Nur männliche Autoren von Suhrkamp?

Ein kurzer Blick auf die bisherigen Longlists des Deutschen Buchpreises

Von Jonas HeßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Heß

 

Der Deutsche Buchpreis lässt sich als feste Institution des deutschsprachigen Buchmarkts bezeichnen. Von einer breiten medialen Berichterstattung flankiert setzt er jeden Herbst Verkaufszahlen in die Höhe treibende Schlaglichter auf die vermeinltlich wichtigsten Titel der Saison. Häufig wurde er dabei als reiner Marketingpreis kritisiert und eine Vergabe nach außerliterarischen Maßstäben angeprangert. Dazu befasst er sich ausschließlich mit Romanen und verleiht somit einem ohnehin populären Genre noch mehr Aufmerksamkeit.[1]

Nichtsdestoweniger gibt der Preis seit seiner ersten Vergabe im Jahr 2005 aber einen guten Überblick über die Bücher und Autor*innen und Verlage, die im jeweiligen Jahr (ob zu Recht oder zu Unrecht) öffentlich und medial – aufgrund des Preises – im Gespräch waren. Ein guter Anlass, nach fast 2 Jahrzehnten einen Blick auf die Nominierten der vergangenen Jahre zu richten. Insbesondere die Longlist, die für dieses Jahr gerade publiziert wurde, bietet sich hierzu an. Als erste Stufe der Preisvergabe listet sie ca. 20 Bücher aus dem jeweiligen Jahr, von denen fünf auf die Shortlist gelangen und ein Preisgeld erhalten. Aus diesen fünf Büchern rekrutiert sich schließlich der mit dem Preis ausgezeichnete Titel.

Die Verlage

Nun fällt bei einer Betrachtung der Longlists seit 2005 (s. tabellarische Auflistung unten) zunächst die schiere Masse an vertretenen Verlagen auf. Inklusive 2022 sind 66 unterschiedliche Verlage[2] bislang auf den Longlists vertreten gewesen und haben die entsprechende mediale Aufmerksamkeit erhalten. Auf den ersten Blick suggeriert das eine große Vielfalt. Dieser Eindruck wird jedoch beim zweiten Hinsehen unterlaufen. Denn zum einen gehören viele Verlage mittlerweile längst zu großen Verlagsgruppen, die als solche zunächst nicht auf der Liste zu erkennen sind. Die Verlage Bertelsmann, DVA und Luchterhand beispielsweise gehören allesamt zur Verlagsgruppe Penguin Random House. Zum anderen ist die Gewichtung der Verlage auf den Longlists keineswegs ausgewogen.

Die allermeisten von ihnen kamen in Summe mit weniger als zehn Titeln auf einer der bislang 18 Longlists. Im Gegensatz dazu warten die großen Verlage mit einem deutlichen Übergewicht an Nominierungen auf. So werden die Top 5 angeführt von Suhrkamp mit 37 Longlist-Titeln, gefolgt von Hanser (36), S. Fischer (32), Kiepenheuer & Witsch (29) und Rowohlt (17). Auch auf der Longlist 2022 sind diese Verlage wieder prominent vertreten (mit jeweils zwei Titeln). Sie stellen damit in diesem Jahr allein die Hälfte der Nominierten. Das heißt jedoch auch, dass die andere Hälfte anderweitig bestückt wird. Von diesen restlichen Verlagen sind jedoch einige selbst große Verlage (C.H. Beck, DuMont, Piper) oder gehören zu solchen (Hanser Berlin, evtl. Jung und Jung, die kürzlich von Kampa aufgekauft wurden).

Die Top 5 Longlist-Verlage vereinen zudem zehn der bislang 17 vergebenen Preise auf sich. Auch mit Blick auf die Sieger-Titel bestätigt sich also das Übergewicht der großen Verlage. Von den 66 Verlagen, die es bislang auf die Longlist geschafft haben, konnten überhaupt nur neun den Wettkampf mindestens einmal für sich entscheiden. Auch hier führt Suhrkamp (4 Sieger-Titel), gefolgt allerdings von Jung und Jung, Luchterhand, Matthes & Seitz Berlin, Rowohlt und S. Fischer (jeweils 2 Sieger-Titel) sowie FVA, Hanser und KiWi (je 1 Sieger-Titel). Interessant ist dabei auch, dass mit Jung & Jung, Luchterhand, Matthes & Seitz Berlin und Rowohlt gleich vier Verlage mit zwei Sieger-Titeln vertreten sind, die jedoch nur zwischen 12 und 17 mal überhaupt einen Titel auf der Longlist platzieren konnten, während KiWi und Hanser nur je einmal einen Sieger-Titel zu verzeichnen haben, obwohl sie ungleich häufiger (29 und 36) Bücher auf den Longlists platzieren konnten.

Nun mag man die Übergewichtung großer Verlage als unfair empfinden – immerhin benötigen diese in der Regel keine zusätzliche Promotion durch einen Preis –, sie lässt sich aber auch aus einer gewissen Marklogik erschließen. Die großen Verlage haben in der Regel größere Ressourcen, nicht nur um nach vielversprechenden Debütant*innen (die in der Regel bei kleineren Verlagen starten) Ausschau zu halten, sondern auch um diese mit lukrativeren Angeboten und größeren Auflagen abzuwerben und an sich zu binden. Das heißt selbstverständlich nicht, dass sich nicht auch bei kleineren Verlagen preiswürdige Titel finden lassen. Große Verlage allerdings haben schlicht mehr Mittel, sich entsprechende Autor*innen einzuverleiben und zu fördern. Wenn diese dann aufgrund ihrer tatsächlich guten Texte Preise erhalten, ist das zumindest manchmal weniger der Jury als den zugrundeliegenden kapitalistischen Mechanismen anzulasten.

