Siebenbürgisch träumen

Iris Wolffs „So tun, als ob es regnet“: ein poetischer Roman in vier Erzählungen

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ziemlich genau 100 Jahre umspannt Iris Woffs aus vier eng miteinander verknüpften Erzählungen bestehender Roman So tun, als ob es regnet, an dem vor allem eines besticht: seine ganz ungewöhnliche, sachlich genaue und zugleich poetisch funkelnde sprachliche Schönheit. Wir lesen staunenswert klar beobachtete oder erdachte Szenen, deren geschickt inszenierte Verbindungen die Geschichte einer siebenbürgischen Familie entstehen lassen – eine interkulturelle Geschichte selbstverständlich. Wir lernen einen jungen Mann kennen, der im Ersten Weltkrieg gegen „die Rumänen“ kämpfen muss. Dieser Jacob ist ein Verlorener, in mehrfacher Hinsicht: „Er fühlte sich nicht mehr zugehörig, nicht einem Land, nicht diesem Krieg. Es schien ein anderer gewesen zu sein, der im September unter der Linde am Fluss saß, in lichtheller, alles umfassender Stimmung, als die Karpaten sich noch als harmlose, bewaldete Hügel gezeigt hatten“. Wir lernen den an Schlaflosigkeit leidenden Dauerraucher Elemér kennen und zahlreiche andere Leute aus der siebenbürgischen Zwischenkriegszeit, in der es fast selbstverständlich war, Deutsch, Ungarisch und Rumänisch zu beherrschen: „Sei froh, dass wir in einem Land leben, in dem man einander in drei Sprachen die Liebe erklären kann“.

Sich aus dem Augenblick davonzustehlen – die rumänische Redensart „se face că plouă“ bedeutet genau das und lautet auf Deutsch „So tun, als ob es regnet“ – ist auf Dauer nicht möglich: nächster Krieg, Deportationen und Diktatur, Bedrohung durch die Securitate, das alles gab es und Iris Wolff verschweigt es keineswegs. Aber sie klagt nicht an. Sie erzählt präzise und ruhig, auch vom Schrecklichen. Und sie poetisiert, durchaus im Sinne der Frühromantik. Immer wieder gelingen ihren Figuren kleinen Fluchten, immer wieder findet der Freiheitsdrang irgendeine Gasse. Am Ende lernen wir Hedda kennen, die auf der Aussteigerinsel La Gomera Abstand von ihren nach Deutschland gelangten Eltern sucht – und doch, genau weiß sie das nicht, ab und zu „siebenbürgisch träumt“.

Dieser dritte Roman von Iris Wolff, 1977 in Hermannstadt/Sibiu geboren und heute in Freiburg lebend, ist absolut lesenswert. Er ist ernst, umsichtig und wach, und gleichzeitig ist er sprachtrunken, bezaubernd und tröstlich. Kurz: wunderschön.

Titelbild

Iris Wolff: So tun, als ob es regnet. Roman in vier Erzählungen.
Otto Müller Verlag, Salzburg 2017.
166 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783701312504

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