Ein Schriftstellerleben wie ein Abenteuerroman

Zum 150. Todestag von Alexandre Dumas d.Ä.

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Einer für alle – alle für einen“ – mit diesem Wahlspruch stürzten sich die Helden von Alexandre Dumas ins Getümmel. Er war einer der erfolgreichsten, beliebtesten und produktivsten Schriftsteller seiner Zeit, der Abenteuergeschichtenerzähler des 19. Jahrhunderts. Er erfand nicht nur Die drei Musketiere sondern auch den märchenhaften Rachefeldzug des Grafen von Monte Christo. Mit seinen Mantel-und-Degen-Geschichten – häufig in gekürzten Jugendbuchausgaben – sind Generationen von Lesern aufgewachsen, und sie wurden unzählige Male verfilmt.

Als Alexandre Dumas Davy de la Pailleterie am 24. Juli 1802 in Villers-Cotterêts im französischen Département Aisne geboren, war er der Sohn des ersten dunkelhäutigen Generals der französischen Armee und einer Gastwirtstochter. Der Großvater war ein reicher Plantagenbesitzer auf Saint Domingue (heute Haiti) gewesen und hatte mit der Sklavin Marie-Césette vier Kinder. Zeitlebens wurde Alexandre Dumas wegen seiner kreolischen Herkunft oft diskriminiert. Noch bevor er mit Die drei Musketiere und Der Graf von Monte Christo weit über Frankreich hinaus bekannt wurde, hatte er sich daher 1843 in dem frühen Roman Georges mit Kolonialismus und Rassismus auseinandergesetzt.

Dumas‘ Vater starb schon 1806, so erhielt der kleine Alexandre keine ordentliche Schulbildung. Bereits mit vierzehn Jahren arbeitete er als Schreiber in einer Notarskanzlei, wo er früh sein schriftstellerisches Talent entdeckte. Dazu kam sein ausgesprochener Bildungshunger. Mit zwanzig verließ er die Provinz und ging nach Paris, wo er einen Posten im Büro des Herzogs von Orléans erhielt, dem späteren „Bürgerkönig“ Louis-Philippe. Nebenbei versuchte sich Dumas als Stückeschreiber. Zunächst mit wenig Erfolg, aber bei der Premiere seines historischen Dramas Heinrich III. und sein Hof (1829) gab es tosenden Beifall. Der literarische Ehrgeiz des kleinen Angestellten Dumas erhielt einen neuen Auftrieb. Es folgten zahlreiche weitere erfolgreiche Stücke, oft in Zusammenarbeit mit anderen Autoren, die aber heute selbst in Frankreich in Vergessenheit geraten sin.

Während der Juli-Revolution 1830 kämpfte Dumas auf den Pariser Barrikaden: Nach eigener Darstellung wurde er sogar zum Retter der Revolution, da es ihm angeblich mit einem Husarenstreich gelang, aus dem hundert Kilometer entfernten Soissons Schießpulver heranzuschaffen. Neben seinen dramatischen Werken wandte sich Dumas ab 1835 der Prosa zu. Zunächst verfasste er zahlreiche Reisebilder, die von den Zeitungen als „malerische und poetische Reiseführer“ abgedruckt wurden.

Die Ereignisse der gescheiterten Revolution hatten bewirkt, dass sich Dumas intensiv mit der französischen Geschichte beschäftigte, was ihn zum damals modischen Genre der historischen Erzählungen und Romane führte. Die Tageszeitungen unternahmen ungeheure Anstrengungen, um ihren Leserkreis zu erweitern. Das konnte man am besten mit dem Feuilleton erreichen, das zur großen Triebfeder des Fortsetzungsromans wurde. Dumas beherrschte wie kein anderer die Technik des Feuilletons; als Stückeschreiber kam ihm hier sein Sinn für das Dramatische trefflich zustatten. Außerdem verstand er es, seine Leser mit effektvollen Dialogen und schillerndem Lokalkolorit zu fesseln, und mit spannungsgeladenen Momenten am Kapitelende machte er sie neugierig auf die nächste Ausgabe der Zeitung. Pauline und Le Capitaine Paul (beide 1838) waren seine ersten historischen Romane, die beim Lesepublikum großen Anklang fanden.

