Der Funke der Französischen Revolution entzündete den Kampf um das Frauenwahlrecht

Interview mit der Historikerin Kerstin Wolff

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Kerstin Wolff ist Forschungsreferentin des Archivs der deutschen Frauenbewegung in Kassel. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählt die Geschichte des Kampfes um das Frauenstimmrecht in Deutschland. Sie gilt als Koryphäe ihres Forschungsgebietes.

Rolf Löchel: Frau Wolff, im November 1918, also vor genau einhundert Jahren erhielten die Frauen hierzulande das Wahlrecht. Die Männer erlangten es bekanntlich bereits im Zuge der Revolution von 1848/49. Allerdings nicht alle in gleichem Maße. In Preußen galt beispielsweise von 1849 an das immerhin bis zum Ende des Kaiserreichs bestehende Dreiklassenwahlrecht. Wann wurde die Forderung eines Wahlrechts für Frauen eigentlich zum ersten Mal laut?

Kerstin Wolff: Der alles entscheidende ideengeschichtliche Funke lag in der Französischen Revolution, in der zum ersten Mal eine Gleichheit aller angedacht wurde. Die Schlagworte von Gleichheit / Freiheit / Brüderlichkeit hatten Frauen durchaus auch auf sich bezogen und waren dementsprechend enttäuscht, als patriarchale Positionen nicht nur nicht aufgegeben wurden, sondern teilweise sogar verschärft. Die Revolutionärin Olympe de Gouges hat ja bekanntlich mit ihrer Schrift Déclaration des droits de la Femme et de la Citoyenne (Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin) aus dem Jahr 1791 darauf hingewiesen, dass die Erklärung der Menschenrechte die Frauen nicht einschloss. Dieses radikalfeministische Manifest ist ein wichtiger Ausgangspunkt für alle weiteren Bestrebungen, auch wenn nicht klar ist, ob die folgenden Frauen sich an Olympe de Gouges erinnerten. In Deutschland bzw. in den Ländern des Deutschen Reiches war es vermutlich Louise Otto, die 1849 in ihrer Frauen-Zeitung das erste Mal das Stimm- und Wahlrecht für Frauen forderte. Konkret forderte sie die „Selbstbestimmung im Staat“, was als frühe Forderung eines passiven und aktiven Wahlrechtes verstanden werden kann.

RL: Und wie ging es dann weiter?

KW: Es waren zunächst nur Einzelstimmen, die sich des Themas Frauenwahlrecht annahmen, unter anderem die herrlich scharfzüngige Schriftstellerin und Aktivistin Hedwig Dohm, die in den 1870er Jahren eine Schrift zum Frauenwahlrecht verfasst hat. Das Besondere an dieser Schrift (Der Frauen Natur und Recht; 1876) war die Umdrehung der Argumentation. Dohm versuchte nicht zu beweisen, dass es der Gesellschaft mit einem Frauenwahlrecht besser gehen würde, sie fragte ganz offensiv danach, warum die Gesellschaft den Frauen dieses Recht verwehrte – denn ein Recht sei es und ein Unrecht, es ihnen vorzuenthalten.

RL: Wie verhielten sich die Forderungen der Streiterinnen um das Frauenwahrecht zum Dreiklassenwahlrecht?

KW: Hier waren sich die Stimmrechtlerinnen nicht einig. Einige lehnten es ab und forderten für alle das freie, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht, andere wollten sich darüber keine Gedanken machen und forderten nur für Frauen ein freies, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht. Und andere – vor allem Aktivistinnen aus Preußen – zogen sich auf die Argumentation zurück, sie wollten ein Wahl- und Stimmrecht in der Art und Weise, wie die Männer dies hätten. Sie hätten also auch ein Dreiklassenwahlrecht (als eine Etappe auf dem Weg) akzeptiert. Hintergrund dieses Vorgehens war, dass in Preußen die Forderung nach einem freien, gleichen usw. Wahlrecht so stark mit der Sozialdemokratie verknüpft war, dass die preußischen Stimmrechtlerinnen Angst hatten, dass ihnen bei einer solchen Forderung keiner mehr zuhören würde.

