorwürfe der Schlamperei und mangelnden Seriosität des Autors tragen im Grunde sogar zum Voyeurismus bei.

Das Bedenklichste allerdings ist, dass Fire and Fury nicht das erste Buch über Trump und seine Präsidentschaft ist, und bei weitem auch nicht das Spektakulärste. Denn, wenn man im letzten Jahr aufmerksam die Nachrichten in seriösen US-Medien wie der Washington Times, der New York Times oder dem Internet-Portal Politico verfolgt hat, so kennt man diese Geschichten sowie die Spekulationen schon zur Genüge. Bis auf einige Seitenhiebe auf den einen oder anderen Mitarbeiter erfährt der Leser in diesem Buch nicht viel Neues; der Inhalt ist schockierend genug, aber eben bereits erzählt. Auf der anderen Seite wird über ein ungleich seriöseres Buch wie das einige Wochen vor Fire and Fury erschienene Collusion, verfasst von Guardian-Journalisten Luke Harding, kaum berichtet; selbst ein Vorabdruck im Stern hat die Debatte über das Buch nicht unbedingt vorangetrieben. Dabei stehen in Collusion die wahrhaft schockierenden Enthüllungen über die jahrelangen Russland-Kontakte Trumps, die Rolle der Deutschen Bank bei der Affäre oder den mysteriösen Verkauf einer völlig überteuerten Villa in Florida an einen russischen Oligarchen. Aber dort stehen weder Sex-Geschichten (von dem mittlerweile sagenumwobenen Tape aus einem russischen Hotelzimmer mal abgesehen) noch Klatsch und Tratsch über die mangelnde Intelligenz der Mitarbeiter des Präsidenten; beides Dinge, die Wolffs Buch zum Erfolg gemacht haben.

Erhellend ist das Buch dennoch. Denn bei aller Kritik, die man am effekthascherischen Stil üben muss, kann man Wolff durchaus glauben, dass er mehr oder weniger direkten Zugang zu den heiligen Hallen des Weißen Hauses hatte und dort zahlreiche Gespräche nicht nur führen, sondern vor allem belauschen konnte. Dabei inszeniert Wolff Steve Bannon als zentrale Figur, die immer wieder zu Wort kommt, und widerspricht dadurch dem Mythos von Bannon als dunkler Eminenz, als Puppenspieler, der, so seine eigene Aussage, „den Staat dekonstruieren“ möchte. Wolff zeichnet eher das Bild eines ungepflegten, ungesunden alten Mannes, der sich mehr und mehr in seine fixen Ideen und seine Paranoia verrennt, bis er kaum noch Schlaf findet aus Furcht davor, die Zügel auch nur für einen Augenblick aus der Hand geben zu müssen. Und dennoch bleibt Bannon die einzige Figur mit Würde, die einer zwar fragwürdigen, aber dennoch konsequent verfolgten Zielsetzung hinterherläuft. Es gibt daher Stellen in Fire and Fury, anhand derer man zu der Erkenntnis kommen könnte, Bannon stecke hinter dieser finalen Abrechnung mit Trump und seinem – so zumindest Wolffs Darstellung, die sich zu großen Teilen aus Bannons scheinbar nicht versiegender Quelle an Anekdoten und Geschichten speist – ausnahmslos unfähigen, intellektuell minderbemittelten und vor allem rückgratlosen Stab. Was der Leser dabei erfährt, ist in den meisten Fällen eine mit Hintergrundwissen angereicherte Vertiefung all jener im Grunde schon unfassbaren Geschichten, die man aus den Medien kennt. Wie man dies letztlich einordnet, und ob es zum Erkenntnisgewinn beiträgt, sei jedem selbst überlassen. Problematisch ist allerdings, wie schnell das Buch schon wieder von der Realität eingeholt wurde. Viele Kritiker bemerkten zurecht, dass das absolute Chaos, das Wolff in Bezug auf das Weiße Haus beschreibt, mit der Ernennung von John Kelly zum neuen Stabschef beseitigt worden sei. So hat Kelly wohl auch bemerkt, dass ein Journalist – Wolff – praktisch zum Inventar geworden war, was letztlich zu dessen Rauswurf führte (und das Buch entsprechend mit der Übernahme Kellys endet). Nach neuesten Meldungen steht nun auch Kelly kurz vor dem Rausschmiss. Vielleicht wittert Wolff schon wieder Morgenluft.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Michael Wolff: Fire and Fury. Inside the Trump White House.
Englisch.
Little, Brown and Company, New York 2018.
336 Seiten,
ISBN-13: 9781408711408

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