Leises Erzählen

Über Peter Waterhouses "(Krieg und Welt)"

Von Indra NoëlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Indra Noël

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit "(Krieg und Welt)" hat Peter Waterhouse eine Textsammlung vorgelegt, die, wie seine anderen Arbeiten, keiner Gattung zugehört. Mehrere der 20 Texte wurden bereits in Literaturzeitschriften veröffentlicht und jeder ist auch einzeln lesbar. Der Waterhouse-Leser wird vieles zurückfinden: Wie in "Die Geheimnislosigkeit" ist der Ich-Erzähler hier ein Spaziergänger, der Landschaftswahrnehmung, Erinnerungen und Lektüren sprachreflexiv verarbeitet. Wie in den ersten Gedichtbänden aus den 1980er-Jahren, "MENZ" und "passim", folgen zahllose Wortspiele einer anderen Logik und schaffen durch Fragen und modulierendes Wiederholen neue Zusammenhänge. Wie in "Prosperos Land" hat das Ich eine Vorliebe für Grenzgebiete. Und wie in dem Bändchen "E 71. Mitschrift aus Bihac und Krajina" ist "(Krieg und Welt)" eine Kritik an verschiedenen Formen der Kriegsberichterstattung. Daneben ist der Band Biografie, Autobiografie, Medien- und Literaturanalyse, Poetik und Poetologie, ohne eines davon im herkömmlichen Sinne zu sein. Ein essayistischer und poetischer Stil verbindet eine Fülle von Gegenständen, wobei das Erzählen über diese stets mitthematisiert wird.

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist der Text "Die Ebenen", den die Begriffe 'Ebene' und 'neben' zusammenhalten. Dort erzählt das Ich, wie es beim Spaziergang am Wiener Neustädter Kanal an Landschaft, Baukunst und Kunst denkt, dabei liest und die Menschen beobachtet, aus deren Kofferradios Nachrichten zu hören sind. Der Ich-Erzähler analysiert die unglückliche Formulierung des Nachrichtensprechers, der einen "überblicksmäßigen Überblick über die Lage im Irak" hat vermitteln wollen, und flicht daraufhin Reflexionen über verschiedene Schlachtfelder und politische Reden in sein Erzählen, vermischt mit Literaturzitaten. Außerdem erinnert er sich an das Betrachten von Kriegsphotos mit seinem Vater kurz vor dessen Tod. Er äußert den Wunsch, dem Vater vom Tod seiner jungen Frau zu erzählen, von der Trauer der kleinen Kinder und dem Gefühl, wie an einem Ort neben der Welt zu sein. Den Tod bezeichnet das Ich als "Nebensache des Lebens", was natürlich mit Nebensächlichkeit nichts zu tun hat: "Die Nebensache als eine Ebensache, denn so hatte sich das Wort neben entwickelt, aus dem Wort eben. Wie lange her, daß es hieß: Sie sitzt mir in eben. Ich neben diesem Baum? Ich dem Baum in eben? Keine Bilder hier, lauter Ebenenbilder?" Das Wort 'neben' verbindet die Ich-Figur auch mit dem eigenen Beruf des Übersetzers: "Hatten die Wörter in sich keine Bedeutung? - aber neben sich eine Bedeutung? Das Wort Baum ohne Bedeutung - aber die Bedeutung kann in einer Nebensache gegeben werden, etwa so: a Baum is a tree. Übersetzung? [...] Um bedeutsam zu sprechen, mußte man dazu immer polyglott sprechen, in zwei oder mehr Sprachen? War ich also gar nicht Übersetzer, sondern Versuchender zu sprechen?"