Dumas, bereits vierzig Jahre alt und inzwischen ein literarischer Star, hatte aber noch keine einzige Zeile jener Romane geschrieben, die später seinen Weltruhm begründen sollten. Das änderte sich im nächsten Jahrzehnt grundlegend. Er gewann den Historiker Auguste Maquet (1813–1888) als zuverlässigen und belesenen Mitarbeiter für seine Romanproduktionen. Die beiden ergänzten sich hervorragend. Für Dumas, übersprudelnd vor immer neuen Einfällen, war Maquet mit seinen Recherchen in Archiven und Bibliotheken ein genialer Lieferant. Es begannen zehn glorreiche Jahre, in denen das Team Dumas-Maquet alle Rekorde brach und einen in der Literaturgeschichte einmaligen Höhepunkt erreichte. Mit mehrbändigen Romanen nahm man die Feuilletons mehrerer großer Zeitungen regelrecht in Beschlag, bevor die Geschichten als Bücher gedruckt und zum Teil anschließend für die Bühne adaptiert wurden.

Dumas wollte sein Publikum auf unterhaltsame Weise mit der französischen Geschichte vertraut machen. Dabei kümmerte er sich wenig um historische Fakten, vielmehr ließ er seiner Phantasie freien Lauf. Täglich mussten neue Texte produziert werden. Das war nur mit einer ganzen Mannschaft anonymer Mitarbeiter zu schaffen. Eine enorme Serienproduktion, die einer literarischen Fließbandarbeit gleichkam. Die drei Musketiere, Der Graf von Monte Christo, Zwanzig Jahre danach, Königin Margot, Der Mann mit der eisernen Maske oder Das Halsband der Königin waren nur die bekanntesten Werke dieser grandiosen Schaffensperiode, der wir heute noch die packendsten Romane der Weltliteratur verdanken. Mitunter arbeitete Dumas gleichzeitig an mehreren Romanen. Im Jahr 1845/46 veröffentlichte er nicht weniger als sechzig Bücher. Die äußerst fruchtbare Zusammenarbeit endete 1851 mit einem erbitterten und jahrelangen Streit um die Urheberschaft der Werke. Vor Gericht wurde Maquet schließlich eine finanzielle Beteiligung von 20 Prozent zugesprochen, allerdings keine Nennung als Autor.

Aber nicht nur die Romane waren mit Abenteuern, Intrigen, Liebesbeziehungen oder tödlichen Duellen angereichert, auch Dumas‘ Leben glich einem wahren Abenteuer. Er duellierte sich mehrfach, unterstützte den italienischen Revolutionär Garibaldi und hatte mehrere Affären. Trotz seiner gewaltigen Einkünfte geriet er durch seinen extravaganten Lebensstil immer wieder in finanzielle Not. Ständig hatte er eine Schar von Gästen um sich und den Frauen gegenüber war er stets spendabel. In den finanziellen Ruin trieb in schließlich sein „Théâtre Historique“, mit dem er seinen Traum von einer eigenen Bühne verwirklichen wollte. Auf der Flucht vor seinen Gläubigern reiste Dumas oft quer durch Europa. Die Aufenthalte vermarktete er anschließend als Reisereportagen. Zudem publizierte er sein bewegtes Leben in vielbändigen Memoiren und wagte sich an ein Projekt, das ihm als Gourmet schon lange vorgeschwebt hatte: Das große Wörterbuch der Kochkünste, das aber erst posthum erschien In seinen letzten Lebensjahren lebte Dumas bei seinem Sohn Alexandre (Dumas der Jüngere und Autor der berühmten Kameliendame). Hoch verschuldet starb er am 5. Dezember 1870 in Puys. Durch die Kriegswirren wurde sein Tod von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