RL: Lassen Sie uns einmal einen Blick über die Deutschen Landesgrenzen hinaus werfen. Worin unterschied sich der Kampf der deutschen Frauen um das Frauenwahlrecht von demjenigen ihrer Gesinnungsgenossinnen in anderen Ländern wie den USA, England oder Frankreich.

KW: Letztendlich unterscheiden sich mehr die Aktionen als die Argumentationen. Klar ist, die Argumentationen müssen auf nationaler Ebene funktionieren, also auf nationale Begebenheiten reagieren, aber letztendlich argumentierten alle Frauen (und Männer) damit, dass es notwendig sei, Frauen zur Wahl zuzulassen, damit diese ihre „Sonderinteressen“ vertreten könnten. Die ersten Frauengeschichtsforscherinnen gingen noch davon aus, dass nur die Deutschen mit der Geschlechterdifferenz argumentieren würden, aber neuere Forschungen vor allem, von Gisela Bock haben gezeigt, dass auch die radikalen Suffragetten in England davon überzeugt waren, dass Frauen und Männer unterschiedliche Interessen hätten und dass nur Frauen ihre Interessen selber vertreten könnten. Daneben gab es aber auch immer – und auch das in allen Ländern – eine egalitär argumentierende Tradition, wie sie z.B. Hedwig Dohm repräsentiert, wobei auch diese, je nach Argumentationszusammenhang, mit der Geschlechterdifferenz argumentierte. Letztendlich finde ich das Argument der Differenz ziemlich schlau, denn die allermeisten in der bürgerlichen Gesellschaft waren ja davon überzeugt, dass Mann und Frau von Grund auf verschieden seien. Aber wenn das so ist und das auch so akzeptiert wird, dann können auch nur Frauen weibliche Interessen vertreten – eine (politische) Stellvertretung durch einen Mann ist nicht denkbar. Ein guter Hebel, um ein Recht einzuklagen.

RL: Es waren also eher die Methoden und Aktionsformen die sich unterschieden. Die Argumente waren hingegen sehr ähnlich?

KW: Genau! Die radikalen Suffragetten mögen zwar Steine geworfen haben und Marguerite Durand in Frankreich mag mit ihrem zahmen Löwen durch die Straßen Paris geschlendert sein; letztendlich aber waren die Argumente, dass nur Frauen die Interessen von Frauen wahren können, überall die gleichen.

RL: Es gab nun allerdings auch innerhalb der verschiedenen Flügel unterschiedliche Strategien, wie das Wahlrecht am erfolgreichsten zu erstreiten sei. Wie unterscheiden sich die Strategien des radikalen, des gemäßigten und des in der SPD organisierten proletarischen Flügels der Frauenbewegung, für den der Kampf um Frauenrechte, wenn ich recht sehe, ja immer hinter dem um die sozialistische Zukunftsgesellschaft zurückstand und der dennoch eine treiben Kraft bei der Erringung des Frauenwahlrechtes war?

