Der 200. Geburtstag von Theodor Fontane wirft vielfältige Schatten voraus
Der aktuelle Hörbuch-Boom zum Fontane-Jubiläum
Von Manfred Orlick
Zum diesjährigen 200. Fontane-Geburtstag erscheinen in zahlreichen Verlagen nicht nur Neuausgaben seines Werkes und Publikationen, die seine Biografie und verschiedene Aspekte des Fontane-Kosmos beleuchten, sondern auch die Hörverlage liefern seit geraumer Zeit einen beachtlichen Beitrag zu dem Jubiläum.
Der Audio Verlag (DAV) hat dabei vorwiegend auf historische Aufnahmen zurückgegriffen. So enthält Die große Hörspiel-Edition acht Hörspiele aus fünf Jahrzehnten in legendären Rundfunkproduktionen. Die Hörspielfassungen zu der Novelle Unterm Birnbaum (Bearbeitung: Wolfgang Jäger) und zu Effi Briest (Bearbeitung: Gerda Corbett) entstanden bereits 1948 beziehungsweise 1949. Jüngeren Datums (1988) ist die Fassung zu Frau Jenny Treibel (Bearbeitung: Andreas Rumler). Gert Westphal (Bearbeitung und Regie) widmete sich 1983 dem recht unbekannten Roman Unwiederbringlich, der Geschichte eines Ehebruchs. Bereits der Titel lässt vermuten, dass die Geschichte in einer Tragödie endet. Minutiös schildert Fontane, wie zwei charakterlich unvereinbare Eheleute sich gewissermaßen kaum vernehmbar entfremden und schließlich an einen Punkt in ihrer Beziehung geraten, an dem es keine Rettung mehr gibt.
Die anderen Hörspielfassungen sind Bearbeitungen von Schach von Wuthenow (1963, Bearbeitung: Dieter Meichsner), Cécile (1975, Bearbeitung: Hermann Wenninger), Irrungen, Wirrungen (1955, Bearbeitung: Margit Wagner) und Mathilde Möhring (1965, Bearbeitung: Rudolf Noelte). Damit versammelt die Hörspiel-Edition nicht nur Fontanes wichtigste Werke, sie bietet auch zahlreiche namhafte Sprecher/innen auf – von Klaus Ponto, Gert Westphal, Klaus Maria Brandauer, Ruth Leuwerik, Christian Wolff bis zu Pamela Wedekind, die mit ihrer stimmlichen Individualität den Figuren Fontanes Leben einhauchen. Die Bearbeitungen mit umsichtigen Textkürzungen sind meist nahe an den Originalwerken Fontanes. Mitunter führt ein Erzähler durch die Handlung, die gelegentlich auch durch eine musikalische Untermalung unterstützt wird.
Die umfangreiche DAV-Edition Theodor Fontane. Die großen Romane basiert ebenfalls auf historischen ungekürzten Lesungen, die zumeist in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren aufgenommen wurden. Die älteste Produktion stammt aus dem Jahr 1965: Der ehemalige NDR-Sprecher Hugo R. Bartels las Fontanes ersten zeitgenössischen Gesellschaftsroman L’Adultera ein. Die junge Bankiersgattin Melanie van der Straaten verlässt ihren alternden Ehemann und läuft mit ihrem jungen Liebhaber davon. Damit bricht sie mit den elementaren Normen und Regeln der damaligen Gesellschaft. Mit der liebenswerten, aber couragierten Melanie stellte Fontane eine starke Frauenfigur ins Zentrum seiner Geschichte.
Neben den Fontane-Werken, die bereits in der Hörspiel-Edition vertreten sind, finden sich hier noch Lesungen der Novelle Grete Minde und von Fontanes kürzestem Roman Die Poggenpuhls, der lange Zeit als Vorläufer des Stechlins angesehen wurde. Eingerahmt wird diese umfangreiche Roman-Edition von Fontanes erstem Roman Vor dem Sturm (1878) sowie seinem letzten Roman Der Stechlin (1898). Während der vierbändige historische Roman Vor dem Sturm zur Zeit der Befreiungskriege (der Untertitel lautet: Roman aus dem Winter 1812 auf 13) angesiedelt ist, beleuchtet das Spätwerk das Selbstverständnis des Adels am Ende des 19. Jahrhunderts.
