Dichtung und Wahrheit

„Ein Leben in Worten“: Zum 70. Geburtstag beschenkt sich Paul Auster mit einem dicken Interviewband über sein Gesamtwerk

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Paul Auster feierte kürzlich seinen 70. Geburtstag und beschenkte sich selbst mit seinem mit Abstand umfangreichsten Roman, dem mehr als tausend Seiten umfassenden 4321. Als Bonus erscheint zeitgleich ein 400-seitiger Interviewband, der aus Gesprächen besteht, die die dänische Literaturwissenschaftlerin Inge Birgitte Siegumfeld mit dem Schriftsteller führte. Der liest sich auf den ersten Blick ermüdend, doch ist dank seiner Konzeption ein wahres Fest für die vielen Leser, die von Austers Romanen in den letzten 35 Jahren in ihren Bann gezogen wurden. Denn jedes der 19 Prosawerke des Autors wird, in chronologischer Reihenfolge – lediglich noch einmal unterteilt in „Autobiographische Schriften“ und „Romane“ –, ausführlich diskutiert.

Dies ist zunächst einmal ein sehr löbliches Unterfangen, erlaubt es dem Leser doch, hinter die Kulissen von Austers Romanen zu blicken, neue Deutungsmöglichkeiten zu entdecken und vor allem Zusammenhänge herzustellen. In Bezug auf den ersten Teil – die autobiographischen Schriften – gelingt dies auch sehr gut. Da Auster hier in erster Linie über sich selbst sprechen kann, ohne Angst haben zu müssen, Fiktion und Realität zu vermischen und zu viel über den Schöpfungsprozess preiszugeben, ist die Diskussion von Büchern wie Die Erfindung der Einsamkeit oder Winterjournal auch für den Auster-Kenner sehr erhellend. Da er von Anfang an festhält, er halte nicht viel von fiktionaler Verschleierung der Realität und habe deswegen seine als autobiographisch markierten Texte nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben, bekommt man tatsächlich das Gefühl, dem Menschen Paul Auster näher zu kommen und freut sich auf den zweiten Teil, wenn die 14 Romane (ein Gespräch über 4321 ist noch nicht enthalten) diskutiert werden.

Leider funktioniert dieser zweite Teil wesentlich schlechter als der erste. Recht schnell stellt sich die Frage: Wer ist eigentlich der Adressat dieses Buches? Menschen, die die jeweiligen Romane nicht kennen, können mit dem entsprechenden Gespräch nur wenig anfangen. Ich selbst habe – als einziges Auster-Werk – Timbuktu nicht gelesen und konnte dem Gespräch nicht folgen; ähnlich erging es mir bei Romanen, die ich nicht mehr gut in Erinnerung hatte, wie etwa Unsichtbar. Bei Werken wiederum, die man als Leser noch präsent hat, wirkt die (nachvollziehbar) ausweichende Art Austers manchmal etwas zu konstruiert.

Siegumfeld, die eine zwar kenntnisreiche, souveräne, interessante, aber (auch das liegt wohl in der Natur der Sache) allzu unterwürfige Gesprächsführung aufweist, stellt interessante Fragen, die der Autor nur teilweise beantworten möchte. Gleichzeitig erfährt man – dies wäre vielleicht gerade für Auster-Anhänger interessant gewesen – nicht immer genug über die Entstehungsumstände. Gerade banalere unterhaltsame Anekdoten rund um die Bücher hätten die Interviews aufgelockert, stattdessen gehen die beiden zu oft ins Detail, dem ein Leser, der das Buch nicht gelesen hat (oder sich nicht so genau daran erinnert) nicht mehr folgen kann.

Trotzdem ist allein die Tatsache, dass dieses Buch veröffentlicht wurde, ein erheblicher Grund zur Freude, ist Auster doch ein Schriftsteller, der, gerade in Deutschland, eine sehr breite, nicht selten nahezu fanatische Leserschaft hat, die sein Gesamtwerk als einen einzigen, sich stetig fortschreibenden Text versteht. Und genauso möchte auch Auster sein Werk verstanden haben, wie in den Gesprächen immer wieder durchdringt.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Paul Auster: Ein Leben in Worten. Ein Gespräch mit Inge Birgitte Siegumfeldt.
Übersetzt aus dem Englischen von Wener Schmitz und Silvia Morawetz.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
414 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783499272615

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