KW: Während die Bürgerlichen auf Aufklärung, Propaganda (mit Hilfe eigener Publikationen) und Petitionen an den Reichstag setzten, auf Beeinflussung von Einzelpersonen und Parteien und dafür Frauenstimmrechtsvereine gründeten (der erste 1902 in Hamburg), veranstalteten die Proletarierinnen ab 1911 einen internationalen Kampftag für das Frauenwahlrecht – den Internationalen Frauentag, den wir heute immer an einem 8. März begehen. Dieser Tag war als Propagandatag speziell für das Frauenwahlrecht ausgerufen worden und zwar weltweit. Inwieweit sich Sozialist*innen mit all ihrer Kraft für das Frauenwahlrecht einsetzten, war sehr unterschiedlich. August Bebel hat dies sicher sehr ernst genommen und auch Klara Zetkin war es wichtig, diesen Kampf aufzunehmen. Aber in der Tat werden Frauenrechte als Nebenwiderspruch in der sozialistischen Theorie behandelt; was bedeutet, dass automatisch in einer sozialistischen Gesellschaft alle Menschen gleich wären und es daher eigentlich nichts bringt, sich für Frauenrechte einzusetzen, denn diese ergeben sich ja dann nach der Revolution quasi von alleine. Viele Sozialist*innen haben daraus geschlossen, dass der Kampf um die Revolution vorgeht; denn zwischen Arbeitern und Kapitalisten liegt der Hauptwiderspruch; der zwischen Mann und Frau ist lediglich der Nebenwiderspruch.

RL: Welche anderen beispielsweise religiösen Frauenorganisationen spielten noch eine Rolle und wie sahen deren Forderungen und Aktivitäten aus?

KW: Die Rolle der konfessionellen Frauenvereine ist bisher – meiner Meinung nach – zu wenig untersucht worden. Dabei ist gerade der Fall des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes (DEF) besonders interessant. Dieser trat nämlich zu Beginn des Jahres 1918 aus dem Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) aus und zwar aufgrund der sich steigernden Frauenwahlrechtsforderungen des Dachverbandes. Denn der versuchte den politischen Druck, der aufgrund der Osterbotschaft des Deutschen Kaisers aufkam, auch für das Frauenwahlrecht zu nutzen. Der BDF verfasste eine Denkschrift zur Neugestaltung Deutschlands nach dem Krieg und forderte in dieser das Wahl- und Stimmrecht für Frauen. Dem DEF war diese Fokussierung auf das politische Wahlrecht zu viel – er trat aus.

Dieser Schritt wurde in der Forschung meist mit dessen Konservatismus begründet. Was an dieser Stelle allerdings nicht vergessen werden darf: Der DEF verstand sich selber als Sammlungsbecken eher konservativer Frauen, die aber für die Frauenbewegung gewonnen werden sollten und stand daher – viel intensiver als z.B. der BDF – unter massivem Druck antiemanzipatorischer Kräfte. Vor allem der Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation schoss immer wieder gegen den DEF. Ein genauer Blick in die Akten zeigt allerdings, dass der DEF auch deswegen das Frauenwahlrecht ablehnte, weil er befürchtete, dass künftig dann nur noch diese Art der politischen Beeinflussung „gelten“ würde; d.h. dass alle anderen Arten von Politikbeeinflussung geschwächt würden. Der DEF wäre viel lieber bei seiner Art der Arbeit geblieben. Und in der Tat war die Frauenbewegung insgesamt und auch der DEF mit seiner Art der indirekten politischen Arbeit (Petitionen, Tagungen, Schriften usw.) sehr erfolgreich.

Ich finde das Argument von Paula Müller-Otfried, der Vorsitzenden des DEF sehr spannend. Denn sie hatte ja durchaus Recht! Nachdem das Frauenwahlrecht eingeführt worden war, musste sich die Frauenbewegung anders aufstellen. Sie musste neue Wege finden, sich politisch und gesellschaftlich zu artikulieren, denn die Art und Weise, wie die Frauenbewegung um 1900 gekämpft hatte, war nun durch das Frauenwahlrecht in Teilen obsolet geworden. Und dies vor dem Hintergrund einer nicht genügenden Repräsentanz von Frauen in den Parteien und Parlamenten! Hier wird deutlich, dass die Einführung des Frauenwahlrechts auch als eine Verlustgeschichte erzählt werden kann.