Nichtsdestoweniger schaffen es immer auch kleinere Verlage auf die Longlist. In diesem Jahr haben es zudem gleich drei Verlage mit einem Titel in die Auswahl geschafft, die zuvor noch nie vertreten waren (Die Andere Bibliothek, Edition Azur und homunculus). Auch das aber kam in der Vergangenheit immer wieder vor. 2012 etwa war z.B. Picus erstmalig vertreten, 2014 Nagel & Kimche, 2016 Lenos, 2019 Kremayr & Scheriau sowie Salis und im letzten Jahr z.B. Leykam. Nur für einen Sieger-Titel hat es bislang für keinen der Longlist-Debütanten gereicht.

Die Autor*innen

Ein noch deutlicheres Bild eines Ungleichgewichts ergibt sich, wenn man statt auf die vertretenen Verlage auf das Geschlechterverhältnis der in die Longlists aufgenommenen Autor*innen blickt. In Summe wurden bislang fast doppelt so häufig Männer (229) wie Frauen (130) oder sich als nicht binär identifizierende Personen (1) mit einem Buchtitel für die Vorauswahl des Preises nominiert.[3] Interessanterweise wurden bislang aber trotzdem mehr Titel von Frauen (9) schlussendlich tatsächlich mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet als Titel von Männern (8).

Beim Blick auf das Geschlechterverhältnis der auf der Longlist vertretenen Autor*innen fällt außerdem ein plötzlicher Wandel in der historischen Entwicklung auf. Während in den Jahren 2005 bis 2017 ausnahmslos deutlich mehr Männer als Frauen auf der Longlist mit eigenen Büchern vertreten waren – mit durchschnittlich ca. 14 männlichen Kandidaten und ca. 6 weiblichen waren in der Regel sogar mehr als doppelt so viele (!) Titel von Männern als von Frauen vertreten –, lässt sich ab 2018 ein deutlicher Wandel feststellen. 2018 war zudem das erste Jahr, in dem sich das Verhältnis umgekehrt hat und erstmalig mehr Titel von Frauen als von Männern nominiert wurden. Seitdem kann man von einem nahezu paritätischen Verhältnis mit kleineren Ausschlägen zur einen oder anderen Richtung sprechen.

Interessant ist derweil, dass dieser plötzliche Wandel 2018 einsetzte, also knapp ein Jahr nach Beginn der MeToo-Debatte, die ab Oktober 2017 (also bereits nach Bekanntgabe der Longlist 2017) weltweit die Aufmerksamkeit für die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern in den unterschiedlichsten Bereichen schärfte. Auch wenn sich ein kausaler Zusammenhang hierzu aus den Zahlen nicht herleiten lässt, so ist doch festzuhalten, dass es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu einem so deutlichen Ungleichverhältnis wie in den Jahren zuvor (Höhepunkt 2006: 17 Titel von Männern – 4 Titel von Frauen) kam.

 

Angaben nach dem Archiv des Deutschen Buchpreises, vgl. Anm. 3

 

Schluss

Was lässt sich nun aus all dem ableiten? Zu allererst wohl, dass der Deutsche Buchpreis die (literarische) Öffentlichkeit trotz aller Kritik nicht gänzlich verzerrt abbildet. Die Longlists zeigen einen Buchmarkt, der auf Grundlage kapitalistischer Marktmechanismen von einigen großen Verlagen dominiert wird (was von der Preisvergabe leider wiederum gefestigt wird). Weibliche Stimmen waren lange Zeit deutlich unterrepräsentiert, finden aber seit einigen Jahren endlich angemessenere Betrachtung. Blickt man auf die Longlist-Titel der jüngeren Jahre, lässt sich mit Blick auf die Themen wie auch auf die Autor*innenpersönlichkeiten zudem eine deutlichere Sichtbarkeit von geschlechtlicher Vielfalt (auch über das Binäre hinaus) sowie von unterschiedlichen Herkunfts- und Sozialisationsgeschichten feststellen.[4]

Auch aufgrund der großen medialen Berichterstattung über den Deutschen Buchpreis, die wiederum die öffentlich diskutierten literarischen Themen beeinflusst, bilden der Preis und die Listen seiner Nominierten auch ab, wie sich die literarischen Gespräche auf den Garten-Parties, Weinfesten und gemeinsamen Abendessen der deutschsprachigen Länder in den letzten Jahren verändert haben. Mal schauen, wie es weitergeht.

Anmerkungen

[1] Anders als z.B. die Hotlist der unabhängigen Verlage.

[2] Die Benennung und Aufzählung richtet sich nach den Angaben auf der Website des Deutschen Buchpreises. Imprints werden nicht solche gekennzeichnet. So taucht etwa Blumenbar als eigenständiger Verlag auf, auch wenn er seit 2012 als Imprint durch den Aufbau-Verlag geführt wird.

[3] Die Zahlen folgen wiederum den Angaben zu den Autor*innen auf der offiziellen Seite des Deutschen Buchpreises. Allerdings ist hier z.B. auch Sasha Marianna Salzmann als „Autorin“ gelistet, obwohl sie*er sich als nichtbinär identifiziert (vgl. Liste von 2021 und 2017). Anders bei Kim de l‘Horizon, die*der auf der diesjährigen Liste explizit als „Autor*in“ gelistet wird.

[4] Hierzu böte sich eine gesonderte Betrachtung an.

 

Die bisherigen Longlists des Deutschen Buchpreises

Die Verlage mit der Anzahl der im jeweilligen Jahr auf der Longlist gelisteten Titel.
Siegertitel sind jeweils grün markiert. Gefettet die Top 5 mit den insgesamt meisten Longlist-Titeln.
Angaben nach dem Archiv des Deutschen Buchpreises