Die Produktivität der Literaturkritik

Zur Geschichte ihrer Provokationen, Krisen, Wandlungen und Möglichkeiten

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Für Michael Klein zum 80. Geburtstag

Wenn Lesen so etwas ist wie eine Reise in einen Text,
dann ist das Schreiben darüber eine Art Reisebericht.
Ein solcher erzählt immer sowohl von der Reise (dem Lesen),
von dem Land (der Literatur) als auch vom Reisenden (dem Leser) selbst.
Brigitte Schwens-Harrant[1]

 Die Provokation der Kritik

„Manche Menschen lesen überhaupt keine Bücher, sondern kritisieren sie“, meinte Kurt Tucholsky.[2] „Literaturkritik ist nicht deine starke Seite, guter Junge. Laß lieber die Finger davon. Das ist für Leute, die nicht studiert haben“, meint Algernon in Oscar Wildes Bunbury oder Ernst sein ist wichtig.[3] An Spöttern fehlt es also nicht, die Geschichte der Literaturkritik ist auch eine Geschichte der Kritik an der Literaturkritik. Gern zitiert wird Goethes „Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent“, aber Goethe ist beileibe kein Sonderfall.[4] In jüngerer Zeit ist es beispielsweise der Käpt‘n-Blaubär-Erfinder und Erfolgsautor Walter Moers, der zur spitzen Feder greift. „Warum lassen wir unsere Kinder nicht einfach das lernen, was sie lernen wollen? […] Wollen sie kochen lernen, werden sie Köche. Wollen sie schreiben lernen, werden sie bestenfalls Schriftsteller und schlimmstenfalls Drohbriefschreiber. Wollen sie gar nichts lernen, bleiben sie eben dämlich oder werden Literaturkritiker“, meint der von Moers erfundene, berühmteste Dichter Zamoniens, Hildegunst von Mythenmetz.[5] In einem anderen Roman über den fantastischen Kontinent Zamonien begegnet der noch junge Mythenmetz seinem späteren Intimfeind – natürlich ein Literaturkritiker, der auf den schönen Namen Laptantidel Latuda hört. Jene schicksalsträchtige Stelle, an der die beiden sich kennenlernen, liest sich wie folgt:  

„He – Verriß gefällig?“ Ach, du meine Güte – ich war in die Giftige Gasse geraten! Das war nun schon keine Sehenswürdigkeit mehr, sondern einer der Orte Buchhaims, die man grundsätzlich meiden sollte, wenn man noch einen Funken Anstand im Leib hatte. Die Giftige Gasse – die berüchtigte Straße der gedungenen Kritiker! Hier lebte der wahre Abschaum Buchhaims – selbsternannte Literaturkritiker, die gegen Bezahlung vernichtende Verrisse schrieben. […] „Totalverriß gefällig?“ wisperte der Schmierfink. Ich arbeite für alle großen Zeitungen!“[6]  

Literatur und Realität sind voneinander zu unterscheiden, Satire und Realität auf andere Weise ebenso. Der Literaturbetrieb ist viel zu komplex organisiert, als dass Verschwörungstheorien mehr als den Reiz des Anrüchigen haben könnten. Es gibt durchaus Beispiele, die eine Uniformierung der Literaturkritik vermuten lassen, etwa die Debatten über Martin Walsers sogenannte Friedenspreisrede oder seinen Roman Tod eines Kritikers von 2002. Doch auch in solchen Debatten finden sich zahlreiche Gegenstimmen. Und Beispiele für eine polyphone Kritik lassen sich genauso leicht finden, etwa die Rezeption des Werks von Helmut Krausser, wenn die oft auf die Person zugespitzte Beurteilung (was unprofessionell ist, da man Autor und Werk trennen sollte) zwischen Scharlatan und Genie schwankt. Nicht selten hat man den Eindruck, dass die Kritiker unterschiedliche Bücher gelesen haben, etwa im Fall von Hannes Stein, der Kraussers Roman Thanatos von 1996 im Spiegel verreißt, und Thomas Kraft, der ebendiesen Roman in der Stuttgarter Zeitung lobt. Hier Ausschnitte:

Stein: „Leider aber hat Helmut Krausser den Roman geschrieben. Und Krausser leidet unter einer unerwiderten Liebe zur deutschen Sprache, die ihn partout nicht erhören will. […] Kein Zweifel, der Autor hat eine abgründige Neigung zum Mythischen, Geraunten, zum Tiefdunkelbedeutsamen.“[7]
Kraft: „Es [das Buch] bietet überraschende Bilder, ist äußerst treffsicher in der Personen- und Milieuschilderung und zeugt in seiner geschickten Handhabung vieler Tonlagen und Perspektiven von extrem hohem Sprachgefühl.“[8]

In solchen Fällen stellt sich immer wieder neu die Frage, ob die konstitutive Deutungsoffenheit des Werks oder die Subjektivität des Kritikers die Unterschiede verursacht – oder vielleicht sogar beides. Hierbei kann eine theoretische Auseinandersetzung mit den Grundlagen und Funktionsweisen von Literatur helfen.[9] In den folgenden Ausführungen wird es aber vor allem um die Frage gehen, was überhaupt unter Literaturkritik verstanden werden kann, wie sie sich entwickelt hat und wie sie sich heute darstellt.

Definitionen und Textsorten der Kritik

„Literaturkritik ist jede Art kommentierende, urteilende, denunzierende, werbende, auch klassifizierend-orientierte Äußerung über Literatur, d.h. was jeweils als ‚Literatur’ gilt“, meint Herbert Jaumann im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft.[10] Auch andere Definitionen in Nachschlagewerken wären zu zitieren, sie sind jedoch nicht immer nah an der Praxis, also an dem, was sich als Literaturkritik beobachten lässt.

Zunächst einmal kann man Literaturkritik den ‚Medien‘ zuordnen – es handelt sich um Äußerungen über Literatur in den Massenmedien. In dem Fall wäre eine bewertende Äußerung über Literatur, die privat, in einer face-to-face-Kommunikation fällt, noch nicht Literaturkritik. Es greift allerdings zu kurz, die Massenmedien und die Universitäten einander gegenüberzustellen und ihnen Literaturkritik bzw. Literaturwissenschaft als Betätigungsfeld zuzuordnen,[11] da die meisten Literaturkritiker ausgebildete Literaturwissenschaftler sind. Viele arbeiten (bzw. arbeiteten bis zu ihrer Emeritierung) sogar hauptberuflich an den Universitäten und sind zugleich freiberuflich als Kritiker tätig (z.B. Peter von Matt, Wulf Segebrecht oder Heinrich Detering). Auch inhaltlich lässt sich die Abgrenzung von Kritik und Wissenschaft nur insoweit rechtfertigen, als dass sich die Literaturkritik (von akademischen Fachrezensionen abgesehen) in der Regel über die Massenmedien an ein breiteres Publikum richtet als die Texte (vor allem Analysen und Interpretationen) der Wissenschaftler.[12]

Unter ‚Medien‘ lassen sich hier die Massenmedien Zeitung und Zeitschrift, Hörfunk, Fernsehen und Internet fassen, ebenso periodische Formen der Publikation wie Jahrbücher. Dieser uns vertraute Begriff der Literaturkritik unterscheidet sich „von der englischen oder französischen Begriffsverwendung (literary criticism, critique litteraire). In Deutschland wird begrifflich deutlicher als in anderen Ländern zwischen (journalistischer) Literaturkritik und (akademischer) Literaturwissenschaft unterschieden.“[13] In der notwendigen Reflexion über ihre Funktion in der Gesellschaft sollte man aber beide Auffassungen im Blick behalten.[14]

Die zweite wichtige Feststellung betrifft den von Jaumann konstatierten wertenden Charakter. Präzisierend soll hier die Auffassung vertreten werden, dass zunächst einmal jede Berichterstattung über Literatur in den Medien zur Literaturkritik gehört, sei sie nun explizit wertend oder nicht (eine implizite Wertung ist allein schon durch die Auswahl gegeben, durch den Fokus auf einen Autor oder ein Buch). Dabei lassen sich zahlreiche Textsorten der Literaturkritik unterscheiden, die allerdings nicht immer klar abgegrenzt werden können. Sie orientieren sich an den im Journalismus üblichen Textsorten. Zu nennen wären als die wichtigsten: Meldung, Bericht, Interview, Glosse, Reportage oder Feature, und schließlich als Variante des Kommentars die Rezension oder Buchkritik, hier wiederum als Spielart die Sammelrezension.

Wenn von Literaturkritik die Rede ist, ist in der Regel die Rezension oder Buchkritik gemeint. Wir können also zwischen einem weiten und einem engen Begriff der Literaturkritik unterscheiden, letzterer ist identisch mit der Textsorte Rezension oder Buchkritik.

Eine beliebte Variante der Literaturkritik im Medium Fernsehen ist die Talkshow, besonders bekannt wurde das Literarische Quartett (im ZDF) mit Marcel Reich-Ranicki. In Sendungen wie druckfrisch (in der ARD) mit Denis Scheck kommen auch die Autoren zu Wort, hier finden sich Interviews neben berichtähnlichen Sequenzen und klaren Bewertungen.[15] Das Fernsehen ist das Medium, mit dem sich am meisten Rezipienten erreichen lassen, doch zugleich ist es auch das Medium, das vielleicht am wenigsten geeignet ist für eine argumentativ nachvollziehbare, bewertende Auseinandersetzung mit Literatur. Emily Mühlfeld, die sich näher mit dem Thema beschäftigt hat, spitzt die Beschränkungen und Möglichkeiten des Mediums auf den Satz zu: „Es kann nicht interpretieren, aber neugierig machen.“[16]

Als Objekte der Literaturkritik sind zunächst einmal Sachtexte und fiktionale oder belletristische Texte zu unterscheiden, meistens geht es um letztere und dann vor allem um Romane, Erzählungen und – heute seltener – Gedichte. Wenn Sachliteratur einem kritischen Prüfungsverfahren unterzogen wird, scheinen die Bewertungskriterien einfacher zu sein, denn Sachliteratur soll ihren Gegenstand möglichst wahrheitsgetreu und auf nachvollziehbare Weise behandeln. Ob man nun eine besonders komplexe, schwierige Argumentation oder einen unterhaltsamen Stil erwartet, hängt vom Zielpublikum ab, das wiederum durch Faktoren wie Verlag (Publikumsverlag oder wissenschaftlicher Verlag), Themenwahl o oder Ähnliches vom Kritiker eingeschätzt werden kann. Zur Sachbuchkritik gibt es kaum Untersuchungen und es ist zu vermuten, dass auch hier die Kriterien nicht so klar sind, wie es zunächst aussieht.

In den letzten Jahren sind zwei Entwicklungen immer wichtiger geworden:

1. die Degradierung der Rezension zur Buchanzeige: Durch den ökonomischen Druck, dem die Medien, auch durch ihre Diversifizierung, ausgesetzt sind, bleibt oftmals keine Zeit für die langwierige Lektüre von belletristischer Literatur. Gerade Regionalzeitungen oder andere kleinere Medien haben kaum Personal, das sich genügend auskennt und / oder die entsprechenden zeitlichen Reserven hat, um Neuerscheinungen zu sichten und eine Auswahl vorzustellen. Insofern behilft man sich hier oftmals mit dem Abdrucken redigierter Informationstexte, in der Regel aus Verlagsprospekten. Nur noch die Auswahl der Informationstexte stellt so etwas wie eine geistige Leistung und qualitative Gewichtung dar.

2. Literaturkritik im Internet:[17] In zahlreichen Foren oder auf privat unterhaltenen Seiten werden – manchmal allgemein, manchmal bezogen auf besondere Interessen oder Genres – zahlreiche Lesetipps gegeben und Bücher vorgestellt. Diese Lesetipps erreichen meist, bedingt durch ihre Vielzahl, nur ein begrenztes, speziell an der Seite interessiertes oder zufällig auf sie stoßendes Publikum. Zu unterscheiden sind

a) Lesetipps (teilweise mit klaren Bewertungen durch Zuweisung von Punkten auf einer Skala) auf kommerziellen Internetseiten wie denen des Buchhändlers Amazon, der damit natürlich auch den Buchverkauf stimulieren möchte,[18] und

b) spezielle Internetanbieter für Literaturkritik, die in der Regel von universitären Einrichtungen getragen werden. Das bekannteste Rezensionsforum ist literaturkritik.de, ein nicht-kommerzielles Unternehmen der Universität Marburg. Monatlich werden hier bis zu 100 Bücher besprochen. Speziell für literaturwissenschaftliche Publikationen hat sich IASLonline  einen Namen gemacht, ein Rezensionsforum der LMU München. Dazu kommen

c) Rechercheseiten, etwa jene der größten universitären Dokumentationsstelle für Literaturkritik im deutschen Sprachraum. Das zur Universität Innsbruck gehörende Innsbrucker Zeitungsarchiv (IZA) hält rund eine Mio. Artikel zur Weltliteratur aus deutschen Printmedien seit Beginn der 1960er Jahre vor. Gesucht werden kann mittels Datenbankrecherche von zuhause aus. Das IZA erfasst außerdem die Metadaten von Artikeln in rund 60 Literatur- und Kulturzeitschriften und es archivierte Sendungen in Hörfunk und Fernsehen, die sich mit Literatur beschäftigen (mit über 11.000 Mitschnitten). Das IZA ist auch die Heimat eines Literaturkritik und Literaturvermittlung beobachtenden Internet-Magazins namens literaturkritik.at.

d) Eine Mischform von Dokumentation und kritischer Beobachtung stellt das Angebot von Perlentaucher dar. Wichtiger Bestandteil des Kulturmagazins ist eine Presseschau, die Rezensionen zu besonders beachteten Titeln zusammenfasst und damit einen ersten Überblick z.B. über kontrovers geführte Debatten vermittelt. Über den Autorennamen oder den Buchtitel kann man noch nach Jahren die Zusammenfassungen der Kritiken suchen und lesen, außerdem lässt sich so herausfinden, ob der Autor noch andere Bücher geschrieben hat, zu denen Material archiviert worden ist. Links zu im Netz befindlichen Artikeln, Linklisten zu speziellen Themen und anderes mehr findet sich im weiterführenden Angebot.

