Wie Frauen Berufsfelder eroberten

Mit ihrer instruktiven Untersuchung „Garten, Gefängnis, Fotoatelier“ betritt Mette Bartels Neuland auf dem Forschungsgebiet der Geschichte der deutschen Frauenbewegung

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel des vorliegenden Bandes überrascht, scheint die Trias Garten, Gefängnis, Fotoatelier doch ausgesprochen willkürlich zusammengestellt. Tatsächlich gibt es aber ein einheitsstiftendes Moment: Um 1900 „forcierten frauenbewegte AktivistInnen strukturelle Möglichkeiten sowie Einrichtungen für die Ausbildung von Gärtnerinnen, Gefängnisbeamtinnen [und] Fotografinnen“. Einen vierten, in dem Buch ebenfalls behandelten Bereich verschweigt der Titel: den der Haushaltungslehrerinnen. Mette Bartels untersucht erstmals die von den Feministinnen der sogenannten bürgerlichen Frauenbewegung angewandten Strategien zur Förderung von „Berufsfindungsprozessen“ in den vier Ausbildungs- und Berufsbereichen.

Zudem erhebt die Autorin den

Anspruch, bisher nahezu bis gänzlich unbekannte AkteurInnen der Frauenbewegung sichtbar zu machen sowie nach frauenbewegten Wirkungskreisen in ländlichen und kleinstädtischen Regionen zu fragen.

In den dem Haupttext angehängten „Biografische[n] Skizzen“ werden die AkteurInnen von Bartels noch einmal in alphabetischer Reihenfolge vorgestellt.

Ein weiteres wichtiges Erkenntnisziel besteht darin nachzuweisen, dass der radikale und der gemäßigte Flügel der Frauenbewegung nicht strikt voneinander getrennt waren, sondern es zahlreiche personelle wie auch inhaltliche Überschneidungen gab. So schrieben Frauen des einen Flügels fast schon regelmäßig in Publikationen des anderen oder sie wechselten im Laufe ihres Engagements die Seiten. Bartels spricht daher von „fluiden Grenzen“ zwischen beiden Flügeln. Bei den Begriffen gemäßigt und radikal handelt es sich zudem um historische, genauer gesagt zeitgenössische Bezeichnungen. Im ersteren Fall ist es eine pejorative Fremdbezeichnung durch den radikalen Flügel, im zweiten um dessen Selbstbezeichnung. Da die Forschung bislang noch keinen brauchbaren Ersatz für die Unterscheidungsbegriffe entwickeln konnte, kursiviert Bartels sie, um so deutlich zu machen, dass sie „historisiert und mit kritischer Distanz verwendet werden müssen“. Meine Besprechung des Buches folgt dieser Handhabung.

Ebenso wie die Charakterisierung als gemäßigt wurde auch der „Begriff der ‚bürgerlichen’ Frauenbewegung“ zur Zeit der ersten Frauenbewegung pejorativ benutzt – diesmal von Seiten der Sozialdemokratie und der Arbeiterinnenbewegung. Denn „die proletarische Frauenbewegung […] verstand sich […] nicht als organisatorische Bewegung im feministischen Sinn, sondern als weiblicher Part der Arbeiterbewegung“. Auf Seiten der bürgerlichen Frauenbewegung wiederum herrschten „dezidierte Vorstellungen von klassenbezogener Inklusion und Exklusion für den Zugang zu weiblichen Berufen, die grundlegend auf die Verbesserung bürgerlicher Frauen abzielte“. Ging es um „Klassenfragen“, „endete die Frauensolidarität“ nicht nur in der Arbeiterinnenbewegung, sondern eben auch in der bürgerlichen Frauenbewegung, deren AkteurInnen „innerhalb bestimmter Diskurse schlichtweg nicht aus ihrer bürgerlichen Haut konnten“.