Sechs der Fontane-Werke wurden von Gert Westphal eingelesen; die anderen Sprecher waren – neben dem schon erwähnten Hugo R. Bartels – Hans Paetsch, Kurt Böwe, Wolfgang Büttner, Joachim Höppner und Heiner Schmidt. Die insgesamt 14 mp3-CDs bieten immerhin über 80 Stunden Fontane. Jede Lesung mit der zugehörigen mp3-CD (bzw. zwei mp3-CDs) befindet sich in einem eigenen hochwertigen, farbigen Digipack. Diese Einzelausgaben erschienen bereits in den letzten Jahren in der DAV-Hörbuch-Edition Große Werke. Große Stimmen, die die wichtigsten Texte deutscher und internationaler Literatur vereint, vorgetragen von den besten Hörbuchsprecher/innen. Zuletzt erschien hier die Westphal-Lesung von Irrungen, Wirrungen, die zum Fontane-Jubiläum einzeln und in der Edition Theodor Fontane. Die großen Romane erhältlich ist. Beide DAV-Editionen werden von einem Booklet komplettiert, das zu jedem Werk einige kurze Informationen vermittelt.
Der Freiburger Audiobuch Verlag nahm das Fontane-Jubiläum zum Anlass für eine aktuelle Lesung von Effi Briest (2 mp3-CDs). Dafür konnte der Schauspieler und Sprecher Oliver Rohrbeck gewonnen werden, der schon zahlreiche literarische Werke eingelesen hat, vom Kinderbuch bis zum Klassiker. Hier verleiht er der jungen Adligen Effi Briest, dem lebenserfahrenen Baron von Innstetten oder dem „Damenmann“ Major Crampas seine stark veränderbare Stimme, die über die Spieldauer von zwölf Stunden trägt. Mit vielen Schattierungen – mal ernst, dann wieder leidenschaftlich oder melancholisch. Mit Dynamik, Farbe und Timbre in der Stimme erweckt er die Figuren von Fontanes Erfolgsroman zu neuem Leben.
Erwähnt werden muss auch Die Theodor Fontane Hörbibliothek aus dem Verlag steinbach sprechende bücher. Auf 5 mp3-CDs (Laufzeit: 41 Stunden) präsentiert sie sieben Fontane-Werke in ungekürzten Lesungen – neben bekannten Werken (Effi Briest, Irrungen, Wirrungen, Unterm Birnbaum, Der Stechlin) auch die autobiografischen Erinnerungen Das Bild meines Vaters, die Erzählung Tuch und Locke sowie den Berliner Sittenroman Stine, in dem Fontane zum wiederholten Mal das Thema der unstandesgemäßen Liebe aufgreift und die vorherrschenden, engen Gesellschaftsnormen entlarvt.
Für Juni schließlich hat der Münchner Hörverlag die Fontane-Edition Balladen – Kinderjahre – Durch die Mark Brandenburg mit Gert Westphal angekündigt. Die 9 mp3-CDs (Laufzeit: 40 Stunden) werden Meine Kinderjahre (vollständige Lesung), Wanderungen durch die Mark Brandenburg (gekürzte Lesung) sowie eine Auswahl von Gedichten und Balladen bringen.
Bis zum Fontane-Jubiläum am Ende des Jahres gibt es mit diesen zahlreichen Hör-Editionen also bereits Monate zuvor reichlich Gelegenheiten, die Werke des bedeutendsten deutschen Vertreter des Realismus akustisch kennenzulernen oder wiederzuentdecken. Rund 200 Stunden Fontane für die Ohren – bis zum 30. Dezember also täglich eine Stunde. Ob Fonty das gewollt hat?
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