Neben der Literaturkritik gibt es andere Formen der Kritik, vor allem die mit ihr eng verwandte Theaterkritik und die Filmkritik.

Literatur im engeren Sinn (verstanden als fiktionale Höhenkammliteratur) ist ein Codierungssystem, es gehört durch seine Deutungsoffenheit zum Bereich der Kunst. Dramen sind neben Prosatexten und Gedichten eine der Hauptgattungen der Literatur.

Da man davon ausgeht, dass Theaterstücke (sogenannte Lesedramen einmal ausgenommen) für die Aufführung geschrieben worden sind, werden sie in der Regel besprochen, wenn sie aufgeführt werden. Nun impliziert jede Aufführung bereits eine mehr oder weniger notwendige Veränderung des Vorlagentextes, sei es, weil der Text zu lang ist und eine Aufführung daher länger dauern würde, als es das Publikum üblicherweise goutiert; sei es, dass Regie und Dramaturgie den Text als Ausgangspunkt für etwas Neues nehmen, das sie damit zeigen wollen. Die weitestgehenden Veränderungen verbindet man mit dem sogenannten Regietheater. Die ursprünglichen Texte sind hier kaum wiederzuerkennen und für Kritiker wie Publikum stellt sich die spannende Frage, ob mit den Veränderungen neue Erkenntnisprozesse initiiert werden können, ob also der Ausgangstext produktiv genutzt worden ist. Mit dem Codierungssystem der Literatur werden bei der Aufführung eines Dramentextes noch andere Codierungssysteme verbunden – etwa Bühnenbild, Musik, Mimik und Gestik der Schauspieler.

Der literarische Text wirkt in der Regel allein durch die Schriftsprache (von Illustrationen oder Abbildungen einmal abgesehen, etwa beim Bilderbuch). Die Schrift muss dekodiert werden, so entstehen ‚Bilder im Kopf’. Das Theater überführt die Sprache bereits in bewegliche Bilder, es setzt konkrete Personen an die Stelle von Figuren, die der Text oftmals nur sehr eingeschränkt auf bestimmte Merkmale festlegt (etwa auf das Alter oder die Größe). Dazu kommt die ganz anders wirkende gesprochene Sprache, eventuell noch die Musik. Damit wird die akustische Wahrnehmung angesprochen, und es werden die anderen Sinne aktiviert, die registrieren, dass man sich in einem Theater befindet. Ein Buch kann man jederzeit zur Hand nehmen, ins Theater kann man nur zu bestimmten Aufführungszeiten gehen.

Auch der Film ist ein Codierungssystem – oder vielmehr ein Bündel von Codes. Zur gesprochenen Sprache, Mimik, Gestik etc. kommen Kameraeinstellung, Schnitttechnik und andere visuelle Variablen. Die Musik wird auf das Bild abgestimmt, mit ihr lassen sich weitergehende Wirkungen erzielen (man denke an Horrorfilme, die höchstens noch halb so spannend wirken, wenn man bei ihnen den Ton abschaltet). Filme sind arbeitsteilig organisiert, sie sind so materialaufwändig und komplex in ihrer Struktur, dass künstlerische Ansprüche nur mit viel Geld realisiert werden können. Das führt dazu, dass nur wenige Filmgesellschaften überhaupt massentaugliche Filme produzieren können und dass die Kosten eines Films durch seine Vermarktung wieder hereingeholt werden müssen – idealerweise mit einem satten Profit, der es auch ermöglicht, einen neuen Film vorzufinanzieren. Bücher und Theateraufführungen sprechen ein zahlenmäßig viel kleineres Publikum an, sie sind viel preiswerter zu produzieren und das Risiko ist viel geringer. Dies dürfte ein wichtiger Grund dafür sein, dass Filme oftmals sehr routiniert wirken und das Publikum vor keine großen Verständnisprobleme stellen – was man beim fiktionalen Text oder Theater erwartet. Hörbücher und andere fiktionale ‚Texte’ (im Sinne von Codierungssystemen) ließen sich ebenfalls in ihren unterschiedlichen Voraussetzungen und Wirkungsmöglichkeiten diskutieren.

Kritik als Beruf

Da Literaturkritik durch ihren Erscheinungsort dem Journalismus zuzuordnen ist, dessen höchstes Gut die (grund-)gesetzlich verbriefte Meinungsfreiheit darstellt, gibt es keinen vorgeschriebenen Ausbildungsweg zum Literaturkritiker. Üblicherweise wird heute ein (geistes-)wissenschaftliches Studium vorausgesetzt, nach einem zweijährigen Volontariat kann dann die Anstellung als Redakteur erfolgen. Allerdings sind die wenigsten Literaturkritiker festangestellte Redakteure – die meisten sind freiberuflich tätig. Viele leben davon, für verschiedene Zeitungen zu schreiben, andere haben eine Anstellung an einer Universität oder arbeiten in den unterschiedlichsten Berufen.

Die Tätigkeit in den Massenmedien führt dazu, dass sich Literaturkritiker mit deren Funktionsweise auseinandersetzen müssen. Wichtig ist beispielsweise der Aktualitätsbezug.[19] Das be­sprochene Buch sollte noch nicht zu lange auf dem Markt sein. In vielen Medien gibt es ein regelrechtes Wettrennen um die erste publizierte Rezension, manche unterlaufen die von Verlagen vorgegebene Sperrfrist. Viele Verlage senden Bücher vor dem Auslieferungstermin, also dem Termin, ab dem die Bücher in den Buchhandlungen aufliegen, an Kritiker mit der Auflage, bis zu einem bestimmten Datum mit der Veröffentlichung der Kritik zu warten. Ein solches Verhalten kann von den Verlagen sanktioniert werden, indem sie dem Kritiker oder dem Medium beim nächsten wichtigen Titel kein Vorabexemplar zukommen lassen; allerdings sind Verlage auf Publizität angewiesen und werden sich einen solchen Schritt gut überlegen. Mit den Spielregeln der Literaturkritik und dem – wie auch immer zu bewertenden – ‚kreativen‘ Umgang mit ihnen wird sich jeder (werdende) Kritiker auseinandersetzen müssen, wenn er mit seiner Tätigkeit Erfolg haben, d.h. Anerkennung bekommen und möglicherweise Karriere machen will.

Dazu kommt das nötige Kontextwissen, das ein Studium nur teilweise bereitstellen kann. Das literarische Feld hat eine Eigengesetzlichkeit (Niklas Luhmann bezeichnet es als autopoietisches, d.h. selbsterzeugendes und sich selbst regulierendes System),[20] es hat eine historische Dimension und es steht in Wechselwirkung mit allen anderen Bereichen (Systemen, Feldern) der Gesellschaft. Wer Literaturkritiker werden will, muss möglichst früh anfangen, möglichst viel zu lesen und sich außerdem in verschiedensten Bereichen Allgemein- und Spezialwissen aneignen, um die zu rezensierenden Bücher diachron (in die literaturgeschichtliche Tradition oder in die historische Entwicklung einer Thematik) wie synchron (in die aktuelle Literatur) einordnen zu können.

Was Gernot Stegert für die Filmkritik betont, gilt auch für die Literaturkritik: Es handelt sich um „eine journalistische Fertigkeit“, die „wie jede komplexe Tätigkeit eingeübt werden“ muss.[21] In der Regel geschieht dies durch ‚Learning-by-doing‘; ersten Kritiken bei Anbietern im Internet, für Anzeigenblätter und Regionalzeitungen oder für lokale Rundfunkstationen kann die Arbeit für größere Medien folgen.

Geschichte der Literaturkritik

„Die moderne Literaturkritik entstand in der Aufklärung.“[22] Die Basis dafür boten die Ablösung des religiösen Weltbildes durch ein wissenschaftliches, die Industrialisierung, das Aufkommen des Bürgertums und die Entstehung eines gesellschaftlichen Diskurses mit immer mehr Teilnehmern. Der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Jürgen Habermas (geb. 1929) hat mit dem Titel seiner berühmt gewordenen Habilitationsschrift von 1961 hierfür den Begriff  „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ geprägt.[23]

Zentral für das Programm der Aufklärung war der Begriff der Vernunft, und eines der Instrumente, ihr zum Sieg zu verhelfen, war die Kritik. Nicht zufällig tragen viele wichtige Schriften den Begriff im Titel, beispielsweise Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft (1781, 2. erw. Aufl. 1787), Kritik der praktischen Vernunft (1788) und Kritik der Urteilskraft (1790). Da der öffentliche Diskurs vor allem über das Theater und die Literatur lief, kam der Theater- und Literaturkritik besondere Bedeutung zu. Der Diskurs über Vernunft und Kritik ist allerdings in einem weiteren politischen Kontext zu sehen:

Die politische Kritik […] wird zur Stimme der öffentlichen Meinung. Zwar gilt auch für sie noch die für den Absolutismus konstitutive Trennung von Mensch und Untertan, Moral und Politik, aber für sie ist dieser Dualismus nur noch Taktik, um ihrer moralischen Kritik schärferen Ausdruck zu geben und dem Souveränitätsanspruch des Königs zu trotzen, bis sie ihm in der Revolution als Menschen den Prozeß machen.[24]

Was Berghahn hier für Frankreich feststellt, gilt für den deutschsprachigen Raum zeitverzögert ebenso. Auch wenn die Partizipation des Bürgertums an der staatlichen Macht nach den Befreiungskriegen mit dem Wiener Kongress von 1815 noch einmal unterbunden wurde und die Revolution von 1848 keine radikalen politischen Lösungen brachte, so wurde das Bürgertum doch zur wichtigsten Schicht in der Gesellschaft; es bestimmte die wirtschaftliche Entwicklung ebenso wie es die zentrale Rolle in der Bildung spielte. Kritik, auch Literaturkritik, ist insofern wichtiger Bestandteil der Ausbildung einer bürgerlichen Identität.

Gerade durch die Abstinenz bei der politischen Entscheidungsfindung wird die Beschäftigung mit Theater und Literatur noch wichtiger: „Im Freiraum der literarischen Öffentlichkeit kann sich auch in Deutschland [wie in Österreich] die moralische Kritik als politische Ersatzhandlung artikulieren.“[25] Ob diese Trennung von öffentlicher und privater Sphäre eher positive oder negative Folgen für die gesellschaftliche Entwicklung gehabt hat, wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt.

Bis zur Barockzeit galt literarisches Schreiben als etwas Erlernbares, vergleichbar einem Handwerk.[26] Die Qualität neuer Texte wurde daran gemessen, wie erfolgreich sie darum bemüht waren, die seit der antiken Literatur tradierten Muster zu adaptieren. Literatur funktionierte in einem höfischen Kontext, Auftraggeber und Mäzene waren die weltlichen und geistlichen Herrscher. Kritik war erlaubt, wenn sie nicht die gottgegebene Ordnung der Gesellschaft, die Macht der Kirche und der von ihr eingesetzten Herrscher sowie die hierarchische Einteilung der Gesellschaft (Adel und Volk) in Frage stellte.