RL: Die Frauenrechtlerinnen kämpften insbesondere vor, um und nach 1900 an vielen Fronten, etwa gegen das misogyne Eherecht des 1900 in Kraft tretenden BGB, gegen die Regulierung der Prostitution, um die Zulassung von Frauen an den Universitäten sowie um Mutterschutz und Sexualreform. Welchen Stellenwert hatte der Kampf ums Wahlrecht für die Frauenrechtlerinnen in allen diesen Auseinandersetzungen?

KW: Der Kampf um das Frauenwahlrecht war um 1900 einer der vier großen Themenbereiche der bürgerlichen Frauenbewegung. Der Kampf um das BGB war 1900 verloren gegangen. Es trat in einer Form in Kraft, die die Stellung der Ehefrau in der Gesellschaft und vor allem in der Ehe massiv abwertete. Darauf hatte die Frauenbewegung immer hingewiesen und versucht dies zu ändern – letztendlich aber erfolglos. Doch dieser Kampf war wichtig gewesen, denn er hatte die Frauenbewegung größer gemacht, er hatte sie neue Aktionsformen gelehrt und vor allem war sie politischer und entschiedener geworden. Die fast einhellige Ablehnung der Juristen im Kampf um das BGB hatte Spuren hinterlassen.

Die Frauenbewegung um 1900 hatte (grob gesprochen) vier große Arbeitsbereiche: Neben dem nach wie vor starken Kampf um (Aus)Bildung und gleichen Zugang zu den Schulen und Universitäten für Frauen, standen Aktivitäten um eine neue Sittlichkeitspolitik, was konkret den Kampf um die Reglementierung der Prostitution meint. Als drittes Aufgabenfeld ergab sich die Förderung einer eigenständigen Berufstätigkeit – worunter auch die Professionalisierung der Hausarbeit gemeint war – und als vierter Punkt schließlich die Forderung nach dem politischen Wahl- und Stimmrecht. Der BDF als bürgerliche Dachorganisation hatte 1902 auf seiner Generalversammlung den Kampf um das Wahlrecht als Ziel offiziell aufgenommen. Die Frauenstimmrechtsvereine, die danach entstanden, verstand der BDF also als „seine“ Aktionen für das Stimmrecht. Allerdings – und das ist in der Debatte häufig vergessen worden – verpflichtete der BDF nicht alle seine Mitgliedsverbände darauf, sich diesem Kampf anzuschließen. Auch andere Wege zu mehr politischem Einfluss waren nach wie vor geh- und denkbar. Ich denke da z.B. an die Aktivitäten des DEF, der das kirchliche Wahlrecht für Frauen erreichen wollte, ohne explizit das staatsbürgerliche Wahlrecht zu erwähnen. Oder kommunale Frauenvereine, die auf das kommunale Wahlrecht hinarbeiteten, in dem sie sich aktiv in die praktische Kommunalpolitik einmischten. Es gab also nicht nur den Weg über die Frauenstimmrechtsvereine.

RL: Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam der Kampf für das Frauenwahlrecht erst einmal zum Erliegen. Warum?

KW: Wie die Sozialdemokratie auch, schlossen die verschiedenen Flügel der Frauenbewegung einen Burgfrieden, um im angenommenen Verteidigungskrieg ganz auf der Seite des Vaterlandes stehen zu können. Gertrud Bäumer, die Vorsitzende des BDF, gründete den Nationalen Frauendienst, der es sich zur Aufgabe machte, die ‚Heimatfront‘, also die Arbeit der Frauen für den Krieg, zu koordinieren. Nur einige wenige Pazifistinnen verweigerten sich dieser Logik und beharrten auf Internationalismus und Frieden.

RL: Die Jahre 1916 und vor allem 1917 sollten sich allerdings als Wendejahre erweisen, wie jüngere Forschungen nicht zuletzt von Ihnen zeigen.