2002, zum 200. Geburtstag, wurden seine Gebeine ins Pariser Pantheon überführt. Eine späte Würdigung, die ihm zu Lebzeiten stets verwehrt wurde, und wohl auch ein politisches Zeichen gegen Rassismus in unserer heutigen Zeit. Seitdem hat nicht nur in Frankreich eine breite Aufarbeitung und Wiederentdeckung des Schriftstellers begonnen. Dumas‘ Werk wird auf etwa 500 bis 600 Bände geschätzt, bevölkert mit rund 37.000 Romanfiguren. Er soll einmal geäußert haben, dass er seine eigenen Werke niemals vollständig gelesen habe. Er hat sich auf das Schreiben konzentriert, das Lesen überließ er weitgehend seinem Publikum.

Zum diesjährigen 150. Todestag hat der Kulturwissenschaftler Ralf Junkerjürgen mit Alexandre Dumas – Der vierte Musketier eine bemerkenswerte Biografie vorgelegt, die die wichtigsten Lebensstationen mit dem schriftstellerischen Schaffen verbindet. Sie beleuchtet den Weg von der „Schreibkraft zum Dichter“, die Eroberung der Theaterbühnen und schließlich mit der Hinwendung zum historischen Roman zum „ersten Superstar“ der entstehenden Massenöffentlichkeit. Auch die enge Verzahnung von Literatur, Gesellschaft und Geschichte in der Mitte des 19. Jahrhunderts wird aufgezeigt. Befreundet mit vielen namhaften Persönlichkeiten, stand Dumas im Zentrum der Gesellschaft und erlebte so die Umwälzungen seiner Zeit unmittelbar mit. Auch das bewegte Leben seines Vaters, der nach der Revolution eine steile Karriere machte, wird kurz skizziert. Als Quellen dienten Junkerjürgen Dumas‘ Memoiren, seine Korrespondenz und Reiseberichte sowie zahlreiche Zeugnisse aus der Presse und von Wegbegleitern. Der Untertitel der Biografie mag etwas verwundern, da es ja im Roman mit d’Artagnan, Athos, Porthos und Aramis bereits vier Musketiere gibt, doch der Buchtitel Drei Musketiere ging damals auf einen Vorschlag des Zeitungsherausgebers zurück. Dumas willigte schließlich ein, da absurde Titel einen größeren Verkaufserfolg versprachen. Die Biografie von Junkerjürgen schließt außerdem eine Lücke im deutschsprachigen Raum, denn seit 2002 (Günter Berger: Alexandre Dumas, dtv) wurde eine Würdigung schmerzlich vermisst.

Im Anaconda Verlag ist eine Jubiläums-Kassette mit den drei Romanen der Musketiere-Reihe erschienen. Auf 2000 Seiten kann man in die zahlreichen Abenteuer der drei unzertrennlichen Freunde Athos, Porthos und Aramis eintauchen. Gemeinsam mit dem jungen Heißsporn d’Artagnan müssen sie zahlreiche Fechtduelle und Schlachten bestreiten; gilt es doch die mörderischen Intrigen des machtbesessenen Kardinal Richelieu und der skrupellosen Lady de Winter zu durchkreuzen, um die Ehre der Königin zu retten. Die Trilogie endet mit dem tragischen Tod des Draufgängers d’Artagnan kurz nachdem ihn der König zum Marschall von Frankreich ernannt hat.

„Seltsam“, sagte d’Artagnan, „ich sehe weder die Fahne des Königs auf den Mauern, noch höre ich die Schamade schlagen.“
Dann griff er nach der Schatulle. Sie gehörte ihm, er hatte sie wohlverdient.
Schon streckte er die Hand nach ihr aus, als eine Kugel, die von der Festung herüberkam, d’Artagnan mitten in die Brust traf; er brach zusammen, während der liliengeschmückte Stab aus der Schatulle fiel und zu Boden rollte.
D’Artagnan suchte sich aufzurichten. Ein erschreckter Aufschrei war aus den Reihen der Offiziere aufgegellt. Der Marschall war blutüberströmt. Schon entfärbte die Blässe des Todes seine Züge.
Auf einen Arm gestützt, sah er zur Festung hinüber, und jetzt erkannte er das weiße Banner. Sein Ohr, schon zur Hälfte taub gegen die Geräusche des Lebens, vernahm noch den Schlag der Trommeln, die den Sieg verkündeten.
Er krampfte seine Hand um den Marschallstab und sank zurück, einige Worte murmelnd, die keiner seiner Soldaten verstand. „Athos, Porthos, auf Wiedersehen! Aramis, leb wohl!“

