Kein Eheglück für Yingzhi

Die chinesische Autorin Fang Fang schildert, wie „Wütendes Feuer“ eine ihr Todesurteil erwartende junge Frau zu verschlingen droht

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

China in den 90ern: Die alleinherrschende Kommunistische Partei hat Privatunternehmen und andere Bestandteile der Marktwirtschaft eingeführt. Dies wirkt sich vor allem in den Städten positiv aus, wo der Wohlstand zunimmt und moderne Technik um sich greift. Im profunden Nachwort des Übersetzers Michael Kahn-Ackermann wird auf den Punkt gebracht, was damals in China geschah: „eine gesellschaftliche Revolution im Rahmen eines gleichbleibenden politischen Systems“.

Von alledem ist in einem kleinen Dorf nahe der Stadt Wuhan nicht viel zu spüren. Ja, es geht um jenes Wuhan, Hauptstadt der mittelchinesischen Provinz Hubei, das durch das Coronavirus weltbekannt wurde. Die chinesische Autorin Fang Fang hat in ihrem Wuhan Diary über die Situation in der abgeriegelten Stadt geschrieben. Damit wurde die Schriftstellerin international bekannt, woraufhin nach dem Roman Weiches Begräbnis nun auch ein Buch aus dem Jahre 2002 in deutscher Sprache vorliegt. Dieser Roman, Wütendes Feuer, hat alle Aufmerksamkeit verdient. Am deprimierenden Schicksal einer jungen Frau wird eindrucksvoll die hoffnungslose Lage von Millionen chinesischen Frauen auf dem Lande gezeigt .

Fenghuangyuan heißt das Dorf, in dem die junge Yingzhi lebt. Der Übersetzer entschlüsselt den Ortsnamen als „Phöenixdamm“. Mit weiteren ähnlichen Hinweisen und mit knappen Fußnoten zu geschichtlichen und anderen Zusammenhängen agiert er ungemein leserfreundlich.

Der wohlhabendste Mann im Dorf heißt San Huo, der erste mit einem Haus aus Backsteinen statt aus Lehm. Er hat eine Musikgruppe zusammengestellt, die er in der Umgebung anpreist, so dass man sie oft zu Hochzeiten, Beerdigungen und anderen Anlässen bestellt. Da will man nicht länger die traditionellen Melodien hören, sondern die neuesten Schlager aus Hongkong oder Taiwan. San Huo sucht noch eine Sängerin für seine Band. So eröffnet sich für Yingzhi, die all die populären Lieder auswendig kennt, die Chance auf leichtverdientes Geld.

Als die Band für eine Hochzeit engagiert wird, lernt Yingzhi den schlaksigen Guiqing kennen. Nach einem einzigen hastigen Geschlechtsakt mit ihm wird sie schwanger. Sie weiß, dass die Frauen alle Folgen solcher Liebeleien auszubaden haben, doch immerhin will Guiqing sie heiraten.

Die Ehe aber wird zur Katastrophe. Praktisch rechtlos hat sich Yingzhi dem Willen ihres Ehemanns zu fügen und findet bei der eigenen Familie allenfalls Trost, jedoch keine Unterstützung. Auflehnung gegen das ungerechte Patriarchat, das den Frauen harte Arbeit aufbürdet, während viele Männer in den Tag hineinleben, gilt als untragbarer Verstoß gegen die Regeln des Zusammenlebens. Die kaltherzigen Schwiegereltern erwarten, dass Yingzhi ihnen zu Diensten ist, und geben ihrem neugeborenen Enkel den Namen Qianhuo, „Ramschware“. Es herrscht der Aberglaube, ein wohlklingender Name bringe Unglück für ein kleines Kind; umbenennen könne man es später.

Guiqing erweist sich als Faulpelz, Trinker und Kartenspieler. Er vertut das Geld, das seine Frau ihm für die Beschaffung von Baumaterial anvertraut hat. Ein eigenes Haus ist Yingzhis großer Traum. Doch als Sängerin kann sie auf Dauer nicht genug verdienen, weshalb sie über Nacktauftritte und Fummelei bis zur Prostitution kommt.