KW: Als ein entscheidender Wendepunkt kann die Osterbotschaft des deutschen Kaisers 1917 gelten. Diese war notwendig geworden, weil der Steckrübenwinter 1916/17 große Opfer gebracht hatte, der Krieg schon viel länger dauerte als gedacht und im Reichstag die Sozialdemokraten heftig gegen das Dreiklassenwahlrecht in Preußen agitierten. In dieser Situation verkündete der Kaiser, dass es nach dem Krieg zu einer Demokratisierung des Preußischen Wahlrechts kommen würde,erwähnte aber in diesem Zusammenhang das Frauenwahlrecht nicht. An dieser Stelle begann wieder eine breite Agitation für das Frauenwahlrecht – diesmal getragen von einem sehr breiten Frauenbündnis, welches sich so vor dem Ersten Weltkrieg aufgrund ideologischer Differenzen nicht zusammengeschlossen hätte.

RL: Das Wahlrecht ist den Frauen 1918 also keineswegs ohne eigenes Zutun in den Schoß gefallen.

KW: Ich vertrete an dieser Stelle ganz eindeutig die Meinung, dass es nicht ausgemacht ist, wie der Rat der Volksbeauftragten ohne die jahrelange Agitation der Frauen gehandelt hätte. Nach der Osterbotschaft war es zu Demonstrationen und großen Kundgebungen für das Frauenwahlrecht gekommen, d.h. die Frauen waren auf der Straße. Da der Rat der Volksbeauftragten vor allem Ruhe auf den Straßen haben wollte, musste er zwangsläufig das Frauenwahlrecht im Zuge der Demokratisierung des Wahlrechts einführen. Ob er das auch ohne jahrelange Debatten und Diskussionen gemacht hätte, ist für mich offen.

RL: Nun sitzen Frauen zwar seit 1919 in deutschen Parlamenten. Allerdings bilden sie, die ja die knappe Mehrheit der deutschen Bevölkerung stellen, bis heute in allen Abgeordnetenhäusern eine Minderheit. Was kann getan werden, um dies zu ändern?

KW: Es ist schon fast erschütternd zu sehen, wie 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts nach wie vor keine Geschlechterparität in den politischen Entscheidungsgremien herrscht. Die Süddeutsche Zeitung hat sich ganz aktuell die Profile der Bundestagsabgeordneten genauer angeschaut und kommt zu dem Ergebnis: „Verglichen mit der Gesamtbevölkerung sitzen im Parlament nicht nur zu wenige Frauen und zu wenig Migranten, sondern auch: zu wenig Landbewohner, zu wenige Menschen mit Hauptschulabschluss, zu wenige mit einer Behinderung … Bei der Geschlechterverteilung und ebenso bei der Altersstruktur ist die Kluft am offensichtlichsten.“ Der Artikel kommt zu dem Schluss, dass 140 Frauen im Parlament fehlen; denn Frauen müssten etwas mehr als die Hälfte aller Abgeordneten stellen.

Ich finde, diese Befunde sind beschämend für die deutsche Demokratie und erklären in Ansätzen auch, warum es eine Parteien- nicht eine Politikverdrossenheit gibt. Meiner Meinung nach müsste nun, 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts, ein neues Instrument geschaffen werden, um – beginnend mit einer Geschlechterparität – den Bundestag umzubauen. Was sich hier anbietet ist ein Paritégesetz nach französischem Vorbild.

