Der ewige Kreislauf

In seiner Graphic Novel „The End Of The F***ing World“ zeichnet Charles S. Forsman ein erschütterndes Bild der USA

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viele Menschen wollen immer noch nicht glauben, dass Graphic Novels eine ähnlich kraftvolle Wirkung entfalten können wie Literatur oder Film. Zweiflern an dieser Kunstform sei das endlich ins Deutsche übertragene Werk von Charles S. Forsman The End Of The F***ing World empfohlen, das dieser in den Jahren 2011 bis 2012 in Form von 16 Mini-Comics veröffentlicht hat. Wem der Titel bekannt vorkommen mag: 2017 präsentierte Netflix eine auf zwei Staffeln angelegte TV-Serie, die in 25-minütigen Episoden den Stoff filmisch adaptiert hat. Obwohl die Verfilmung den Stoff genrebedingt ziemlich streckt und anreichert, ist es den Machern recht gut gelungen, die Essenz von Forsmans Buch einzufangen – auch wenn dessen klaustrophobischer Minimalismus verloren geht.

The End of the Fuckin‘ World handelt von den Teenagern James und Alyssa, die gemeinsam von zuhause wegrennen. James ist ein Soziopath, der als Kind Tiere tötete und vollkommen empathie- und humorlos durch die Welt irrt. Alyssa, ein Scheidungskind auf der Suche nach einer Vaterfigur, klammert sich an ihn, in der Hoffnung in James einen Funken Gefühl zu wecken. Dieser ist sich intellektuell durchaus der Chance bewusst, die ihm das Mädchen bietet, doch gelingt es ihm nur schwer, Gefühle in sich zu erwecken, die nichts mit Mord- oder Folterphantasien zu tun haben. Die beiden entdecken trotz allem die Sexualität für sich, als sie auf ihrer Flucht in das Haus eines Professors einbrechen, der sich gerade im Urlaub befindet. James verschweigt Alyssa zunächst die schreckliche Entdeckung, die er im Schlafzimmer des Gelehrten gemacht hat. Als der Professor unerwartet nach Hause kommt, beginnt die klassische amerikanische Road Novel sich in eine ebenso klassisch anmutende Version von Terrence Malicks Badlands (oder alternativ Oliver Stones Natural Born Killers) zu entwickeln: Ein Killerpärchen auf der Flucht, die natürlich nur tragisch enden kann.

Diese durchaus epische Handlung wird gewissermaßen durch die extreme Reduktion in den Zeichnungen Forsmans konterkariert. Mit nur wenigen, minimalistischen Strichen – die zunächst befremdlich anmuten, aber ein zunehmendes Gefühl der Beklemmung auslösen – gelingt es dem Autor, seine Leser*innen sofort in den Bann der Geschichte zu ziehen. Diese entspinnt sich, dem Publikationsformat entsprechend, episodenhaft und daher auch äußerst strukturiert. Dabei arbeitet Forman bewusst mit filmischen Methoden narrativer Art, wie etwa regelmäßigen Cliffhangern zwischen den Folgen, sowie formaler Natur, wie beispielsweise der Verwendung von Totalen.

Die Graphic Novel kreist dabei um gleich mehrere Themen: Die gesellschaftliche Spaltung Amerikas, die extreme Armut, der Drogenkonsum, der Umgang mit psychischen Erkrankungen, die endlosen Weiten des Landes sowie wie sie sich gleichsam auf die psychische Konstitution ihrer Bewohner*innen auswirken kann. Vor allem aber kreist die Geschichte um Gewalt. Diese bricht immer wieder unvorhergesehen in die Handlung ein, sei sie nun systematischer Natur oder spontanen Eruptionen geschuldet.

Dem Zeichner gelingt es, seine Figuren auch nur mit wenigen, rudimentären Strichen abstoßend genug zu machen, um ihre  Abgründe bereits bei deren ersten Auftritt zu vermuten: Der schmierige Autofahrer, der die trampenden Jugendlichen mitnimmt und sofort übergriffig wird. Der pervertierte Professor, der junge Menschen rituell ermordet. Und nicht zuletzt seine Gehilfin, die gleichzeitig die verantwortliche Polizistin ist, welche James und Alyssa durch Amerika jagt.

Am Ende dieses schonungslosen Buchs sind all jene kleinen Hoffnungen gestorben und zumindest Alyssa ist wieder am Ausgangspunkt. Eine erschütternde Erzählung über den Verfall Amerikas, die man unbedingt vor dem Genuss der (im Übrigen britischen) TV Serie anschauen sollte.

Titelbild

Charles Forsman: The End Of The F***ing World. Comic.
Aus dem Amerikanischen von Raimund Varga.
Luftschacht Verlag, Wien 2021.
176 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783903081949

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