Die „echte“ Effi Briest hieß Elisabeth von Ardenne

Nun sind die verschiedenen Fassungen ihrer „Lebenserinnerungen“ erschienen

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Effi Briest ist eine der bekanntesten Frauengestalten der deutschen Literatur des späten 19. Jahrhunderts. Im Fontane-Jubiläumsjahr gab es zahlreiche Neuerscheinungen des großen Gesellschaftsromans und in manchem Nachwort wurde darauf hingewiesen, dass eine gewisse Elisabeth von Ardenne reales Vorbild für die Romanfigur war. Das Schicksal von Effi Briest beruht auf ihrer wahren Geschichte. Während Textanalysen und Interpretationen zu Effi Briest kaum überschaubar sind, ist über Elisabeth (genannt Else) von Ardenne recht wenig bekannt.

Am 26. Oktober 1853 als Elisabeth Freiin von Plotho geboren, wächst sie mit drei Schwestern und einem Bruder auf dem Gut Zerben bei Parey an der Elbe auf. Als Zehnjährige verliert sie den Vater durch einen Jagdunfall. Die Mutter ist bemüht, ihre Töchter standesgemäß unter die Haube zu bringen. Else fügt sich ihrem Bestreben und heiratet nach einer zweijährigen Verlobungszeit 1873 den fünf Jahre älteren Rittmeister Armand Léon von Ardenne (1848-1919). Noch am Hochzeitstag zieht das junge Paar nach Berlin, wo später die beiden Kinder Margot und Egmont geboren werden. 1881 wird Ardenne zu den Düsseldorfer Husaren versetzt; im Schloss Benrath hat die Familie ihren Wohnsitz. Hier lernt die zur Heirat genötigte Elisabeth den Düsseldorfer Amtsrichter und Freigeist Emil Ferdinand Hartwich (1843-1886) kennen – und lieben. Ihr Mann entdeckt die Liebensbriefe, die Hartwich an seine Frau geschrieben hat. Seine Ehre ist verletzt, er verstößt Elisabeth und fordert den Nebenbuhler zum Duell. Im Morgengrauen des 27. November 1886 kommt es in der Berliner Hasenheide zum Schusswechsel. Dabei wird Hartwich schwer verletzt und stirbt vier Tage später in der Charité. Das tödliche Duell ist sogar Anlass, dass sich der Deutsche Reichstag zwei Wochen später mit dem Thema „Beratung über das Duellunwesen“ beschäftigt.

Der „Fall Ardenne“ wird zu einem gesellschaftlichen Skandal und ruft in der Presse viel Aufsehen hervor. Im März 1887 wird die Ehe zwischen Elisabeth und Armand geschieden und die Kinder werden dem Vater zugesprochen. Der Mutter ist jeglicher Umgang mit ihnen untersagt. Erst nach 16 bzw. 23 Jahren sollte sie ihre nun schon erwachsenen Kinder wiedersehen. Nach ihrer Scheidung begann für die 34jährige Elisabeth ein neuer Lebensabschnitt. Zunächst lebt sie bei dem württembergischen Pfarrer und christlichen Sozialisten Christoph Blumhardt in Bad Boll, der ihr seelsorgliche Hilfe gibt. Hier lässt sie sich auch zur Krankenschwester ausbilden. Später wird sie die ständige Begleiterin der nervenkranken Fabrikantentochter Margarethe „Daisy“ Weyersberg. Außerdem arbeitet sie noch viele Jahrzehnte in verschiedenen Krankenhäusern, Nervenheilanstalten und Lazaretten, bevor sie im hohen Alter von 98 Jahren am 5. Februar 1952 in Lindau am Bodensee verstirbt.

In den 1930er Jahren hat Elisabeth von Ardenne mehrfach ihre Lebenserinnerungen unter dem Titel Else Baronin von Ardenne, geb. von Plotho erzählt aus ihrem Leben niedergeschrieben, die jetzt erstmals in Gänze im Büchner-Verlag vorliegen. Die autobiografischen Aufzeichnungen sind jedoch fragmentarisch, denn sie blenden das Skandalon ihres Lebens weitgehend aus. Die beiden ersten handschriftlichen Niederschriften stammen aus den Jahren 1931 bzw. 1934, wobei das Manuskript von 1934 die inhaltlich vollständigere Version darstellt. Außerdem existiert noch eine maschinenschriftliche Fassung ohne Jahresangabe. Alle Seiten dieser drei Fassungen werden in der Neuerscheinung auf der linken Seite als Scans wiedergegeben, während sich auf der rechten Seiten die entsprechenden Transkriptionen und kurze Erläuterungen befinden. Ergänzt wird die Ausgabe durch zahlreiches Bildmaterial und historische Quellen.

In seinem Vorwort gibt der Herausgeber Manfred Franke, von dem bereits 1994 die Biografie Leben und Roman der Elisabeth von Ardenne, Fontanes „Effi Briest“ erschien, einen Überblick über Leben und Nachleben von Elisabeth von Ardenne. Ein wichtiger Fakt dabei: 1944 hat sie ihrem Lieblingsenkel Manfred von Ardenne (1907-1997, später ein bekannter Physiker und Erfinder), zu dessen 37. Geburtstag die erhaltenen Liebesbriefe und Fotos von Hartwich sowie andere Dokumente übergeben. Er besaß damit das alleinige Verfügungsrecht über alle schriftlichen Unterlagen seiner Großmutter, die sich heute im Familienarchiv befinden. Die erste „Ardenne“-Biografie Fontane nannte sie „Effi Briest“. Das Leben der Elisabeth von Ardenne (1985) verfasste übrigens der Schriftsteller und Drehbuchautor Horst Budjuhn (1910-1985), während der Dramatiker Rolf Hochhuth in seinem Theatermonolog Effis Nacht (1999) Elisabeth ins Kriegsjahr 1943 versetzt, wo sie am Bett eines Schwerverwundeten wacht, den die Wehrmacht von Stalingrad zum Sterben nach Lindau entlassen hat. Dabei blickt die 90jährige Baronin nicht nur auf ihr Leben sondern auch auf ein Jahrhundert deutscher Katastrophen zurück – schließlich hat die Dame fünf Kriege miterlebt (1864, 1866, 1870,1914 und 1939).

Theodor Fontane (1819-1898) hatte die Familie von Ardenne bereits in den 1870er Jahren in den Berliner Salons kennengelernt; auf das Schicksal der Elisabeth von Ardenne war er jedoch durch Emma Lessing, Frau des Herausgebers der Vossischen Zeitung, aufmerksam geworden. Während er seine Effi Briest früh in ihrem Elternhaus sterben lässt, lebte die „reale Effi“ noch viele Jahrzehnte und die Öffentlichkeit war ihr keineswegs verschlossen. In ihren „Lebenserinnerungen“ hat sich Elisabeth von Ardenne jedoch an keiner Stelle zu ihrer literarischen Verwandten Effi Briest geäußert.

Titelbild

Manfred Franke: Jenseits von Effi Briest. Elisabeth von Ardenne erzählt aus ihrem Leben.
Büchner-Verlag, Marburg 2019.
150 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783963171734

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