In der Frühaufklärung, vor allem durch Johann Christoph Gottsched (1700-1766), setzte sich die Auffassung durch, dass sich „ein vernünftiges Regelsystem“ finden lässt, „das normativ und universell gilt“.[27] Vernünftig war, was der Bildung und Ausbildung des Bürgertums in Abgrenzung zum Adel nach oben und zum Volk nach unten dienen konnte. Die Kompetenz der Beurteilung von Literatur wurde in dem Begriff des Geschmacks gefasst. Doch auch hier treten schon die Gegensätze von Geschmack des Kritikers einerseits, vermutetem und tatsächlichem Publikumsgeschmack andererseits auf. Der Kritiker sollte, so die programmatische Forderung, das Bürgertum „als Kunstrichter, Experte und Vormund erst zur literarischen Mündigkeit“ erziehen:[28] „[Johann Ulrich] König und ihm folgend Gottsched machen dem Kunstgefühl zwar Zugeständnisse, aber letztendlich wird das Urteil über das Schöne vom prüfenden Verstand gefällt.“[29] Unter Rückgriff auf Alexander Gottlieb Baumgartens Aesthetica von 1850 wird der neue Begriff entwickelt. Der Geschmack „ist das Vermögen, die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit der schönen Gegenstände zu beurteilen (iudicium). Er ist im Sinne des rhetorischen Iudicium Voraussetzung der Kritik“.[30] Die Ambivalenz von individuellem und gruppenbezogenem oder kollektivem Geschmack löst Immanuel Kant, indem er den Geschmack als etwas Subjektives und Plurales verteidigt und zugleich „die Allgemeingültigkeit des ästhetischen Urteils“ zu begründen versucht. Das Schöne provoziert ein „interesselose[s] Wohlgefallen“: „Im ästhetischen Zustand fühlt sich der Betrachter befreit von physischer Nötigung oder moralischer Forderung; die Erfahrung des Schönen gewährt ein besonderes Lustgefühl, das nicht nach Befriedigung verlangt.“ Und weiter: „Im Geschmacksurteil geht der Urteilende über seine private Subjektivität hinaus, er teilt sich anderen mit und stellt sich dabei auf einen Standpunkt, von dem aus er für alle spricht. Das wäre der soziale Aspekt des Geschmacksurteils“.[31] Daraus folgert Berghahn: „Die allgemeine Mitteilbarkeit des ästhetischen Gemütszustands und die regulative Idee eines ästhetischen Gemeinsinns bilden die Grundlage der praktischen Kunstkritik. Was ist Kritik anders als ein Beurteilen des Schönen unter einem allgemeinen Gesichtspunkt?“[32]

Gotthold Ephraim Lessing, der bedeutendste Schriftsteller der Aufklärung, ist zugleich einer der wichtigsten Literaturkritiker nicht nur seiner Epoche:[33] „Als Kunstrichter ist er [der Kritiker] weder der Gesetzgeber noch der Zuchtmeister der Dichter. Er prüft nur am Einzelfall, ob das Werk die gattungseigentümlichen Wirkungen erzielt.“[34] Die Genieästhetik, der in der Epoche des Sturm und Drang zum Durchbruch verholfen wurde, hält Einzug in die Bewertung von Literatur. Der Autor wird zum Schöpfer, er und sein Text bestimmen die Kriterien selbst, nach denen der Text beurteilt werden kann. Anders gesagt: Der Kritiker ist aufgerufen, die Kriterien zur Beurteilung eines Texts aus diesem heraus zu entwickeln. Freilich gelten auch weiterhin allgemeine Bedingungen, denen sich Autoren und Texte nicht entziehen können, etwa die Frage der Wahrscheinlichkeit der Handlung. „Die ‚Grundbegriffe des Vollkommenen und Schönen‘ – besonders bei den literarischen Gattungen – sind natürlich schon durch die Tradition und die zeitgenössische Diskussion vorgegeben.“[35] Doch erstmals wird das Neue, Innovative, Originelle des Texts als wichtigstes Kriterium zu dessen Bewertung herangezogen. Der Kontext (auch der politisch-gesellschaftliche) muss dabei stets mitgedacht werden: „Literarische Kritik rezensiert nicht nur die neueste Literatur, sondern sie prüft dabei auch den Wert der Tradition und setzt sich mit den Einflüssen der Nachbarkulturen auseinander, um ihre Funktion für die zeitgenössische Literatur zu bestimmen.“[36] Und dieser literarische Kontext steht in einem weiteren gesellschaftlichen; weder können die europäischen Literaturen isoliert voneinander gesehen werden, noch entstehen sie in einem gesellschaftsfreien Raum.

Freilich ist nicht nur Lessing wichtig; der Diskurs über Literatur und ihre Bewertung bezog praktisch alle Schriftsteller ein, die in der Regel in Personalunion Kritiker waren. Der Beruf des Literaturkritikers entsteht erst, wie der des Journalisten allgemein, im Laufe des 19. Jahrhunderts. Ein Beispiel ist Friedrich Nicolai, der 1765 die Allgemeine Deutsche Bibliothek gründete und damit ein Forum für Literatur schaffen wollte, in dem jede Neuerscheinung besprochen werden sollte:

Dieses Werk soll seiner Absicht nach, eine allgemeine Nachricht, von der ganzen neuen deutschen Litteratur vom Jahre 1764 an, in sich enthalten. Man wird also darinn von allen in Deutschland neu herauskommenden Büchern, und andern Vorfällen, die die Litteratur angehen, Nachricht zu ertheilen suchen. Schriften, von einiger Wichtigkeit, sonderlich deutsche Originalschriften, wird man ausführlich recensiren, so daß sich der Leser von dem ganzen Werke selbst aus der Recension einen richtigen Begrif machen kann. Schriften von minderer Wichtigkeit, und Uebersetzungen wird man nur kürzlich anzeigen, doch mit Beyfügung eines kurzen Urtheils, über den Werth derselben.[37]

Auch wenn der Erfolg phänomenal war – „Im Laufe von über 40 Jahren besprachen 433 Rezensenten über 80000 Neuerscheinungen“[38] –, so konnte, angesichts der stetig wachsenden Titelzahl, der Anspruch auf Vollständigkeit nicht durchgehalten werden.

Die Literatur der Weimarer Klassik orientiert sich einerseits an antiken Vorbildern und geht andererseits frei mit ihnen um. Schiller wie Goethe geben sich neue Regeln, allerdings auf der Basis der Modifikation von und des Spiels mit alten Mustern. Zu Schillers Literaturprogramm und zu ihm als Kritiker wäre viel zu sagen, hier soll nur festgehalten werden, dass er „künstlerische Distanz“ fordert,[39] vom Autor bei der Literaturproduktion, allerdings in der Konsequenz auch vom Kritiker, der ein Werk nur dann professionell beurteilen kann, wenn er es auf seinen Konstruktionscharakter hin untersucht und das Zusammenwirken aller Teile berücksichtigt. Einerseits gilt, in der Nachfolge Kants, der literarische Text als autonomes Kunstwerk.[40] Andererseits ist Schiller weiter der Aufklärung verpflichtet in dem Glauben und der Absicht, mit Literatur erzieherisch wirken zu können. Berghahn erläutert den Zusammenhang folgendermaßen: „Literaturkritik operiert aus einer Position der Marginalität und zielt auf einen ästhetischen Gemeinsinn, der dann die Grundlage einer neuen politischen Öffentlichkeit werden könnte.“[41]

Der vernunftgeleiteten Literaturkritik erteilt die Romantik eine Absage, zumindest in der Frage, ob der Vernunft oder dem Gefühl Vorrang einzuräumen sei. Die Feststellung von Schulte-Sasse, „Kunst ist hier nicht mehr durch ihre lebenspraktischen Bezüge bestimmt“,[42] ist so nicht ganz korrekt, denn die emotionale Rezeption von Kunst und Literatur hat natürlich weitreichende Folgen für das eigene Leben (und das der anderen). Durch bildende Kunst und Literatur sind Transzendenzerfahrungen möglich. In ihnen spiegelt sich das verlorene Goldene Zeitalter, die Gegenwart mit ihrer Disparatheit und Heterogenität hinterlässt deutliche Spuren und das künftige Goldene Zeitalter, die Vereinigung alles Getrennten auf einer höheren Entwicklungsstufe, lässt sich erahnen. Das Neue ist nicht die Wiederkehr des Religiösen, sondern vielmehr, dass der Riss zwischen Subjekt und Welt erkannt, betont und gestaltet wird. Die ganzheitliche Wahrnehmung von Welt ist nicht mehr möglich, ein geschlossenes Weltbild wird suspendiert.[43] Dass sich die Romantiker auf Kant beziehen, zeigt nur, dass die Epoche keine Gegensatzbildung zur Klassik ist, sondern eine Weiterentwicklung der für beide Epochen grundlegenden Ideen darstellt.[44]

Insofern weist die Romantik auf die klassische Moderne ein Jahrhundert später und die Feststellung Sigmund Freuds voraus, es gebe drei narzisstische Kränkungen des Menschen, die mit den Namen Kopernikus, Darwin und seinem eigenen Namen verbunden sind. Die letzte sei die größte Kränkung, denn mit ihr stehe fest, dass „das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus“.[45] Eine solche Tradition festzustellen bedeutet auch eine Gegenposition zur früheren Diskreditierung der Romantik als Wegbereiterin faschistischer Ideologien.[46]

Unter dem Eindruck von Restauration (Gründung des Deutschen Bundes als loser Staatenverbund mit weiterhin absolutistischen Herrschern im Wiener Kongress 1815) und Zensur (Karlsbader Beschlüsse von 1819) gibt es bis zur (weitgehend gescheiterten) Revolution von 1848 eine Tendenz des Rückzugs ins Private, die mit dem Begriff Biedermeier bezeichnet wird, und den Versuch, gegen den Maulkorb für die bürgerliche Öffentlichkeit aufzubegehren. Hierfür wird in der Regel der Begriff Vormärz (die Zeit vor der Märzrevolution 1848) gebraucht. Während die Literaturkritik des Biedermeier von einem autonomen Literaturbegriff ausgeht, aber vor allem auf Einfühlung und private Themen setzt, führen die Autoren und Kritiker des Vormärz die Tradition von Aufklärung und Klassik fort, den autonomen Begriff der Literatur mit ihrer gesellschaftlichen Relevanz zu synchronisieren, und zwar, unter dem (Ein-)Druck der Zensur, noch stärker als vorher: „Die Diskussion über Literatur ist, wie [Ludwig] Börne anmerkte, das Mittel der politischen Selbstverständigung.“[47]

Nach dem Scheitern der Revolution (wobei freilich einige Reformen initiiert werden konnten, so musste die Zensur stark eingeschränkt werden) wurde wieder stärker eine Trennung von Politik und Poesie favorisiert:

Julian Schmidt vertrat 1850 in den Grenzboten den Standpunkt, daß die Revolution nicht nur eine politische, sondern gleichzeitig auch eine literarische gewesen sei. Er unterscheidet zwischen der Restaurationsliteratur, der er Inhaltslosigkeit vorwirft, der emphatischen Literatur der Revolutionsjahre und der nachrevolutionären Dichtung, deren Programm er entwerfen möchte.[48]

Der neue (poetische / bürgerliche) Realismus in der Literatur bleibt allerdings dem gesellschaftlichen Idealismus verpflichtet, wie er in der Aufklärung ein- sowie enggeführt, in der Klassik durch Vermittlung von Ästhetik und Erziehung neu konzipiert und im Vormärz radikalisiert worden war. Wie in der Klassik wird wieder stärker auf Bildung gesetzt. Hier teilen sich Literatur und Kritik in zwei Entwicklungsstränge, einen der Tradition verpflichteten (mit Vertretern wie Emanuel Geibel, Joseph Victor von Scheffel und Gustav Freytag), der an ganzheitlichen Welterfahrungskonzepten festhält und insofern hinter die Ästhetik von Klassik und Romantik deutlich zurückfällt, sowie einen vorwärtsgewandten, der die eingeschränkte Wahrnehmung des Subjekts, das Disparate der Entwicklung und die Brüche in allen Teilen der Gesellschaft nicht mehr ignoriert und oftmals sogar zum Thema macht. Autoren wie Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848), Adalbert Stifter (1805-1868), Gottfried Keller (1819-1890), Wilhelm Raabe (1831-1910), Theodor Storm (1817-1888) und Theodor Fontane (1819-1898) können insofern als Wegbereiter des Naturalismus und der Literatur der klassischen Moderne gesehen werden.

Zugleich wird durch die Industrialisierung und die mit ihr einhergehenden technischen Innovationen die Professionalisierung des literarischen Feldes weiter vorangetrieben. Literarische und literaturkritische Tätigkeiten werden, bei aller Durchlässigkeit in beiden Richtungen, zu zwei unterschiedlichen Berufen. Waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Ludwig Börne oder Heinrich Heine eher Schriftsteller als Literaturkritiker, so sind in der zweiten Hälfte Julius Rodenberg und Paul Lindau eher Kritiker als Schriftsteller, zumindest in ihrer Wirkung und Bedeutung aus retrospektiver Sicht. Mit Julian Schmidt (1818-1886) kamen Kritiker auf, die sich zugleich als Literarhistoriker verstanden, und mit Otto Brahm (1856-1912) meldete sich eine Generation in den Feuilletons zu Wort, die die Berichterstattung über Literatur (und Theater oder Kunst allgemein) zu ihrem Brotberuf machte. Der auch heute noch bekannte Literaturkritiker und promovierte Ger­manist Alfred Kerr (1867-1948) versuchte, wie es Berman ausdrückt, „dem kritischen Diskurs durch die Ästhetisierungsstrategie Legitimität zu verleihen“.[49] Kerr gilt zugleich als einer der Kritiker, deren Texte zur Literatur im engeren Sinne gehören – eine Grenzüberschreitung vom Journalismus hin zur Literatur, wie sie durchaus öfter vorkommt (das Paradebeispiel ist der ‚rasende Reporter‘ Egon Erwin Kisch, 1885-1948).

