Fußballer entdeckt die Poesie

Christoph Wilhelm Aigners Roman "Die schönen bitteren Wochen des Johann Nepomuk"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit mehr als zwanzig Jahren ist Christoph Wilhelm Aigner eine feste Größe im Literaturbetrieb. Für seine sensiblen Gedichte und einfühlsamen Übersetzungen hat der aus dem niederösterreichischen Wels stammende Schriftsteller schon zahlreiche Preise erhalten. Nun hat er mit 51 Jahren seinen ersten Roman vorgelegt, der sein bisheriges Œuvre geradezu konterkariert.

Wir treffen nicht auf sprachlich ausgefeilte Lobpreisungen der Stille in der Natur, sondern auf einen pulsierenden Erzählstrom, der dem prallen Leben abgelauscht ist. Aigner verbindet eine subtile Pubertätsstudie und ein stimmiges Soziogramm der Unterschicht zu einem fragmentarischen Entwicklungsroman.

Im Zentrum der Handlung steht der 17-jährige Gymnasiast Johann Nepomuk Müller, der in regelmäßigen Intervallen (ebenso wie seine Mutter) von seinem barbarischen Vater verprügelt wird. Faustrecht und Schikanierungen beherrschen seinen Alltag in den frühen 70er-Jahren. Der Sportunterricht gerät zum paramilitärischen Drill ("Ich lasse euch durch den Dreck robben, ihr Schweine"); in Familie und Schule sind die Hierarchien fest zementiert.

Anerkennung gewinnt der Heranwachsende zunächst lediglich als talentierter Mittelfeldspieler seiner Fußballmannschaft. Doch auch da gibt es Hürden zu überwinden. Die Mutter ist gegen die winkende Karriere als Profifußballer; der Vater hat sich längst aus dem Staub gemacht. Doch Aigners Protagonist zeichnet sich durch großen Ehrgeiz aus. Er schafft es, Schule, Sport und Nebenjobs unter einen Hut zu bringen und seine dauerklagende Mutter ("Das Schwein zahlt einfach nicht." - gemeint ist der abtrünnige Ehemann), die ihn mit Selbstmordgedanken unter Druck setzt, finanziell über Wasser zu halten.

Es kommt zu einer Zäsur, als die Hauptfigur die sieben Jahre ältere, an den Rollstuhl gefesselte und aus gutem Hause stammende Mariella kennen lernt und sie vor einer Vergewaltigung durch Mitglieder einer kriminellen Jugendgang rettet. Im proletarischen Johann erwacht der feingeistige Nepomuk. Durch Mariella und ihren gebildeten Vater Robert eröffnen sich neue Horizonte; er liest Gedichte, lernt zu hinterfragen und divergierende Standpunkte auszutauschen. Inhaltlich etwas überfrachtet wird der Roman durch die Vorgeschichte von Nepomuks "Ersatzfamilie". Mariellas Mutter war als Jüdin in mehreren Konzentrationslagern, und die Familie fühlt sich immer noch verfolgt. So erhält der von Nepomuk abgewehrte Vergewaltigungsversuch eine doppelt verwerfliche Dimension.

Das Glück endet abrupt, als Mariella und ihr Vater die Stadt verlassen. Sie fühlen sich dem wieder aufkommenden Antisemitismus, den Polizei und Justiz bagatellisieren, nicht mehr gewachsen. Bei aller Bitternis, die das plötzliche Ende der Liebe birgt, hat Johann Nepomuk schöne und (so steht zu vermuten) für seinen weiteren Lebensweg prägende Erfahrungen gesammelt.

Der Poet Christoph Wilhelm Aigner hat mit diesem, auf diversen Sprachebenen changierenden Roman bewiesen, dass er auch ein vorzüglicher Erzähler ist.


Titelbild

Christoph Wilhelm Aigner: Die schönen bitteren Wochen des Nepomuk.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006.
448 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3421059578

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