Der Reiz der Lügen
Martina Hefters Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ verhandelt die verbale Inszenierung von Unwahrheiten
Von Peter Mohr
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie im Allgäu geborene und seit 1997 in Leipzig lebende Autorin Martina Hefter hat zwar in der Vergangenheit schon zwei Romane (Zurück auf Los, 2005, und Die Küsten der Berge, 2008) vorgelegt, doch größere Aufmerksamkeit erreichte sie als Performancekünstlerin und mit ihren Lyrikbänden.
„Ich denke, es gibt immer die Tendenz, den eigentlichen Text zu vergessen und nach dem Autor zu schauen“, hatte die 59-jährige Autorin in einem Interview erklärt, als sie nach dem autobiografischen Anteil in ihren Texten gefragt wurde.
Um es vorweg zu nehmen: Hefter hat sich in ihrem neuen Roman der eigenen Vita bedient, aber auf angenehm behutsame Weise. Ihre Protagonistin Juno hat die Fünfzig überschritten, arbeitet als Performancekünstlerin und ist von innerer Unruhe getrieben.
Mit ihrem pflegebedürftigen Mann Jupiter (er leidet an multipler Sklerose in fortgeschrittenem Stadium) lebt sie in einer Leipziger Altbauwohnung, die ein wenig an die Beschreibungen aus Angela Krauß‘ im Frühjahr erschienenen Prosaband Das Weltgebäude muß errichtet werden. Man will ja irgendwo wohnen. erinnert. Unschwer zu entschlüsseln, dass sich hinter der Jupiter-Figur Hefters Mann, der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt verbirgt, der an multipler Sklerose leidet und im letzten Jahr mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet wurde.
Wenn sich Jupiter nachts vor Schmerzen im Bett wälzt („Irgendein Chaos, Teilchen schossen im Körper umher, kappten alle Bahnen.“), ist die von Schlaflosigkeit geplagte Juno im Internet „unterwegs“ und jagt dort sogenannte „Love-Scammer“ – Männer, die mit Fake-Profilen agieren, Frauen die große Liebe vorgaukeln, aber letztendlich nur Geld kassieren wollen.
Schon im Romantitel, mit dem etliche Chats beginnen, steckt diese eigenwillige Mischung aus Oberflächlichkeit und Tiefgang – ein Balanceakt, der sich wie ein roter Faden durch den Roman zieht. Die in die Handlung integrierten Chats heben sich durch ihre Typografie optisch vom Erzähltext ab.
Auch einen gewissen Benu aus Nigeria hat die Protagonistin als Love-Scammer demaskiert, und doch entsteht so etwas wie eine Internet-Freundschaft. Aber als Leser ist man sich nicht sicher, ob Benu nicht doch ein „Spiel“ mit Juno treibt. Was ist wirklich wahr, und was ist doch nur ein Konstrukt mit ausgebufften Lügen?
Es geht in diesem Roman auch und vor allem um Kommunikation, um die verbale Inszenierung von Lügen. Fake-Profile, denen wir im Internet immer häufiger begegnen, spielen dabei eine wichtige Rolle. Juno gab einmal vor, in der Badewanne zu sitzen, Likör zu trinken und Geldscheine zu rauchen: ein Mechanismus von Lüge und Gegenlüge in der virtuellen Welt mit Selbstinszenierungen zwischen Wunschbild und Größenwahn. In den Chats zwischen Juno und Benu kommen die starken kulturellen Gegensätze, die so unterschiedlichen Lebenswelten immer wieder zum Ausdruck.
Bei Martina Hefter gibt es permanente gedankliche Wechsel zwischen Groß und Klein, zwischen Mikrokosmos und globalen Problemen, von selbst-referenziell zu philosophisch. Und immer wieder fungiert das Tanzen als Mittel der Realitätsverdrängung oder -bewältigung. Wenn sich Juno ein Tattoo mit den Worten „dolce Vita“ in den Oberschenkel stechen lässt, weiß man nicht, ob dies Ausdruck von schwarzem Humor oder ihr tatsächliches Lebensgefühl ist. Alles ist in der Schwebe, vieles bleibt vage, und doch nimmt die Autorin gefangen mit ihrem melancholisch-lockeren Erzählton. In der „Süddeutschen Zeitung“ hieß es 2021 über einen Lyrikband: „In Martina Hefters Gedichten liegen die magische Welt der Poesie und die profane Gegenwart des Maggi-Kochstudios erstaunlich nah beieinander. Und sie ergänzen sich gut.“ Treffender lässt sich auch dieser Roman kaum beschreiben.
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