Langsam und mit vielen Wörtern, doch große Worte meidend, sucht der Erzähler eine Nähe zu seinen Gegenständen. Für den Leser, dem kaum konkrete Daten mitgeteilt werden, ist es schwer, den vielen Assoziationssträngen zu folgen. Da ist es gut, dass die umfangreiche Sammlung weit mehr ist als die Summe ihrer Teile, dass ihre unterschiedlich langen Texte auch zusammengehörende, einander ergänzende Spracharbeiten sind. So macht sich der Leser nach und nach mit einigen Konstanten vertraut: Der Erzähler Heinrich Cahusac, der Züge des Autors trägt und zugleich mit dieser Rolle spielt, geht den Spuren des 1999 verstorbenen Vaters nach. Der Vater, ein englischer Geheimdienstagent, heiratet nach seinem Einsatz im Zweiten Weltkrieg eine "Sudetenösterreicherin", die Tochter eines Nationalsozialisten. Seine gefahrvolle Arbeit führt ihn in zahlreiche Länder Europas und Asiens, einige Jahre lang wird er von seiner Frau und dem kleinen Heinrich begleitet, oft reist er für lange Zeit und unangekündigt allein fort.

Die sparsam erzählten Fakten bieten Stoff für Sensationelles. Behandelt werden sie jedoch völlig unspektakulär. Das Interesse gilt dem Unauffälligen. Zugang zum Leben des wortkargen, stillen Vaters sucht der Erzähler über Orte, an denen der Vater gewesen ist, sowie über die Sprache und in sprachlichen Dokumenten: Eine Urkunde, ein Sprachführer aus der Bibliothek des Vaters, ein Lied, das der Vater gesungen hat, eine kurze Widmung in einem geschenkten Roman - einige Worte genügen, um Erinnerungen zu wecken und andere zu imaginieren. Das Ich beschreibt diese mal aus der Perspektive des zweisprachig aufwachsenden Kindes, mal aus seiner Sicht des Erwachsenen. Lässt es den Vater sprechen, so übernimmt es häufig dessen Rolle in erdachten Gesprächen mit: "Oder hatte ich damals geträumt, an einem Sommertage in Drasenhofen, daß der Vater auf diese Weise zu mir gesprochen hatte?" In der Sprache weiß sich der Sohn trotz aller Zweifel und trotz der langen Trennungen vom Vater mit diesem verbunden, denn auch der überaus schweigsame Mann, der weder von seiner Arbeit noch von sich erzählt, liebt die Sprache, ist sprachbegabt, vielsprachig und ein genauer Leser.

Ein einziges Mal spricht der Vater viel: Er erzählt dem Schüler von dessen frühen Kinderjahren in Malaysia, worauf der Sohn mit "My Jungle Book" den Aufsatzwettbewerb an der Kölner Primarschule gewinnt. "Das Kind schrieb: I was in a wood of leaning palmtrees. - Das Kind fragte: Wer ist I? - I bist du. - I bin ich? Warum erzählst du mir die Geschichte, als ob du unter den Bäumen gestanden wärst? - Nein, ich erzähle sie so, als ob du dort gestanden wärst oder weil du dort gestanden bist. -" Die Schlüsselepisode vom "Dschungel-Buch" wird in gleich mehreren Texten aufgegriffen und spiegelt die Schreibsituation des Erzählers von "(Krieg und Welt)", der ja das nicht Gesagte erzählt, "als ob" es geschehen wäre "oder weil" es geschehen ist.

Der Leser erfährt fast nichts Persönliches über die Eltern, die Frau und die Kinder des Erzählers, die einmal Alice und Edward, einmal Alice und Edgar heißen. Dennoch gehören die Passagen über jene "zwei Stupsnasen" zum Berührendsten des Buches. Den kleinsten Gesten schenkt das Ich Beachtung und es macht jedes Ereignis auf undemonstrative Weise wertvoll. Ehrfurcht und Liebe sprechen aus der Schreibweise, die nicht definiert und gerade deshalb überzeugt.

Den auf Tolstoj anspielenden Titel hat Waterhouse in Klammern gesetzt. Ausgehend von der Arbeit des Vaters beim Militär und von der Vergegenwärtigung vieler Kriegsschauplätze, umfasst der Band das Erzählen über sehr disparate Themen. Zugleich wird bescheiden in Klammern gesetzt, Gesagtes in Frage gestellt, leise erzählt. Mit seinem streckenweise umständlichen Stil verlangt der Band vom Leser Geduld. Dafür bietet er 669 Seiten Sprache ohne Gemeinplatz.


Titelbild

Peter Waterhouse: (Krieg und Welt). Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2006.
669 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-10: 3902497130

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