Es ist die mutige Entscheidung der Autorin, ihre unglückliche Heldin nicht als völlig schuldloses Opfer der Umstände darzustellen. Zu Yingzhis Schwächen gehören neben Jähzorn und der Fixierung aufs Geld auch ein von Anfang an erkennbarer Mangel an Mutterliebe.

Das Ehedrama spitzt sich zu, als Guiqing seine neue Arbeitsstelle in der Kreisstadt aufgibt, weil er sich am Arm verletzt hat. Seine Frau sagt ihm, dass er übertreibt, woraufhin er sie mit seinem Ledergürtel grün und blau schlägt. Yingzhi geht für eine Woche zu ihren Eltern. Doch an Scheidung gegen den Willen des Ehemanns ist nicht zu denken. Vielleicht wird doch noch alles gut? Immerhin geht der Hausbau ein Stück voran.

Doch dann ist das Geld aufgebraucht und der arbeitsscheue Guiqing sieht keinen Grund, rasch neues zu verdienen. Eine Freundin rät Yingzhi, wie viele Leute vom Land in den wirtschaftlich erblühten Süden zu gehen und sich dort Arbeit zu suchen.

Dann aber wird Yingzhi von ihrem Schwiegervater in flagranti mit dem Tontechniker der Band ertappt. Der Fluchtversuch endet am Hoftor, und Yingzhi ist nahe daran, sich zu erhängen, doch mit Anfang 20 will sie noch nicht sterben. Ein zweiter Fluchtversuch gelingt. Nur mit Kleingeld in der Tasche eilt Yingzhi durch die Nacht; sie will „mit den Kräften und Fähigkeiten einer Frau ein selbständiges Leben führen“. Doch es steht ihr das ganze Gegenteil bevor. Ein Vierteljahr ist sie auf einem Schiff bei Tag und Nacht drei Männern zu Diensten und verdient sich so das Geld für die Fahrt in den Süden.

Vor dem Aufbruch besucht sie ihr Elternhaus und erfährt, dass Guiqing dort einen zerstörerischen Brand gelegt hat. Am nächsten Morgen taucht er wieder dort auf und wird von ihren Brüdern an einen Baum gefesselt. Er stößt wüste Drohungen gegen Yingzhi und deren Familie aus. In einem Wutanfall überschüttet Yingzhi ihn mit Benzin. Als sie ein brennendes Streichholz auf ihn wirft, wird Guiqing zum lebenden Feuerball. Yingzhi rennt davon, vom Feuerball verfolgt, der zu Sturz kommt – und mit ihm eine ebenfalls in Brand geratene Person, die ihn aufhalten wollte. Beim Löschen erweist sich, dass Guiqing vollkommen verkohlt ist. Die andere Person, Yingzhis Mutter, stirbt wenig später an den Verbrennungen.

Vom rasenden Feuerball, der Yingzhi allnächtlich verfolgt, ist bereits im ersten Kapitel die Rede. Schauplatz ist die Gefängniszelle, in der die junge Frau, die nur Unheil über ihre Familie gebracht hat, auf ihr Urteil wartet.

Im 18. und letzten Kapitel wird das Todesurteil verkündet, doch Yingzhi weiß, dass das in ihr wütende Feuer sie ohnehin verbrannt hätte. Bei der Hinrichtung sieht sie im letzten Augenblick ein kleines Kind und flüstert seinen Namen: „Qianhuo“.

Strukturelle Entscheidungen von Autorinnen und Autoren sind prinzipiell zu respektieren. Doch leise darf man fragen, ob der im besten Sinne schmucklose Roman ohne das vorweggenommene böse Ende an dramatischer Wucht gewonnen hätte.

Titelbild

Fang Fang: Wütendes Feuer. Roman.
Aus dem Chinesischen von Michael Kahn-Ackermann.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2022.
208 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783455013849

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