Porthos und Athos waren bereits vor d’Artagnan gestorben. Dumas soll geweint haben, als er ihren Tod zu Papier brachte. Allein Aramis, inzwischen spanischer Botschafter, überlebt. Ergänzt wird die Schmuckausgabe (ein Nachdruck des Verlages Rütten & Loening, 1955 und 1971, bzw. des Aufbau Taschenbuch Verlages 1998) durch ein umfangreiches Nachwort Alexandre Dumas – Schriftsteller und Abenteurer von Christine Wolter.

Etwas handlicher ist die dtv-Taschenbuchausgabe der Drei Musketiere in einer Überarbeitung der Übersetzerin Michaela Meßner, die ebenfalls das Dumas-Jubiläum bereichert. Bereits 2011 erschien im Deutschen Taschenbuch Verlag eine ungekürzte Ausgabe (knapp 1500 Seiten) von Der Graf von Monte Christo, die in den zurückliegenden Jahren immerhin sechs Auflagen erlebte. Der junge Seemann Edmond Dantès wird am Tage seiner Hochzeit verhaftet. Fälschlicherweise der Napoleontreue (man schreibt das Jahr 1815) angeklagt, wird er zehn Jahre auf der berüchtigten Gefängnisinsel Île d‘If eingekerkert. Nach einer abenteuerlichen Flucht und im Besitz eines ungeheuren Schatzes rächt er sich an seinen Widersachern für erlittenes Unrecht:

Lebt wohl, Güte, Menschenfreundlichkeit, Dankbarkeit… lebt wohl, ihr sämtlichen Gefühle, die das Herz aufgehen lassen! Ich habe mich an die Stelle der Vorsehung gesetzt, um die Guten zu belohnen… Jetzt möge der Gott der Rache mir sein Amt abtreten, um die Bösen zu bestrafen!

In seinem Nachwort Money, money, money… – Alexandre Dumas’ Roman „Der Graf von Monte Christo“ (1844/1846) beleuchtete der Germanist Thomas Zirnbauer u.a. die Entstehungsgeschichte, die historischen Hintergründe des Romans sowie dessen zahlreiche Bearbeitungen für Theater, Film und Fernsehen.

Nichts deutet darauf hin, dass Dumas so schnell vergessen wird. Figuren wie d’Artagnan, Athos, Porthos und Aramis oder der Graf von Monte Christo sind bis heute jedem ein Begriff und werden auch weiterhin Generationen von Leserinnen und Lesern begeistern sie sind scheinbar unsterblich.

Titelbild

Ralf Junkerjürgen: Alexandre Dumas. Der vierte Musketier.
wbg Theiss, Darmstadt 2020.
271 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783806241273

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Alexandre Dumas: Die drei Musketiere / Zwanzig Jahre später / Mann mit der eisernen Maske – 10 Jahre später. Mit einem Nachwort von Christine Wolter.
Aus dem Französischen von Herbert Bräuning / Christine Hoeppener / Edmund Th. Kauer (bearbeitet von Susanne Döbert).
Anaconda Verlag, Köln 2020.
Box mit drei Bänden. 2000 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783730609156

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Titelbild

Alexandre Dumas: Die drei Musketiere.
Mit einem Nachwort von Joachim Schultz.
Aus dem Französischen von A. Zoller (neu überarbeitet von Michaela Meßner).
dtv Verlag, München 2020.
752 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783423147651

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