Seit 2001 ist dort ein Gesetz in Kraft (Gesetz über den gleichen Zugang von Frauen und Männern zu Wahlmandaten und auf Wahl beruhenden Ämtern), welches die Kommunalwahlen, die Regionalwahlen, einen Teil der Senatswahlen, die Wahl zur Nationalversammlung und die Europawahlen regelt. Es gilt: Die Listen der Kandidat*innen der Parteien auf kommunaler und regionaler Ebene sowie für die EU müssen paritätisch mit Frauen und Männern besetzt sein. Sind diese Listen nicht paritätisch, können und werden sie zurückgewiesen. Einschränkend muss erwähnt werden, dass bei der Wahl zum Senat das Paritégesetz nicht vollständig greift, da ein Wahlkollegium panaschieren darf und sich dadurch der Listenplatz von Frauen zu ihren Ungunsten verschiebt. Die Parteien werden für diese Praxis zwar bestraft, da ihnen weniger Geld durch die staatliche Parteienfinanzierung zufließt, aber die Praxis zeigt, dass „die meisten französischen Parteien (…) lieber auf Geld als auf Männer“ verzichten – so Silke Laskowski von der Universität Kassel. Was besonders spannend ist: Die Wahlbeteiligung ist nach der Einführung des Paritégesetzes stark gestiegen und es zeigt sich, dass gesetzliche Regelungen zugunsten von Frauen deutlich schneller durchgesetzt werden können.

RL: Frau Wolff, Sie sind Forschungsreferentin im Archiv der Deutschen Frauenbewegung. Daher möchte ich Sie abschießend bitten, noch etwas zu den Sammelgebieten, der Arbeit und den Aufgaben des Archivs zu sagen.

KW: Das Archiv der deutschen Frauenbewegung (AddF) ist 1984 gegründet worden, von einer Gruppe von Studentinnen und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen. Diese hatten angefangen, zur Geschichte der Frauenbewegung zu recherchieren, und stellten fest, dass es keine Bibliothek und auch kein Archiv für die alte Frauenbewegung gab. Und wie in den 1980er Jahren so üblich, wurde daraus die Idee geboren, dieses Archiv dann eben zu gründen. Seitdem sammeln wir Dokumente zu Frauenbewegungen und zur Frauengeschichte aus der Zeit von 1800 bis zum Ende der 1960er Jahre, in bestimmten Bereichen (Frauenverbände und Kasseler Frauengruppen) auch bis in die Gegenwart. Flankierend wurde eine Sonderbibliothek zum Thema aufgebaut, die heute auf den größten Literaturbestand zur Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland zurückgreifen kann. Die Besonderheit in Kassel ist, dass von Beginn an eine eigenständige kleine Forschungsstelle eingerichtet wurde. Dies folgte der Einsicht, dass das AddF nur als wissenschaftliche Serviceeinrichtung funktionieren kann, wenn sie selbst ein aktiver Teil des Forschungsdiskurses ist. Als wissenschaftliche Serviceeinrichtung für die Forschung betreiben wir eigene Forschungen und regen Arbeiten im Bereich der Frauen- und Geschlechtergeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an – soweit wir dies mit nur einer Stelle tun können.

RL: Nun gibt es ja nicht nur das Archiv der Deutschen Frauenbewegung in Kassel, sondern eine ganze Reihe ähnlicher Archive. Wie unterscheidet sich das Kassler Archiv von anderen feministischen Archiven etwa dem des FrauenMediaTurms in Köln? Und warum sind sie alle wichtig?

KW: Mit seiner Ausrichtung auf die Geschichte der deutschen Frauenbewegung und seinem daraus abgeleiteten Sammelschwerpunkt im Zeitraum vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ist das AddF einmalig in Deutschland. Alle anderen Einrichtungen sammeln, archivieren und bewahren Materialien der „zweiten“ Welle der Frauenbewegung und sammeln vor allem auch regional. Das AddF hat keinen ausschließlich regionalen Zuschnitt, auch wenn die Unterlagen der autonomen Frauenbewegung in Kassel der 1970er und folgender Jahre selbstverständlich bei uns liegen. Ich gebrauche immer das Bild, dass wir uns als Einrichtungen die Klinke in die Hand geben. Wo wir aufhören zu sammeln, da übernehmen andere. Für eine lückenlose Überlieferung sind also alle wichtig, denn die Vielfältigkeit der Bewegung lässt sich nicht nur durch eine Überlieferungstradition abbilden.

RL: Konkurrieren oder kooperieren die archivalischen Einrichtungen der Frauenbewegung eher miteinander?

KW: Alle Frauenarchive, -bibliotheken und Fachinformationseinrichtungen sind zusammen in einem Dachverband zusammengeschlossen: i.d.a. = informieren, dokumentieren, archivieren. In diesem Dachverband wird die gemeinsame Arbeit besprochen und die Politik des Verbandes festgelegt. Dass wir miteinander kooperieren, zeigt z.B. auch die Tatsache, dass Fragen nach Beständen, die auftauchen und die keine direkte Zuordnung haben, hier besprochen werden. Es herrscht also keine Konkurrenz und niemand versucht so viel wie möglich für sich zu haben, es herrscht Kooperation und die Idee der Zusammenarbeit zum Nutzen der Forscher*innen und Nutzer*innen, um die es letztendlich ja geht.

RL: Vor wenigen Monaten ging nach längerer Vorarbeit das Digitale Deutsche Frauenarchiv online.

KW: Das Digitale Deutsche Frauenarchiv (DDF) ist die nun sichtbar gewordene Zusammenarbeit der Frauenarchive in Deutschland. Zuvor hatte es bereits ein Projekt gegeben, META, in dem die Bestandsdaten aller Einrichtungen von i.d.a. gesammelt wurden. Über einen zusammenfassenden Katalog ist es nun möglich, in den Beständen aller Einrichtungen zu recherchieren (siehe: https://www.meta-katalog.eu/) Das war der erste Schritt, um die Schätze der Einrichtungen in Deutschland besser sichtbar machen zu können. Aber wir wollten mehr. Wir wollen erreichen, dass die reiche Tradition, dass die fantastischen Unterlagen der Frauenarchive besser wahrgenommen werden können. Dazu bedarf es aber zunächst einmal einer besseren Finanzierung der Arbeit. Hier gibt es nämlich große Unterschiede. Während das AddF auf einer zwar zu geringen aber wenigstens stabilen Grundfinanzierung ruht, gibt es Einrichtungen in Deutschland, die rein ehrenamtlich arbeiten. Hier muss dringend nachgesteuert werden, hier ist der Staat in der Pflicht, diese Überlieferung abzusichern, und dies haben wir auch in unendlichen Gesprächen mit Politiker*innen in den letzten Jahren (bzw. Jahrzehnten) auch immer wieder gesagt. So entstand die Idee des DDF, als Portal aller (deutschen) i.d.a. Einrichtungen. Ausgangspunkt war ein Passus im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2013 für die 18. Legislaturperiode. Hier wurde das DDF angedacht. Aufgebaut wurde es nun in Absprache mit i.d.a. als Portal, auf dem alle Einrichtungen ihre Quellen präsentieren können. Das ist aber nur die eine Seite, die andere ist, dass mit dem DDF versucht wurde, die einzelnen Einrichtungen finanziell zu unterstützen. Konkret konnten die einzelnen Einrichtungen Projekte beantragen und diese wurden dann finanziert. So wurden zum ersten Mal in einigen Einrichtungen projektbezogene Stellen geschaffen und in anderen Einrichtungen wurde die Infrastruktur gestärkt. D.h. das, was im DDF zu sehen ist, ist nur ein kleiner Teil des Projektes, die Sicherung und Stärkung der Einrichtungen vor Ort ist ein ebenso, wenn nicht sogar ein wichtigerer Baustein des DDF. Dies erklärt aber auch, warum das nun sichtbare DDF lediglich ein Anfang ist, eine kleine Kostprobe. Das Projekt, welches erst einmal bis einschließlich 2019 finanziert ist, muss weitergeführt werden, damit sowohl die Sicherung als auch die Präsentation der Quellen der Frauenarchive und -bibliotheken gewährleistet ist.

RL: Frau Wolff, ich danken Ihnen für dieses sehr informative Gespräch und die wirklich erschöpfenden Antworten.