Das schlug sich etwa darin nieder, dass den Vorstellungen der Frauenbewegung gemäß „das Konzept des Gärtnerinnenberufs‚ Damen […] zur Gärtnerin [und] nicht zur Gartenarbeiterin’ ausbildete“. So wurden in der 1889 von Hedwig Heyl in Berlin-Charlottenburg gegründeten Gartenbauschule zwar erstmals ausschließlich Frauen ausgebildet, doch richtete sich ihr Angebot nur an „bürgerliche Frauen und Mädchen“. Proletarierinnen konnten sich das Schulgeld auch gar nicht leisten. Überdies entsprach das Konzept der Schule „normativen Berufsoptionen für bürgerliche Frauen und operierte gleichsam mit traditionellen, bürgerlichen Weiblichkeitsbildern“. Damit entsprach es ganz den Publikationen der bürgerlichen Frauenbewegung zur „Gärtnerinnenfrage“, in denen nicht nur „eine enge Verflechtung von Geschlechterstereotypen und klassenspezifischen Vorannahmen“, sondern auch „traditionelle[] bürgerliche[] Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit“ zu Tage traten.

Die vom Lette-Verein gegründete Photographische[] Lehranstalt wiederum war nicht nur insofern ihrer Zeit voraus, als sie „die erste schulische Ausbildungsstätte für fotografische Verfahren weltweit“ war, sondern vielleicht mehr noch, weil mit ihr ein „Ort weiblicher Souveränität“ geschaffen worden war. Der Vereinsgründer und Namensstifter Wilhelm Adolf Lette setze sich zwar für die berufliche Tätigkeit von Frauen ein, hielt aber nichts von Frauenemanzipation – was heute einigermaßen merkwürdig anmutet.

Dem damaligen Verständnis nach überlappten sich in der Photographie Handwerk und Kunst. Dieser Doppelcharakter wurde von frauenrechtlicher Seite als eines der „Kernargumente“ herangezogen „die den Fotografinnenberuf untermauerten“. So konstatierte die Frauenrechtlerin Lina Morgenstern, dass „die häusliche Erziehung“ der Frauen dazu führe, dass sich „ihr[] Sinn für schöne Form[en]“ und ihr „Verständnis für Harmonie, Farbe, Tönen und Verhältnissen“ zu einer „künstlerischen Auffassung“ vereinen. Reinhold Seidel wiederum erklärte in seinem 1901 in der Zeitschrift Frauenleben erschienenen Artikel Das moderne Kunstgewerbe. Ein Frauenberuf, Frauen besäßen einen „natürlichen Schönheitssinn“, der sie für den Beruf prädestiniere. Heute werden derlei Ausführung eher wenig Beifall finden. Sehr viel Beifall fand damals hingegen das von den radikalen Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg und Sophia Goudstikker in München betriebene Fotoatelier Elvira, das sich nicht nur „zu einer regelrechten Keimzelle der bürgerlichen Frauenbewegung” entwickelte, sondern auch in adligen Kreisen höchste Anerkennung fand. Deshalb durfte es ab 1894 an den Titel Hof-Atelier Elvira tragen. Die von Goudstikkers jüngerer Schwester Mathilde Nora ab 1891 in Augsburg unter gleichem Namen ebenfalls erfolgreich geführte Dependance wird von Bartels nicht erwähnt.

Ähnlich wie in der ‚Gärtnerinnenfrage’ wurde auch in der Diskussion um die Berufstätigkeit von Frauen als Fotografinnen

sowohl von der fürsprechenden als auch von der gegnerischen Seite in einer prägnanten Art und Weise geschlechtsspezifische Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit reproduziert, die sich auf eine vermeintliche weibliche, mit bürgerlichen Normvorstellungen verbundene ‚Natur’ beriefen.

Anders als dort griffen die GegnerInnen weiblicher Berufsfotografie jedoch in weit geringerem Maße zu polemischen und frauenfeindlichen Ausfällen. Diese schlugen sich in der Kontroverse um berufstätige Gärtnerinnen nicht zuletzt in zahlreichen klischeebehafteten Karikaturen nieder, von denen einige von Bartels abgedruckt und kommentiert werden.

Weit weniger noch als der Einsatz der Frauenbewegung für Berufsfotografinnen und -gärtnerinnen wurde bislang ihr Engagement für Gefängnisbeamtinnen erforscht. Es lässt sich sogar von einer gähnenden Forschungslücke sprechen. Umso wichtiger ist es, dass diese von Bartels nun geschlossen wurde.