Weiterhin versuchen also Literatur und literaturkritischer Diskurs, die Autonomie des eigenen Feldes mit der Option gesellschaftspolitischer Einflussnahme zu verknüpfen. Literatur hat, so die unausgesprochene Voraussetzung, gesellschaftliche Relevanz; Literaturkritik vermag sie zu vermitteln oder gar zu beeinflussen, indem sie auf künftige Autoren und Texte einwirkt. Die Literaturkritik der Weimarer Republik zeigt sich daher nicht weniger zerrissen als das politische Feld. Marxistische Kritiker vertreten die Auffassung, dass die Literatur in den Dienst des Sozialismus genommen werden muss, während andere Autoren wie Kritiker liberale oder konservative, monarchistische oder nationalsozialistische Programmatiken verfolgen (durchaus mit unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Richtungen); teilweise wird also die Eigengesetzlichkeit der Literatur der nationalen ‚Erziehung‘ geopfert. Als kritischer Beobachter solcher Entwicklungen wie der seit dem 19. Jahrhundert zunehmenden Kommerzialisierung von Literatur und Kritik gilt Karl Kraus (1874-1936) mit seiner Zeitschrift Die Fackel (1899-1936), deren Beiträge er zum größten Teil selbst verfasste.[50]

Mit der freien Meinungsäußerung – als Grundlage von Literaturkritik – war es nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 vorbei; die Literatur- oder Kunstkritik wurde immer weiter eingeschränkt, Ende 1936 sogar verboten und durch die „nationalsozialistische Kunstbetrachtung“ dafür autorisierter Personen ersetzt.[51] Der erste fatale Höhepunkt der Entwicklung war die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz und parallel in zahlreichen anderen deutschen Städten. In der Folge arbeitete das neue Regime konsequent an der Verfolgung missliebiger Autoren und Verlage:

Unter der Kontrolle von [Joseph] Goebbels‘ „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ arbeiteten seit 1933 in zahlreichen Gremien Hunderte von Lektoren Schwarze Listen aus, die sich auf alle Wissensgebiete erstreckten und als Grundlage für einschlägige Verbots- und Beschlagnahmungsaktionen dienten. Eine am 25.4.1935 erlassene „Anordnung über schädliches und unerwünschtes Schrifttum“ machte zwei von der Reichskultur- und Reichsschrifttumskammer erarbeitete Schwarze Listen gesetzeskräftig und die Verbreitung von Büchern und Schriften, die nicht dem „nationalsozialistischen Kulturwollen“ entsprachen, strafbar. Fortan waren die Verlage verpflichtet, ihre Neuerscheinungen bei der 1935 eingerichteten „Beratungsstelle“ der Reichsschrifttumskammer anzumelden. Die Geheime Staatspolizei überwachte die Einhaltung der Bestimmungen. Verstöße konnten mit drastischen Sanktionen geahndet werden. Sie reichten von der Verwarnung bis zur „Streichung aus der Berufsliste“ (Berufsverbot, Vernichtung der materiellen Existenzgrundlage) und der Einweisung ins Konzentrationslager.[52]

Die bekanntesten Personen, die als Schriftsteller wie als Literaturkritiker gleichermaßen wichtig waren, emigrierten, einige begingen im Exil Selbstmord: Kurt Tucholsky 1935, Ernst Toller 1939, Walter Benjamin 1940. Autoren wie Gottfried Benn (1886-1956), Hans Fallada (1893-1947) oder Erich Kästner (1899-1974) blieben im Land und konnten, durften oder wollten sich nicht mehr kritisch äußern. Andere wie Bertolt Brecht, Thomas Mann und seine ebenfalls künst­lerisch tätigen Kinder bemühten sich, im Ausland einen literarischen wie literaturkritischen antifaschistischen Widerstand aufzubauen.

Nach 1945 war das von den westlichen alliierten Besatzungsmächten in Deutschland und Österreich neu organisierte und aufgebaute Mediensystem vom Prinzip der Re-Education, der Erziehung zur Demokratie bestimmt; dem diente auch die Literaturkritik. Da die führenden Intellektuellen emigriert waren und nicht mehr zur Verfügung standen, gab es Kontinuitäten, die aus späterer Sicht wenig erfreulich anmuten: „Zum einflußreichsten publizistischen Literaturkritiker der Adenauer-Ära stieg mit Friedrich Sieburg ein Emigrant auf, der während der Besetzung Frankreichs durch die Hitler-Truppen mit den Nazi-Kollaborateuren fraternisiert hatte.“[53] In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wiederum wurde die Bevormundung der Kritik mit den Mitteln des Sozialismus fortgesetzt. Literatur wie Literaturkritik hatten dem Aufbau des neuen sozialistischen Staates zu dienen, Spielräume gab es nur, wenn Kritik an der gesellschaftlichen Entwicklung auf codierte Weise geäußert wurde, etwa durch Natursymbolik (wie es bereits Heinrich Heine im Vormärz getan hatte, wenn er in Deutschland. Ein Wintermärchen die erstarrten politischen Verhältnisse im Bild des Winters gespiegelt hatte). Trotz der Repressionen konnte sich – mit Autoren wie Wolf Biermann (bis zu seiner Ausbürgerung 1976), Christa Wolf oder Sarah Kirsch – der Diskurs über Literatur zu einem Gegendiskurs innerhalb des real existierenden deutschen Sozialismus entwickeln.

Im Westen Deutschlands und in den anderen deutschsprachigen Ländern gab es, im Zusammenhang auch mit der mit der Studentenrevolte um 1968, eine Entwicklung zu einer kritischen Sicht von Vergangenheit und Gegenwart, von der nicht zuletzt die Literaturkritik profitierte. Literatur diente als kritischer Gegendiskurs zu gesellschaftlichen Machtstrukturen, doch Literaturkritik war ein viel direkteres, schnelleres und treffenderes Instrument der Kritik an gesellschaftlichen Missständen und mit ihr konnte auch programmatisch die ‚richtige’ Literatur von der ‚falschen’ unterschieden werden. Die theoretische Auseinandersetzung mit Literaturkritik war aber bereits so weit fortgeschritten, dass die konstitutive Deutungsoffenheit literarischer Texte eine ideologische Indienstnahme weitgehend verhindert.

Der prominenteste und zugleich umstrittenste Literaturkritiker der Nachkriegszeit war Marcel Reich-Ranicki (1920-2013), der als Jude das Warschauer Ghetto überlebte und 1958 aus dem kommunistischen Polen in die Bundesrepublik Deutschland emigrierte. Zunächst arbeitete er als Literaturkritiker vor allem für die Die Zeit. Von 1973 bis 1988 leitete er das Literaturressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.. 1977 war Reich-Ranicki einer der Mitinitiatoren des Ingeborg-Bachmann-Preises in Klagenfurt (heute: Tage der deutschsprachigen Literatur), der zentralen und öffentlichkeitswirksamsten Veranstaltung zur Gegenwartsliteratur. Von 1988-2001 war er Moderator und führender Kopf der literaturkritischen Sendung Das literarische Quartett im ZDF.

Trotz aller Skandale, die Reich-Ranickis Wirken in der Öffentlichkeit begleiteten, kann seine Leistung für die Literaturkritik wie folgt beschrieben werden:

Reich-Ranickis literaturkritische Publizistik beschränkt sich keineswegs auf die Produktion von Geschmacksurteilen über ausgewählte Neuerscheinungen, sie reflektiert vielmehr in gewissem Umfang auch die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, unter denen diese Bücher entstehen, und macht partiell ihren sozio-kulturellen Stellenwert innerhalb der geistigen Auseinandersetzungen der Gegenwart kenntlich, wobei die Vermessung der literarischen Landschaft durchaus nach einer streitbaren persönlichen Optik erfolgt.[54]

Seit den 1960er Jahren hat sich nicht nur die Gesellschaft und die Literatur, sondern auch die Literaturkritik weiter ausdifferenziert; man kann sie positiv als plurale Literaturkritik beschreiben. Bücher werden mit unterschiedlichen Argumenten mehr oder weniger gelobt, mehr oder weniger verrissen, wobei die Argumente sich aus verschiedenen Ansätzen und Kontexten speisen und so durchaus nebenein­ander bestehen können. Debatten über Literatur im Feuilleton führen selten zu einer einhelligen Meinung. Literaturkritik macht Deutungsangebote und es bleibt dem Leser überlassen, inwieweit er diese Angebote annimmt oder zurückweist. Andererseits wird durch die Konzentration in den Medien, die zunehmende Marktorientierung der Verlage, den Trend zum Infotainment, den zunehmenden Druck, der auf den Kritikern lastet (viele sind nur freiberuflich angestellt oder haben als Redakteure kaum Kapazitäten, sich im nötigen zeitlichen Umfang mit der Literaturproduktion zu beschäftigen), sowie die kaum mehr vorauszusetzende (zumindest nicht mehr einheitliche) Vorbildung der Leser die Tendenz zur Demokratisierung des literaturkritischen Urteils erschwert. Michael Klein beklagte 2004:

Von der Aufbruchstimmung der Literaturkritik in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ist, wie immer von Einzelleistungen abgesehen, nur noch wenig wahrzunehmen. Insbesondere wenn man das Gesamt des Angebotenen betrachtet, wird man zugeben müssen, dass viele Rezensenten sich offenbar tatsächlich und zunehmend nur noch der Ware Buch und seiner Verkaufsförderung statt der Literatur verpflichtet fühlen.[55]

Literaturkritik als Ware, wie sie Michael Klein diagnostizierte, ist zweifellos zu einem großen Problem des literarischen Feldes geworden, und diese Entwicklung ist in einem größeren Zusammenhang zu sehen mit der zunehmenden Vermarktung von Literatur überhaupt.

Rezension oder Interpretation?

Der französische Literaturwissenschaftler und Philosoph Roland Barthes hat mit seinem schmalen Werk Kritik und Wahrheit bereits in den 1960er Jahren bündig einige die Literatur wie die Literaturkritik betreffende Erkenntnisse formuliert, die man heute als Grundlagenwissen voraussetzen kann.

1. Objektivität gibt es nicht, wenn es um Literatur geht. Mit „Gewißheiten des Wörterbuchs“[56] kommt man nicht weiter: „Mit welchem Prüfgerät, mit welchem Wörterbuch soll diese zweite, diese symbolische Sprache, aus der das Werk besteht, gemessen werden, diese Sprache, die gerade eine der vielfachen Bedeutungen ist?“[57] Im Umgang mit Literatur sind Bedeutungszuschreibungen immer „Ergebnisse einer Wahl“.[58] Dafür sorgt die „plurale Sprache“ des literarischen Werks, seine „Offenheit“: „Das Werk besitzt gleichzeitig mehrere Bedeutungen, und zwar aufgrund seiner Struktur, nicht infolge eines Unvermögens derer, die es lesen.“[59] Und weiter: „Deshalb sind die Regeln der Lektüre nicht die der Buchstäblichkeit, sondern die der Anspielung“.[60]

2. Ein literaturkritischer Text ist zugleich auch ein Metatext, also ein neuer Text über einen literarischen Text, er kann diesen also nicht abbilden, er kann nur eine mögliche Lesart skizzieren.[61]

Roland Barthes schlägt vor, das, was wir heute als Interpretation bezeichnen, der Literaturkritik zu überlassen und sich in der Literaturwissenschaft darauf zu konzentrieren, „die Variationen der in den Werken angelegten und gewissermaßen anlegbaren Bedeutungen“ zu vermessen.[62] „Die Kritik ist nicht die Wissenschaft; diese behandelt die Bedeutungen, jene bringt welche hervor.“[63] Der angestammte Platz des Wissenschaftlers ist, so könnte man heute sagen, der des Beobachters mindestens zweiter Ordnung (dritter, wenn er sich beim Beobachten des Beobachters beobachtet und so seine eigenen Bedingtheiten mit berücksichtigt); der Beobachter erster Ordnung ist der Leser oder der Kritiker, der nur seinen subjektiven Eindruck formuliert.

Tatsächlich ist und bleibt die Interpretation das Hauptgeschäft der Literaturwissenschaft. Allerdings ist man dabei bemüht, keine subjektive, sondern eine intersubjektive Lesart vorzuschlagen, unter kritischer Berücksichtigung möglichst vieler vorhergehender Interpretationen (also durchaus in der von Barthes vorgeschlagenen Richtung). Auf der anderen Seite gehört es zur Reputation des Literaturkritikers, nicht nur eine subjektive, sondern eine durch seine Leseerfahrung abgesicherte intersubjektive Interpretation anzubieten, die möglichst genau dem Eindruck seiner LeserInnen bei der Lektüre entsprechen soll; der Kritiker wird also idealerweise auch ein Beobachter (mindestens) zweiter Ordnung sein. Nun kann man Literaturkritik und wissenschaftliche Interpretation (die sich vor allem durch ihren Stil und den Grad des Anstrebens von intersubjektiver Gültigkeit unterscheiden) als unwissenschaftlich verwerfen – doch wenn sich die Interpreten der möglichen Relativität ihrer Deutung bewusst sind, dürfte gegen beides nichts einzuwenden sein. Dazu kommt, dass das bloße Registrieren von Deutungsmöglichkeiten eine blutleere, wenig befriedigende Tätigkeit ist.

Die durch die bereits angesprochene Überschneidung der Handlungsrollen – die meisten Kritiker sind ausgebildete Literaturwissenschaftler – einigermaßen paradoxen, immer wieder vorzufindenden Animositäten zwischen Kritikern und Wissenschaftlern dürften auf ein grundlegendes Missverständnis zurückzuführen sein, das in dem Unterschied zwischen dem Beob­achten erster und (mindestens) zweiter Ordnung begründet liegt. Kritiker werfen Wissenschaftlern vor, durch ihre größere Distanz den Text aus den Augen zu verlieren, während Wissenschaftler meinen, dass Kritiker zu wenig Distanz entwickeln und die identifikatorische durch eine objektivierende Lektüre ersetzen sollten. Dazu kommt der Unterschied in der Sprache: Die literaturkritische Sprache orientiert sich an den Merkmalen der journalistischen Textsorten und bemüht sich um Annäherung an die literarische Sprache (vor allem durch Originalität), während die wissenschaftliche Sprache um Sachlichkeit und Präzision bemüht ist. Daher finden Wissenschaftler die Kritikersprache oft ungenau, die Kritiker die Wissenschaftssprache oft trocken und langweilig. Dass die Vorwürfe in beiden Richtungen keineswegs immer unbegründet sind, dürfte allerdings Konsens sein.

Gnostiker und Emphatiker

Seit es Literaturkritik gibt, ist sie umstritten. Der Streit dreht sich vor allem um die Bewertungskriterien und -maßstäbe. Er kreist um die Frage, welche Literatur für die Behandlung durch die Literaturkritik auszuwählen und aus welchen Gründen die ausgewählte Literatur negativ oder positiv zu bewerten ist. Anders als die Literaturwissenschaft, die zumindest einige konkrete Vorstellungen von der Theorie und Praxis literarischer Wertung entwickelt hat, gibt es in der weniger systematisch bzw. essayistisch sich fortschreibenden Literaturkritik unterschiedliche Ansätze und Überlegungen.

Was auch im Feuilleton immer wiederkehrt, ist die Frage nach der Unterscheidung von Trivial- oder Unterhaltungsliteratur und schöner Literatur oder Höhenkammliteratur. Darüber hat es in den 1990er Jahren einen verstärkten Diskussionsbedarf gegeben, insbesondere mit Blick auf das Verhältnis deutschsprachiger und fremdsprachiger Literatur. Die immer teurer werdenden Lizenzen für fremdsprachige Literatur, die Wiedervereinigung und das damit gewachsene Interesse für Geschichte, der Einfluss der früheren DDR-Autoren auf den nun vereinigten Literaturmarkt, das durch den Untergang des Sozialismus markierte Ende der großen Ideologien – das alles dürfte einen Einfluss auf die Entwicklung der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gehabt haben, die stärker auf eine neue ‚Lesbarkeit‘ verpflichtet wurde.

Einen Nerv traf 1995 Uwe Wittstock, seinerzeit Lektor im S. Fischer-Verlag und später Redakteur der Zeitung Die Welt und des Magazins Focus, mit seinem Buch Leselust. Wie unterhaltsam ist die deutsche Literatur? Das Interesse an der jüngeren deutschsprachigen Literatur sei zu gering, konstatierte Wittstock. Das sei nicht zuletzt von den Autoren selbst verschuldet: „Ihre Bücher erreichen, von einem kleinen Zirkel Eingeweihter abgesehen, niemanden mehr.“[64] Das Problem bestehe im nicht unberechtigten Ruf der deutschsprachigen Literatur selbst im Ausland, „besonders schwierig, unsinnlich und weltfern zu sein – also mehr Lesemühsal zu bereiten als Leselust zu bieten“.[65]

Wittstock vermutet, dass das Problem in Wertungskriterien wurzelt, die Autoren und professionelle Leser teilen; vor allem hält er die zu strikte Abgrenzung zur sogenannten Unterhaltungsliteratur für falsch:

Der Seitenblick auf die leichteren Musen muss keineswegs, wie viele Kritiker hierzulande reflexhaft unterstellen, zu Lasten der Qualität gehen. Er kann vielmehr – neben einer rigorosen handwerklichen Schule – Anreiz und Ansporn zu noch größeren ästhetischen An­strengungen sein.[66]

Wittstock fordert als Gegenmittel das „Prinzip Verführung“.[67] Literatur müsse zum Lesen verführen. Literatur müsse ihre Leser nicht nur, aber eben auch unterhalten. Vor allem dürfe man nicht mehr „mit eifernder Insistenz die E-Literatur von der U-Literatur“ unterscheiden.[68] Nur weil Literatur schwierig sei, sei sie noch lange nicht gut: „Mit Konventionen zu brechen gehört mittlerweile selbst zur literarischen Konvention.“[69] Es sei nicht automatisch schlechter, „die Erzählmuster routinierter Unterhaltungsautoren […] zu übernehmen, um etwas Besseres daraus zu machen“.[70] In den weiteren Kapiteln seines Essays in Buchform behandelt Wittstock dann, als Positivbeispiele, eine Reihe ‚weißer Raben’ – darunter versteht er so unterschiedliche Autoren wie Sten Nadolny, Christa Wolf, Peter Handke, Ulrich Woelk und Patrick Süskind.

Die Debatte, die Wittstock initiieren will, ist so neu nicht – insbesondere ein Aufsatz aus dem symbolischen Jahr 1968 ist hier zu nennen. Wittstock weiß das natürlich, so ist er es, der einen Sammelband verantwortet, an dessen Beginn programmatisch der erwähnte Aufsatz abgedruckt ist. Es handelt sich um Leslie A. Fiedlers Überquert die Grenze, schließt den Graben!, ursprünglich als Rede an der Universität Freiburg gehalten und dann in der Zeitung Christ und Welt sowie im amerikanischen Playboy gedruckt. Mit ‚Grenze’ und ‚Graben’ meint Fiedler die Trennung zwischen Höhenkammliteratur und Unterhaltungsliteratur, aber auch zwischen den Lesern dieser beiden Literaturen.

Fiedler, dessen Beitrag als Startschuss für die sogenannte Postmoderne gilt, sieht die „Distinktion zwischen hoch und niedrig“ als verschleiertes „Klassenvorurteil“ an.[71] Er postuliert den „Neue[n] Roman“, der „anti-künstlerisch und anti-seriös“ sein solle.[72] Nur so ließe sich die notwendige „Überbrückung der Kluft zwischen Elite- und Massenkultur“ leisten, und genau das sei „die exakte Funktion des Romans heute“.[73]

Fiedler wünscht sich dafür eine „neue Literaturkritik“, die „selbstverständlich nicht in erster Linie befaßt sein“ wird „mit Fragen der Struktur, Diktion oder Syntax“:

Nicht Wörter auf dem Papier, sondern Wörter im Leben, oder besser, Wörter im Kopf, in der intimen Verknüpfung von tausend Zusammenhängen – sozialen, psychologischen, historischen, biographischen, geographischen – im Bewußtsein des Lesers (für einen Augenblick, aber nur für einen Augenblick durch die ekstasis des Lesens aus all jenen Zusammenhängen gelöst): Sie werden der Gegenstand zukünftiger Kritiker sein.[74]

Die weltferne versus die weltzugewandte Literatur – genau diese Denkfigur begegnet uns in einem längeren Artikel von Hubert Winkels vom 30. März 2006 wieder, der eine neue, heftig geführte Debatte im Feuilleton auslöste. Schon im Titel des Beitrags für die Wochenzeitung Die Zeit unterscheidet Winkels Emphatiker und Gnostiker. Sein Beitrag reagiert auf eine Podiumsdiskussion im Literarischen Colloquium Berlin (LCB), an der er selbst teilgenommen hatte und in deren Verlauf er von dem Schriftsteller Maxim Biller beschimpft worden war. Winkels hatte, wie andere Podiumsteilnehmer auch, Kritik an Volker Weidermanns neu erschienenem Buch Lichtjahre. Eine kurze Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis heute geübt. Weidermann selbst ist nicht nur Kritiker, sondern war damals Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Die Differenz zu Weidermann versucht Winkels nun zu objektivieren, indem er eine Unterscheidung einführt, ohne allerdings klar zu sagen, zu welcher Gruppe er Weidermann oder sich selbst rechnet – was Anlass zu weiteren Missverständnissen und Artikeln bot.

Winkels konstatiert:

Die Emphatiker des Literaturbetriebs, die Leidenschaftssimulanten und Lebensbeschwörer ertragen es nicht länger, dass immer noch einige darauf bestehen, dass Literatur zuallererst das sprachliche Kunstwerk meint, ein klug gedachtes, bewusst gemachtes, ein formal hoch organisiertes Gebilde, dessen Wirkung, und sei sie rauschhaft, von sprachökonomischen und dramaturgischen Prinzipien abhängt. Und dass sich der Lustgewinn in spätmodern abgeklärten Zeiten der Erkenntnis dieser Prinzipien verdankt. Dass wir Wissen genießen, durch die Erkenntnis und mit analytischen Mitteln. Das ist eigentlich so selbstverständlich, dass selbst der Fußballfan zustimmen kann. Ohne taktisches Verständnis kein Spaß am Spiel.[75] 

Damit ist allerdings – was in der Folge der anderen Artikel kaum eine Rolle spielt – eher eine vermittelnde Position gemeint, die von zwei Seiten unter Beschuss geraten kann:

Wenn man die literarische Landschaft zurzeit verstehen will, ist eine Zweiteilung hilfreich: die Unterscheidung zwischen Emphatikern und Gnostikern. Die Emphatiker sind die mit dem unbedingten Hunger nach Leben und Liebe; Gnostiker sind die, denen ohne Begreifen dessen, was sie ergreift, auch keine Lust kommt; die sich sorgen, falschen Selbstbildern, kollektiven Stimmungen, Moden und Ideologien aufzusitzen.

Während „die Emphatiker den Autor im Blick“ haben, geht es den Gnostikern allein um den Text und dessen kultur- oder literarhistorischen Kontexte.

Winkels zitiert hier ausgiebig, ohne auf seine Quellen hinzuweisen. Der Begriff des literarischen Kunstwerks geht auf Roman Ingarden und Wolfgang Kayser zurück, die Forderung, wir müssten begreifen, was uns ergreift, auf Emil Staiger – allesamt Vertreter des Strukturalismus oder der Werkimmanenz, also von textzentrierten Deutungsansätzen. Winkels versucht die Vor- und Nachteile beider Positionen abzuwägen, vor allem skizziert er die Nachteile. Die Emphatiker sieht er in den Armen der „dynamisierten Warenwelt“, die Gnostiker im „durchlöcherten Verhau“ des Sprachexperiments. Beide müssten sich die Frage stellen „nach der angemessenen Lektüre der Welt selbst“.

Gerade weil Winkels nicht direkt für eine der beiden Richtungen Stellung bezog, wurde gegen ihn Stellung bezogen, doch diese Debatte soll hier nicht weiter verfolgt werden. Festzuhalten bleibt, dass die Frage nach der „angemessenen Lektüre“ offen ist und sehr stark davon abhängt, in welchem Verhältnis man identifikatorisch oder reflektierend liest, in welchem Maße man auf Unterhaltung und Handlungsspannung einerseits oder auf formale Besonderheiten andererseits achtet.

Rahmenbedingungen

Nicht vergessen darf man, dass die skizzierten Variablen der Auswahl und Bewertung von Texten durch die Literaturkritik auch stark von deren organisatorischen Rahmenbedingungen abhängen. Literaturkritiker verfassen journalistische Beiträge, die eine möglichst große Zahl von Lesern, Hörern oder Zuschauern des jeweiligen Mediums erreichen sollen. Diese Medien können ganz unterschiedliche Publika haben. So ist eine Rezension für die Tiroler Tageszeitung (TT) ganz anders zu schreiben als eine für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Bei den Lesern der FAZ, die fast ausschließlich einer gehobenen Bildungsschicht angehören, lässt sich viel mehr Wissen über Literatur voraussetzen, während die TT vor allem für regionale Nachrichten von Menschen gelesen wird, die sich zu einem erheblichen Teil vermutlich kaum für Literatur interessieren und entsprechend wenig Vorwissen mitbringen. Auch die Stilebene wird eine ganz andere sein – längere gegen kürzere Sätze, hoher Fremdwortanteil gegen niedrigen etc. Über einen längeren Zeitraum sich hinziehende Debatten sind in der FAZ möglich, auch wegen des vergleichsweise großen Raumes, den die Zeitung ihrem Feuilleton einräumt. Die TT hat andere Schwerpunkte. Damit ist aber noch keine Bewertung der Berichterstattung angesprochen. Vielmehr orientierten sich Inhalt und Stil der Beiträge an dem, was die Leser der jeweiligen Zeitung erwarten (aus der Perspektive des Verlegers, der Chefredaktion, der Redakteure und Kritiker).

Der Vergleich Fernsehbeitrag und Rezension wird noch schwieriger. Hier sind die unterschiedlichen medialen Gestaltungsmöglichkeiten mitzudenken. Dazu kommt: Jedes Medium, aber auch jeder Kritiker möchte sich nicht nur profilieren, er muss es tun, um für seine Kritik und damit auch für seine Arbeit Aufmerksamkeit zu erzielen und in der Konsequenz an Ansehen zu gewinnen; in den Worten Bourdieus: um symbolisches Kapital zu erwirtschaften. Für freie Kritiker, die mehreren Medien Beiträge anbieten, ist dies noch wichtiger. Redakteure haben zusätzlich zum Verfassen von Beiträgen andere Aufgaben, die ihre Position festigen oder unsicherer machen können. Es handelt sich also um einen Markt, der Angebot und Nachfrage unterliegt – bei den Produkten, den literaturkritischen Beiträgen, ebenso wie bei den Herstellern dieser Produkte, den Kritikern. Sie können ihre Arbeit verlieren, ihre Position untermauern oder eine neue, bessere erlangen – je nachdem, wie ihre Arbeit durch Leser, Vorgesetzte und andere wichtige Marktteilnehmer eingeschätzt wird.

Wie in jedem Beruf sind hier natürlich auch informelle Kräfte am Werk. Beziehungen beispielsweise können ebenso wichtig sein wie die Qualität der Arbeit. Früher sprach man kritisch von Seilschaften, heute spricht man euphemistisch von Netzwerken. Wer nicht mit anderen im Feld vernetzt ist, hat keine Chancen, erfolgreich zu sein. Das hat allerdings auch nachvollziehbare Gründe. Wenn die Chefredaktion der Zeitung XY einen Journalisten kennt, den sie für fähig hält, die Position als Feuilletonredakteur zu bekleiden, dann wird sie diesen nehmen und nicht irgendeinen anderen, der möglicherweise besser, aber vielleicht auch schlechter arbeitet. Insofern ist es für den Erfolg oder Misserfolg als Kritiker auch wichtig, ob man es schafft, sich ein Netzwerk von Kontakten zu erarbeiten – was dann oft auf Gegenseitigkeit beruht.

Solche Beziehungen sind aber nicht nur zweckgerichtet; geteilte Überzeugungen oder Sympathie spielen eine große Rolle. Man darf nicht vergessen, dass wohl fast alle, die literaturkritisch tätig sind, dies mit einem hohen Maß an Identifikation mit ihrem Gegenstand verbinden. Ein literarischer Text ist eben doch ein anderes Produkt als ein Schweineschnitzel oder eine Zündkerze – was nicht heißt, dass Metzger oder Arbeiter in der Elektroindustrie nicht auch auf die von ihnen gefertigen Produkte stolz sein können bzw. ihnen die Identifikation mit ihrer Arbeit nicht wichtig wäre.

Aufgaben der Literaturkritik

Die Aufgaben der Literaturkritik kann man unterschiedlich bestimmen, je nachdem, welchen systematischen Zugang man wählt und welche Schwerpunkte man bei dem setzt, was man von der Literaturkritik erwartet. Dass es Probleme der Literaturkritik gibt, ist unbestritten (inwieweit die Krise konstitutiv für die Literaturkritik ist und ob dies so sein muss oder nicht, ist eine andere und wohl nur je nach Standpunkt zu beantwortende Frage). Felix Philipp Ingold hat das aus seiner Sicht zentrale Problem 2008 wie folgt charakterisiert: „Der Literaturkritik fehlt es insgesamt an Armatur und Methode, an Kompetenz und Konsequenz, und mehr als dies – es fehlt ihr mehrheitlich ganz einfach das Bewusstsein dafür, was sie tut; was sie zu tun hat.“[76] Und 2004 hat Michael Klein festgestellt: „Wenn es der Kritik auf Dauer nicht gelingt, differenzierende Maßstäbe deutlich werden zu lassen, besteht längerfristig tatsächlich eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Literatur, aber vermutlich auch für eine Literaturkritik, die diesen Namen noch verdient.“[77]

Damit haben Klein und Ingold bereits die Position der ‚Beobachtung zweiter Ordnung‘ (Luhmann) eingenommen, die auch für die Literaturkritik konstitutiv sein sollte, da sie über einen Gegenstand spricht und nicht mit ihm. Wenn man einen Gegenstand beobachtet, um sich über ihn zu äußern, sind in der Tat erst einmal die Perspektive der Beobachtung und die Voraussetzungen der Äußerung zu klären. Als ‚Beobachter dritter Ordnung‘ ist dann die Wissenschaft gefragt. Als Ausbilderin von Kritikern kann sie dazu beitragen, dass die Reflexion über die eigenen Maßstäbe nicht zur Ausnahme, sondern zur Gewohnheit wird. Die folgenden Ansätze der Systematisierung von Literaturkritik im Prozess der Literaturvermittlung versuchen, Ansprüchen literaturwissenschaftlich reflektierter Beobachtungen zu entsprechen.

Die erste, wichtige Aufgabe der Literaturkritik ist die Auswahl der Texte, denen sie ihre Aufmerksamkeit zuwendet. Das klingt leichter als es ist. Jährlich werden auf der Frankfurter Buchmesse, die Anfang Oktober stattfindet, von den deutschsprachigen Verlagen rund 100.000 Neuerscheinungen präsentiert. Zunächst ist zwischen Sachbüchern und Belletristik zu unterscheiden, bei Sachbüchern dann zwischen Titeln für Spezialisten und solchen für ein breiteres Publikum. Ein Buch, das sich vor allem an wissenschaftliche Fachkollegen richtet, hat kaum Chancen, in Publikumszeitschriften oder in den audiovisuellen Medien besprochen zu werden. Eine Ausnahme sind Rubriken, so kann es durchaus sein, dass beispielsweise juristische Literatur in Sendungen oder auf besonderen Seiten von Zeitungen und Zeitschriften Erwähnung findet, sofern die darin behandelten Belange von Interesse für die Rezipienten sein könnten. Das wäre, um bei diesem Beispiel zu bleiben, etwa im Bereich Miet- oder Steuerrecht der Fall.

Von Literaturkritik ist vor allem bei belletristischer Literatur die Rede; vielleicht, weil man unterstellt, dass Sachbuchkritik eher informierenden Charakter hat und sie in der Frage der Bewertung lediglich überprüft, ob Buch und Verlag zu viel versprochen haben. Der Anteil der Belletristik schwankt seit rund 200 Jahren um 15-20 % an der Titelproduktion. Doch selbst bei unter 15 % von 100.000 Titeln wird schnell klar, dass nicht alle Titel in den Medien Erwähnung finden können. Wer also wählt aus, was besprochen wird? Auch diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten. In der Regel sind es zwar die Redakteure, die Vorschauen von Verlagen sichten und sich auf dieser Basis entscheiden, welche Titel des kommenden Frühjahrs- oder Herbstprogramms ins Blatt oder ins jeweilige Medium gehoben werden sollen. Doch können es auch Vorschläge von freien Kritikern sein, die Redakteure auf bestimmte Titel aufmerksam machen. Oder Lektoren, die meistens gute Kontakte zu Kritikern haben, weisen diese frühzeitig auf vielversprechende Titel hin. Zwar bedeutet dies, dass sie ihre eigenen Produkte bewerben. Doch wissen sie auch, dass ein Kritiker kein zweites Mal auf sie hören wird, wenn er den Eindruck hat, dass ihm etwas Schlechtes empfohlen und somit das Vertrauensverhältnis missbraucht wurde.

Jede Auswahl ist natürlich bestimmten, allerdings ungeschriebenen Kriterien verpflichtet. Folgende Frage wird sich ein Kritiker vor allem stellen: Ist das Buch für meine Leser von Interesse? Sollte er dies nicht so genau beurteilen können, dann hilft es, wenn er sich die gleiche Frage statt mit ‚das Buch‘ mit ‚der Autor‘ oder ‚das Thema‘ stellt.

Ob ein Buch, Autor oder Thema von Interesse sein kann, hängt mit der Aufmerksamkeit zusammen, die das Buch, der Autor oder das Thema vermutlich beanspruchen können. Das klingt nur scheinbar tautologisch. Viele Leser haben Interesse an gutem Essen, dennoch werden kaum Bücher über gutes Essen besprochen. Bestimmte Themen haben einen Aufmerksamkeitsbonus in der Öffentlichkeit; warum das so ist, ist eine schwer zu beantwortende Frage.

Natürlich spielt auch eine wichtige Rolle, ob das Buch den Kritiker interessiert. Allerdings sehen sich viele Kritiker stillschweigend als Verkörperung des Publikumsinteresses, gehen also davon aus, dass das, was sie interessiert, auch ihr Publikum interessiert. Im günstigsten Fall haben sie Recht, doch sei zugestanden, dass ein Abgleichen von eigenem und Publikumsinteresse selbst für sogenannte alte Hasen außerordentlich schwierig ist.

Ein Problem ist die Tendenz der Bevorzugung bekannter Verlage. Früher waren es Bücher von Suhrkamp, dann von Kiepenheuer & Witsch, später vor allem vom Carl Hanser Verlag, die von der Literaturkritik besonders beachtet wurden. Das hat auch, aber nicht nur mit der Qualität der von  Verlagen gemachten Bücher zu tun. Das Prestige und die Vernetzung der Verlagsleiter oder Cheflektoren haben darauf ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Einfluss.

Die Literaturkritiker funktionieren also als Gate-keeper, als ‚Tor-Hüter‘; sie lassen bestimmte Bücher durch das Tor und andere nicht. Damit bleibt der größere Teil der Titelproduktion schon einmal außen vor. Bücher, die nicht von der Literaturkritik wahrgenommen werden, haben es schwer, an Leser zu kommen. Die große Ausnahme sind sogenannte Schmöker, Bücher, die als ‚fast food‘ fürs Gehirn geschrieben wurden – also beispielsweise Arztromane, die es längst nicht mehr nur in Heftchen-, sondern auch in Buchform gibt. Der Trend geht hier zu höherwertig wirkenden Produkten. Bahnhofsbuchhandlungen beispielsweise sind voll von solchen Titeln. Das ist überhaupt nichts Negatives; keiner kann nur in einem Fünf-Sterne-Restaurant essen, er wird gern einmal auf einen Cheeseburger bei McDonald’s vorbeischauen. Eher schon sollte man sich fragen, warum diese Titel von der Literaturkritik, von Buchtipps in Publikumszeitschriften abgesehen, so konsequent ignoriert werden. Zumindest sollten die Kritiker doch ab und zu am Beispiel ihre Nichtachtung begründen können. Aber das liegt an der – nach Aufweichungserscheinungen in den 1970er Jahren – wieder stärker gewordenen Trennung von E- und U-Literatur. Wobei auch die Grauzone dazwischen größer geworden ist; man denke an den herausragenden Erfolg der Harry-Potter-Reihe bei den Lesern und bei den Kritikern.

Die Auswahl der Bücher richtet sich also nicht zuletzt nach dem erwarteten Publikum. Bestimmte Autoren, die als zentral für die Literatur insgesamt gesehen werden und damit als kanonisiert gelten, werden immer besprochen, in jüngerer Zeit waren das beispielsweise Felicitas Hoppe, Christian Kracht oder Elena Ferrante.

Nach dieser sehr skizzenhaften Ist- nun eine Soll-Beschreibung: Was wäre von einer funktionierenden Literaturkritik zu erwarten? Die möglichen Funktionen können vergleichsweise umfassend an der komplexesten Textsorte, der Rezension, dargestellt werden.

Eine Rezension sollte orientieren, informieren, kritisieren und unterhalten, wobei diese einzelnen Funktionen nicht immer trennscharf auseinanderzuhalten sind.[78] Orientierung schafft der Kritiker, dies kann nicht oft genug gesagt werden, bereits durch seine Auswahl als ‚Gate-keeper‘. Orientieren sollte die Kritik ihren Leser außerdem über die mögliche Bedeutung des besprochenen Texts für die Literatur, über das bisherige Werk des Verfassers sowie die Position des Autors und seines Werks in der Literatur.

Informieren sollte die Kritik über den Inhalt des Buches und, falls vom Platz und den Kenntnissen des Kritikers her möglich, über alles andere, das interessant sein könnte – beispielsweise thematische Bezüge zur Gegenwart, Motivgeschichtliches, Intertextuelles (welche Werke der Literatur werden zitiert oder fortgeschrieben?).

Das Kritisieren wird als zentrale Aufgabe verstanden, denn dem Leser sollte mitgeteilt werden, ob es sich für ihn lohnen könnte, das besprochene Buch zu lesen. Die Interessen sind bekanntlich verschieden; eine gute Rezension sollte also sehr deutlich begründen, warum sie ein Buch besonders gelungen, wenig gelungen oder in Teilen (dann in welchen?) gelungen oder nicht gelungen findet. So kann der Leser die Bewertung nachvollziehen und sich entscheiden, ob er die angelegten Maßstäbe teilt. Wenn beispielsweise ein Kritiker ein Buch abwertet, weil er es für nicht angemessen hält, dass das Leben in der ehemaligen DDR komisiert wird, dann steht es dem Leser der Kritik frei, genau dies, also die Komisierung des Lebens in der DDR, für vielversprechend zu halten und sich gerade deswegen das Buch zu kaufen.

Unterhalten sollte eine Kritik, weil sie der Leser sonst nicht liest – zumindest nicht bis zum Ende, und dann kann sie auch ihre anderen Funktionen nicht erfüllen. Jeder journalistische Text sollte so geschrieben sein, dass er – auf textsortenspezifische Weise – den Leser bis zum Ende fesselt. Das zu leisten erfordert Könnerschaft, es muss gelernt werden. Die den meinungsbetonten Artikeln zugerechneten Rezensionen sind einerseits viel freier in der Wahl ihrer Mittel, doch liegt andererseits genau darin auch eine Gefahr. Zu leicht ist es, thematisch abzuschweifen oder sich in selbstverliebt wirkenden Formulierungen zu verlieren. Schön ist ein Einstieg, der Interesse für das Buch und für die Bewertung durch den Kritiker weckt. Es muss von Satz zu Satz, Absatz zu Absatz bis zum Ende hin Lesespannung erzeugt werden.

In der Forschung finden sich weitere mögliche Einteilungen; die Funktionen werden etwas anders benannt und gewichtet, manchmal werden mehr als vier unterschieden. So vertreten Anz und Baasner die Auffassung: „Literaturkritik ist eine Institution literarischer Erziehung und Bildung.“[79] Das ist ein durch die Aufklärung geprägtes Ethos. Ich würde dagegen halten: Bereits die Kritik an der Aufklärung durch die Kritische Theorie (vor allem in der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer / Adorno) hat die Gefahr eines aufklärerischen Sendungsbewusstseins deutlich gemacht, die Postmoderne schließlich hat endgültig die Konsequenzen daraus gezogen, indem sie plurale Textzugänge favorisiert.[80] Literaturkritiker können Leser nicht erziehen; sie können, wenn man das Bildungsethos noch retten möchte, höchstens dem Leser Angebote machen, wie er sich selbst weiterbilden kann.

Zweifellos wichtig ist die „reflexions- und kommunikationsstimulierende Funktion“ der Literaturkritik,[81] auch wenn man darüber streiten kann, ob sie eigens genannt werden muss und nicht in den genannten Funktionen bereits vorhanden ist. Dies gilt auch für Benennungen wie „Sprach- und Meinungsbildungsfunktion“ oder „Agenda-Setting-Funktion“, die sich (neben anderen) bei Stegert finden.[82] Der aus der Kommunikationswissenschaft übernommene Begriff des Agenda Setting ist bei den genannten vier Funktionen in der Orientierungsfunktion enthalten. Um welche Funktionen man den Katalog noch erweitern will, ist letztlich eine Frage des besonderen Interesses, das man Literaturkritik entgegenbringt.

Hinzufügen könnte man z.B. noch das, was Stegert als „Profilierungsfunktion“ bezeichnet.[83] Hier wird auf die Funktion(en) hingewiesen, die Kritiken für den Kritiker selbst haben. Mit Bourdieu kann man von symbolischem Kapital sprechen, das sich Kritiker durch ihre Tätigkeit erwerben (bzw. dies zumindest versuchen).

Literaturkritiken sind stets Diskursbeiträge, sie stehen in einem größeren Kontext, reagieren auf frühere Beiträge und regen weitere an. Insofern kann ein Kritiker nicht wählen, ob er diese Funktion erfüllen will oder nicht. Wer versucht, außerhalb des Diskurses zu argumentieren, wird gar nicht gehört. Wenn ein Kritiker am Beispiel einer neuen Ausgabe der Werke Georg Büchners versucht zu begründen, dass es sich um einen wenig innovativen, nur durch revolutionäres Pathos wirkenden Autor handelt, dürfte er nicht mehr als Kopfschütteln ernten. Es gibt keine Position, an die er mit seiner anschließen kann, und es gibt keine Anhaltspunkte für die Neubewertung. Seine Relektüre dürfte folgenlos bleiben.

Das führt zu der Beobachtung, dass selbstverständlich auch Literaturkritiken Konventionen unterworfen sind. Nicht nur gesetzliche Regelungen sind zu beachten (wobei solche in meinungsbetonten Artikeln kaum Anwendung finden; die Pressefreiheit ist ein zu hohes Gut), auch die ungeschriebenen Gesetze des Betriebs. Diese Konventionen umfassend zu beschreiben würde aber wohl einige tausend Seiten erfordern und ein solches Regelwerk wäre, da es sich um einen Veränderungen unterliegenden Prozess handelt, rasch veraltet. Außerdem sind die Regeln je nach Medium unterschiedlich ausgeprägt und es würde darüber hinaus der Meinungsfreiheit widersprechen, Verbotstafeln aufzustellen. Wobei selbst der Verstoß gegen unausgesprochene Regeln für seinen Urheber positive Folgen haben kann. Zu komplex ist der Betrieb organisiert, um mehr als allgemeine Aussagen treffen und sie an Beispielen festmachen zu können.

Vom Leben, Schreiben und Lesen in der Dauerkrise

Die größte Konstante der Literaturkritik ist ihre Krise, eine Dauerkrise also. Der erwähnte Streit um Gnostiker und Emphatiker ist ein jüngeres Beispiel dafür. Georg Diez hat in der Zeit folgende provokative Bilanz gezogen:

Die Totenglocke ist das Lieblingsinstrument der deutschen Literaturkritik. Immer geht irgendwo etwas zu Ende, immer ist irgendwo Kulturverfall, immer ist irgendwo irgendwie alles bedroht. Die Krise ist der natürliche Lebensraum der Literaturkritik. Gibt es keine Krise, dann schafft sie sich selbst eine.[84]

Julia Schröder hat in der Stuttgarter Zeitung noch eins draufgesetzt: „Es geht um Literaturvermittlung, und wir sind mitten im Glaubenskrieg.“[85]

Die Krise betrifft die von der Literaturkritik begleitete Literatur gleichermaßen, wie beispielsweise Uwe Wittstock konstatiert:

An schlechten Nachrichten war in den letzten Jahren kein Mangel. Die deutsche Literatur befinde sich in einer Krise, hieß es, sie erleide eine Dürre, durchschreite ein Tal, erlebe eine Zeit des Umbruchs oder des Verfalls – und was der hübschen Metaphern mehr sind. Inzwischen hat man sich offenbar darauf geeinigt, das Requiem als die branchenspezifische Form jenes Klapperns zu betrachten, das zum Handwerk gehört. Manche gehen sogar schon dazu über, aus der regelmäßigen Wiederkehr bedenklicher Diagnosen auf die robuste Verfassung unserer Literatur zu schließen, denn schließlich sei sie trotz aller Hiobsbotschaften immer noch erstaunlich lebendig.[86]

Diese Krise lässt sich allerdings auch produktiv begreifen, man muss nur die Vorzeichen umkehren. Aufgabe der Literatur wie der sie vermittelnden Literaturkritik kann es nicht sein, endgültige Antworten zu geben, die bekanntlich nicht existieren. Ihre gemeinsame Aufgabe sollte es dagegen sein, Lektüreangebote zu machen und so zur Reflexion anzuregen, zur individuellen Reflexion durch jeden Leser. Das Produktive von Literatur und Literaturkritik besteht in ihrer demokratischen Verfasstheit, die in der kodifizierten Meinungsfreiheit wurzelt, und in ihrer demokratischen Wirkung. Die Leser können selbst entscheiden, was sie lesen und wie sie es lesen. Allgemein kann man mit Michael Klein feststellen, „dass sich geisteswissenschaftliche Institutionen nicht zuletzt gerade dadurch auszeichnen, dass sie sich in gewissem Sinne immer in einer Krise befinden (müssen)“.[87]

Diese Erkenntnis findet sich schon in der Literatur, beispielsweise bei Theodor Fontane, der in seinem Roman Der Stechlin von 1898 seinen Protagonisten Dubslav von Stechlin sagen lässt: „Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilig.“[88] Ein Aphorismus, der das vorführt, was er sagt, indem er zunächst die unanfechtbare Wahrheit verkündet, dass es keine unanfechtbaren Wahrheiten gibt, und sie sogleich widerruft.

Bertolt Brecht hat eine ähnliche Erkenntnis formuliert. In seinem Gedichtzyklus Gegen die Objektiven heißt es:

Ich benötige keinen Grabstein, aber
Wenn ihr einen für mich benötigt
Wünschte ich, es stünde darauf:
Er hat Vorschläge gemacht. Wir
Haben sie angenommen.
Durch eine solche Inschrift wären
Wir alle geehrt.[89]

Hier kann man zwar das apodiktische „Wir / Haben sie angenommen“ kritisieren, denn wieso geht Brecht davon aus, dass seine Vorschläge auch angenommen werden, er muss ja sehr von sich überzeugt sein. ‚Gegen die Objektiven‘ bedeutet aber auch Mut zur Erkenntnis, dass es keine ob­jektive Erkenntnis gibt und dass man sich dennoch verständigen sollte, also eine intersubjektive Erkenntnis anzustreben ist. In der Literatur wie in der Literaturkritik wie im wirklichen Leben.

Anmerkungen

Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung des siebten Kapitels aus folgendem, mittlerweile nicht mehr im Verlagsprogramm geführten Buch: Stefan Neuhaus: Literaturvermittlung. Konstanz: UVK 2009 (UTB 3285: Literaturwissenschaft). Sehr herzlich möchte ich an dieser Stelle dem Wiener Verleger Michael Huter danken, der das Buchprojekt bis zur Veröffentlichung begleitet und sich sehr dafür eingesetzt hat.

[1] Brigitte Schwens-Harrant: Literaturkritik. Eine Suche. Innsbruck: StudienVerlag 2008 (Angewandte Literaturwissenschaft 2), S. 107.

[2] Vgl. „Sag mal, verehrtes Publikum, bist du wirklich so dumm?“ Tucholsky zum Vergnügen. Hg. von Stefan Neuhaus. Mit 10 Abb. Stuttgart 2006 (RUB 18392), S. 92.

[3] Oscar Wilde: Bunbury oder Ernst sein ist wichtig. Eine triviale Komödie für ernsthafte Leute. Übersetzung u. Nachwort v. Rainer Kohlmayer. Erw. Ausg. Stuttgart: Reclam 2004 (RUB 8498), S. 12.

[4] Für das vollständige Zitat und eine kleine Blütenlese der Kritik an der Kritik vgl. Stefan Neuhaus: Literaturkritik. Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004 (UTB 2482), S. 83ff.

[5] Walter Moers: Ensel und Krete. Ein Märchen aus Zamonien. 6. Aufl. München: Goldmann 2002, S. 88.

[6] Walter Moers: Die Stadt der träumenden Bücher. Ein Roman aus dem Zamonischen von Hildegunst von Mythenmetz. 9. Aufl. München u. Zürich: Piper 2007, S. 88f.

[7] Hannes Stein: Orte in dünnem Lichte. Über den Schriftsteller Helmut Krausser und dessen Roman „Thanatos“. In: Der Spiegel Nr. 8 v. 19.2.1996, S. 203f.

[8] Thomas Kraft: Komm, o Tod. Helmut Kraussers schwarzer Roman „Thanatos“. In: Stuttgarter Zeitung v. 26.3.1996.

[9] Vgl. zur vertiefenden Lektüre auch den schönen Reader von Sascha Michel (Hg.): Texte zur Theorie der Literaturkritik. Stuttgart: Reclam 2008 (RUB 18549), der Texte von Johann Christoph Gottsched über Walter Benjamin, Theodor W. Adorno und Roland Barthes bis zu Marcel Reich-Ranicki und Hubert Winkels versammelt und so nicht nur einen historischen Überblick über die Verständigung und Selbstverständigung über Kritik in Auszügen bietet, sondern auch ein breites Spektrum (Philosophen, Autoren, Kritiker) möglicher Zugänge dokumentiert.

[10] Vgl. Herbert Jaumann: Literaturkritik. In: Harald Fricke u.a. (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Band II: H-O. Berlin u. New York 2000, S. 463-468, hier S. 463.

[11] Vgl Wendelin Schmidt-Dengler: Literaturwissenschaft und Literaturkritik. In: Ders. u. Nicole Katja Streitler (Hg.): Literaturkritik. Theorie und Praxis. Innsbruck u. Wien: StudienVerlag 1999 (Schriftenreihe Literatur des Instituts für Österreichkunde 7), S. 11-25, hier S. 11.

[12] Für differenzierte Überlegungen, was Literaturkritik ausmacht und wie Rezensionen mit Interpretationen in Verbindung zu bringen sind, vgl. Walter Hinck: Germanistik als Literaturkritik. Zur Gegenwartsliteratur. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1983 (suhrkamp taschenbuch 885), bes. das einführende Kap. I, „Zu einer Theorie der literaturkritischen Praxis“ (S. 9-33).

[13] Thomas Anz: Literaturwissenschaft und Literaturkritik. Kooperation und Konkurrenz. In: Michael Klein u. Sieglinde Klettenhammer (Hg.): Literaturwissenschaft als kritische Wissenschaft. Unter Mitarbeit von Brigitte Messner. Wien: LitVerlag 2005 (Innsbrucker Studien zur Alltagsrezeption 1), S. 29-42, hier S. 29.

[14] Vgl. Michael Klein: Literaturkritik und Literaturwissenschaft. Abermaliges Plädoyer für ein komplementäres Verständnis der beiden Institutionen aus gegebenem Anlass. In: Ders. u. Sieglinde Klettenhammer (Hg.): Literaturwissenschaft als kritische Wissenschaft. Unter Mitarbeit von Brigitte Messner. Wien: LitVerlag 2005 (Innsbrucker Studien zur Alltagsrezeption 1), S. 11-27.

[15] Zum Thema vgl. bes., auch für eine historische und systematische Übersicht, Emily Mühlfeld: Literaturkritik im Fernsehen. Wien: LitVerlag 2006 (Innsbrucker Studien zur Alltagsrezeption 4).

[16] Ebd., S. 299.

[17] Vgl. hierzu auch die Beiträge in: Renate Giacomuzzi, Stefan Neuhaus u. Christiane Zintzen (Hg.): Digitale Literaturvermittlung. Praxis – Forschung – Archivierung. Innsbruck: StudienVerlag 2010 (Angewandte Literaturwissenschaft 10).

[18] Nutzer können zu allen bei Amazon (https://www.amazon.de) gelisteten Medien Kurzkritiken schreiben, sie müssen das Produkt mit einem bis fünf Sternen bewerten, ein Stern ist die schlechteste, fünf Sterne die beste Bewertung. Amazon generiert dann aus den vorhandenen Kurzkritiken einen Mittelwert, der im Titelfeld angezeigt wird.

[19] Vgl. Gernot Stegert: Filme rezensieren in Presse, Radio und Fernsehen. München: TR-Verlagsunion 1993 (TR-Praktikum 8), S. 42.

[20] Vgl. Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1997 (stw 1303).

[21] Vgl. Stegert: Filme rezensieren in Presse, Radio und Fernsehen, S. 7f.

[22] Klaus L. Berghahn: Von der klassizistischen zur klassischen Literaturkritik 1730-1806. In: Peter Uwe Hohendahl (Hg.): Geschichte der deutschen Literaturkritik. Mit Beiträgen von Klaus L. Berghahn u.a. Stuttgart: Metzler 1985, S. 10-75, hier S. 10.

[23] Vgl. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1990 (stw 891). – Zum Zusammenhang von Gesellschaftswandel und Entstehung der (modernen) Literaturkritik vgl. auch Peter Uwe Hohendahl: Literaturkritik und Öffentlichkeit. München: Piper 1974 (Serie Piper 84).

[24] Berghahn: Von der klassizistischen zur klassischen Literaturkritik 1730-1806, S. 14.

[25] Ebd., S. 15.

[26] Zur Barockzeit, insbesondere zu Martin Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey (1624) vgl. Neuhaus: Literaturkritik, S. 37f.

[27] Berghahn: Von der klassizistischen zur klassischen Literaturkritik 1730-1806, S. 24.

[28] Vgl. ebd., S. 25. – Zur Leistung Gottscheds und seiner Critischen Dichtkunst vgl. auch Neuhaus: Literaturkritik, S. 38-41.

[29] Berghahn: Von der klassizistischen zur klassischen Literaturkritik 1730-1806, S. 34.

[30] Ebd.

[31] Ebd., S. 36.

[32] Ebd., S. 36f.

[33] Zu Lessing und seiner Hamburgischen Dramaturgie vgl. auch Neuhaus: Literaturkritik, S. 41-45.

[34] Berghahn: Von der klassizistischen zur klassischen Literaturkritik 1730-1806, S. 39.

[35] Ebd., S. 41.

[36] Ebd., S. 45.

[37] Zitiert nach http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeine_Deutsche_Bibliothek (abgerufen am 1.12.08).

[38] Ebd. – Vgl. auch Berghahn: Von der klassizistischen zur klassischen Literaturkritik 1730-1806, S. 51f.

[39] Vgl. ebd., S. 62. Zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten zu Goethes Literaturauffassung vgl. S. 63ff.

[40] Vgl. ebd., S. 67f.

[41] Ebd., S. 73. Allerdings stimme ich mit Berghahn nicht in der kritischen Zuspitzung überein, es handele sich um ein Konzept der „Gegenöffentlichkeit“, das „einer schönen Öffentlichkeit“ gedient habe (vgl. ebd., S. 75). Eine solche ideologiekritische Position übersieht, dass die Literatur keine Möglichkeit hatte, in den politischen Meinungsbildungsprozess direkt einzugreifen, und dass Schiller wie Goethe durchaus ästhetische Konzepte mit einer politischen Position (und Vision) verbunden haben.

[42] Jochen Schulte-Sasse: Der Begriff der Literaturkritik in der Romantik. In: Peter Uwe Hohendahl (Hg.): Geschichte der deutschen Literaturkritik. Mit Beiträgen von Klaus L. Berghahn u.a. Stuttgart: Metzler 1985, S. 76-128, hier S. 77.

[43] „Romanticism is a body of work that insists on openness; it is a system against systems“, vgl. Brad Prager: Aesthetic Vision and German Romanticism. Writing Images. Rochester/New York: Camden House 2007 (Studies in German Literature, Linguistics, and Culture), S. 227.

[44] Vgl. ebd., S. 6.

[45] Sigmund Freud: Eine Schwierigkeit mit der Psychoanalyse. In: Ders.: Werke aus den Jahren 1917-1920. Hg. v. Anna Freud u.a. Frankfurt/Main: Fischer 1999 (Gesammelte Werke 12), S. 6ff., Zitat S. S. 11.

[46] Vgl. z.B. Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre. München: Hanser 2007, S. 348ff. – Auch die ideologiekritische Auffassung einer „Esoterisierung der Kunstproduktion“ kann somit als zumindest einseitig bezeichnet werden, sie vertritt Schulte-Sasse: Der Begriff der Literaturkritik in der Romantik, S. 80.

[47] Peter Uwe Hohendahl: Literaturkritik in der Epoche des Liberalismus (1820-1870). In: Ders. (Hg.): Geschichte der deutschen Literaturkritik. Mit Beiträgen von Klaus L. Berghahn u.a. Stuttgart: Metzler 1985, S. 129-204, hier S. 135.

[48] Ebd., S. 188.

[49] Russell A. Berman: Literaturkritik zwischen Reichsgründung und 1933. In: Peter Uwe Hohendahl (Hg.): Geschichte der deutschen Literaturkritik. Mit Beiträgen von Klaus L. Berghahn u.a. Stuttgart: Metzler 1985, S. 205-274, hier S. 229.

[50] Vgl. ebd., S. 252f.

[51] Bernhard Zimmermann: Entwicklungen der deutschen Literaturkritik von 1933 bis zur Gegenwart. In: Peter Uwe Hohendahl (Hg.): Geschichte der deutschen Literaturkritik. Mit Beiträgen von Klaus L. Berghahn u.a. Stuttgart: Metzler 1985, S. 275-338, hier S. 282.

[52] Ebd., S. 279f.

[53] Ebd., S. 301.

[54] Zimmermann: Entwicklungen der deutschen Literaturkritik von 1933 bis zur Gegenwart, S. 309.

[55] Michael Klein: Kritik statt Konsensdiktat. Verteidigung der journalistischen Literaturkritik gegen ihre Verächter – trotz allem. Auch aus Anlass der „Tage der deutschsprachigen Literatur“ in Klagenfurt. In: Die Furche Nr. 27 v. 1.7.2004, S. 14.

[56] Roland Barthes: Kritik und Wahrheit. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1967 (edition suhrkamp 218), S. 27.

[57] Ebd., S. 28.

[58] Ebd., S. 29.

[59] Ebd., S. 61f.

[60] Ebd., S. 64.

[61] Vgl. ebd., S. 67f. u. 76.

[62] Vgl. ebd., S. 68.

[63] Ebd., S. 75.

[64] Uwe Wittstock: Leselust. Wie unterhaltsam ist die neue deutsche Literatur? Ein Essay. München: Luchterhand 1995, S. 8.

[65] Ebd., S. 10.

[66] Ebd., S. 15.

[67] Ebd., S. 16.

[68] Vgl. ebd., S. 25.

[69] Ebd., S. 27.

[70] Ebd.

[71] Leslie A. Fiedler: Überquert die Grenze, schließt den Graben! Über die Postmoderne. In: Uwe Wittstock (Hg.): Roman oder Leben. Postmoderne in der deutschen Literatur. Leipzig: Reclam 1994 (Reclam-Bibliothek 1516), S. 14-39, hier S. 32.

[72] Ebd., S. 20.

[73] Ebd., S. 21.

[74] Ebd., S. 16.

[75] Hubert Winkels: Emphatiker und Gnostiker. Über eine Spaltung im deutschen Literaturbetrieb – und wozu sie gut ist. In: Die Zeit Nr. 14 v. 30.3.2006, S. 59. Bis zum nächsten Nachweis sind alle weiteren Zitate im Text aus diesem Artikel.

[76] Felix Philipp Mangold: „Die mit der Zunge Klänge schauen“. Kritisches zur Literaturkritik. In: Volltext 5 (2008), S. 17.

[77] Klein: Kritik statt Konsensdiktat.

[78] Vgl. hierzu Neuhaus: Literaturkritik, S. 165-171.

[79] Thomas Anz / Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik. Geschichte, Theorie, Praxis. München: C.H. Beck 2004, Vorwort S. 7.

[80] Vgl. Schwens-Harrant: Literaturkritik, S. 172f.

[81] Anz / Baasner kommen insgesamt auf sechs Funktionen, vgl. Anz / Baasner (Hg.): Literaturkritik, S. 198. Die „didaktisch-vermittelnde[n] Funktion“ ist eigentlich eine ‚pädagogisch-vermittelnde‘, da die Didaktik die Lehre von der Pädagogik ist. Dies gilt auch für Wolfgang Albrecht: Literaturkritik. Stuttgart u. Weimar: Metzler 2001 (Sammlung Metzler 338), S. 36ff. Hier werden „Ästhetisch-didaktische Funktionen“ unterschieden, allerdings meint Albrecht dabei vor allem, das ist im ganzen Buch sein wichtigster Referenzrahmen, die Situation in der ehemaligen DDR, also den Versuch der staatslenkenden Organe, Leser mittels Literatur politisch zu erziehen.

[82] Vgl. Stegert: Filme rezensieren in Presse, Radio und Fernsehen, S. 30 u. 32.

[83] Stegert: Filme rezensieren in Presse, Radio und Fernsehen, S. 46.

[84] Georg Diez: Wir Emphatiker. Gibt es eine Spaltung im deutschen Literaturbetrieb? Eine Antwort auf Hubert Winkels. In: Die Zeit Nr. 15 v. 6.4.2006, S. 60. – Interessanterweise hat Winkels versucht, Vorschläge zu machen, wie man zwischen gegensätzlichen Auffassungen vermitteln kann, während Diez klar Position für die ‚Emphatiker’ bezieht und (wenn man ihn an den eigenen Maßstäben misst) tatsächlich eine Krise schafft.

[85] Julia Schröder: Was Kritik ist und was nicht. In: Stuttgarter Zeitung Nr. 85 v. 10.4.2006, S. 12.

[86] Wittstock: Leselust, S. 7.

[87] Michael Klein: Literaturkritik und Literaturwissenschaft. Abermaliges Plädoyer für ein komplementäres Verständnis der beiden Institutionen aus gegebenem Anlass. In: Ders. u. Sieglinde Klettenhammer (Hg.): Literaturwissenschaft als kritische Wissenschaft, S. 11-27, hier S. 12.

[88] Theodor Fontane: Der Stechlin. Roman. München: Nymphenburger Verlagshandlung 1969 (Nymphenburger Taschenbuch-Ausgabe in 15 Bänden, Bd. 13), S. 10.

[89] Bertolt Brecht: Ausgewählte Gedichte in sechs Bänden. Jubiläumsausgabe zum 100. Geburtstag. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1997. 4. Bd.: Gedichte 2 (1913-1956), S. 223.