Zur Zeit des Kaiserreichs wurden weibliche Gefangene nicht länger nur als zu bestrafende Kriminelle, sondern auch als „zu schützende Objekte wahrgenommen, deren Intimsphäre und Schamgefühle es zu bewahren galt“. Schon bald reifte allgemein die Erkenntnis, dass es hierzu unabdingbar war, „Frauen im Aufsichtsdienst zu beschäftigen“. In den Periodika der Frauenbewegung wurde der Beruf der Gefängnisbeamtin über die Jahre hinweg kontinuierlich behandelt, wobei – wie in den anderen Berufsbereichen auch – fast immer eine „gezielte geschlechterspezifische Argumentationsstrategie“ verfolgt wurde, „die untrennbar mit Klassenfragen verflochten war“. So wurde etwa auf ein „vermeintlich genuines Mütterlichkeitsempfinden“ rekurriert, das Frauen dafür qualifizierte, „die ihnen ‚anvertrauten Seelen wieder auf den rechten Weg zu bringen’“. Allerdings seien nicht alle Frauen dazu geeignet, sondern nur bürgerliche: Denn sie könnten auf die meist aus dem proletarischen Milieu stammenden Gefangenen besonders gut einwirken.

Da es inhaftierten Frauen im Unterschied zu Männern in den Gefängnissen nicht möglich war, einen Beruf zu erlernen, forderten die Frauenrechtlerinnen zudem, dass „Werkmeisterinnen“ in den Gefängnisdienst eingestellt wurden, welche die Frauen „in hauswirtschaftlichen, handwerklichen und gewerblichen Arbeitsbereichen unterrichten sollten“.

Auch in den „bürgerlich-weibliche[n] Professionalisierungskämpfe[n]“ der sogenannten „Haushaltungslehrerinnen“ stritten Angehörige der bürgerlichen Frauenbewegung an vorderster Front. Da der Kampf für die „Berufsprofessionalisierung der Hauhaltungslehrerinnen eng mit demjenigen gegen die „Trunksucht“ verbunden war, strebten beide Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung eine Zusammenarbeit mit den „in Männerhand liegenden Mäßigungs-und Alkoholvereinen“ an.

Zwar hat sich auch einer der beiden Flügel als radikal verstanden. Doch zeigt Bartels Untersuchung des Einsatzes der Frauenbewegung für weibliche Berufstätigkeit in den vier beleuchteten Arbeitsfeldern, dass das Engagement beider Flügel „weder Geschlechter- noch Klassenhierarchien [änderte]“, sondern etliche Frauenrechtlerinnen „die binären Rollen- und Charakterzuschreibungen der Geschlechter“ nicht einmal hinterfragten. Vielmehr „bekräftigte[n]“ ihre Argumentationslinien „letztlich die Polarisierung der Geschlechter sowie den Ausschluss proletarischer Frauen von weiblicher Partizipation“.

Wie Bartels zeigt, bedeutete der  Rückgriff auf das in der damaligen Frauenbewegung verbreitete „Konzept[] der ‚Geistigen Mütterlichkeit’ und die Betonung der Geschlechterdifferenz […] in den frauenbewegten Berufskämpfen“ allerdings „keinen Konservativismus im Sinne einer Rückschrittlichkeit“. Vielmehr nutzten sie die „Polarisierung und Dichotomisierung der Geschlechter“, um die „Relevanz weiblicher  Berufsbefähigung für die ‚Zivilisierung’ der Gesellschaft“ hervorzuheben.

Bartels hat nicht nur auf instruktive Weise ein neues Feld der Forschung zur Geschichte der Frauenbewegung bewirtschaftet, ihre erhellende Arbeit zeichnet sich zudem durch stets genaue Quellenangaben aus.

Titelbild

Mette Bartels: Garten, Gefängnis, Fotoatelier. Emanzipationsstrategien der bürgerlichen Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2024.
504 Seiten, 52,00 EUR.
ISBN-13: 9783593518473

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch