Potpourri der Weltweisheit
Paulo Coelhos Besteller „Der Alchimist“ als Jubiläumsausgabe
Von Tobias Nolte
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSeit nunmehr über zehn Jahren wird man hierzulande in jeder Buchhandlung, ja, am Bücherstand jedes Provinzbahnhofes unweigerlich von einem orientalisch verschleierten, eindringlichen Augenpaar beobachtet. Es handelt sich hierbei um das Coverbild der Diogenes-Ausgabe von Paulo Coelhos Bestseller „Der Alchimist“.
Das verträume Märchen um einen Schafhirten auf der Suche nach einem Schatz hat sich bisher mehr als 30 Millionen mal verkauft und wurde in 61 Sprachen übersetzt. Ein Weltbestseller, der seinesgleichen sucht. Inspiriert hiervon entschied sich der Diogenes Verlag zum zehnten Jahrestag der Erstausgabe, den „Alchimsten“ als Jubiläumsedition auf den Markt zu bringen.
Doch woher kommt der unglaubliche Erfolg dieser kleinen Fabel? Coelho kokettiert im Vorwort damit, die Antwort auf diese Frage selbst nicht zu kennen. Der Erfolg sei schlichtweg das Resultat des Festhaltens an seinem Traum zu schreiben. Wie der Hirtenjunge Santiago im Vertrauen auf das Schicksal und ohne Sicherheiten einem Traum nachgeht und damit seiner Bestimmung folgt, so habe auch Coelho seine eigene durch das Schreiben gefunden.
Er trifft mit seinem Buch scheinbar den Nerv vieler Menschen: „Der Alchimist“ ist ein Sammelsurium von einfachen, poesiealbumtauglichen Allzweckwahrheiten wie „Lebe deinen Traum“, „Der Weg ist das Ziel“ oder „Höre auf dein Herz“. Diese werden mit einer Reiseerzählung kombiniert, die den jungen Santiago – der sich auf die Suche nach einem Schatz befindet, welcher ihm im Traum prophezeit wurde und für den er alles zurücklässt – von seiner Heimat Andalusien quer durch Nordafrika und die Wüste zu den ägyptischen Pyramiden führt. Auf dieser Odyssee begegnet er den unterschiedlichsten Personen: einer Zigeunerin, einem alten König, einem Kristallwarenhändler und nicht zuletzt dem Alchimisten, die ihn auf seinem Weg unterstützen und ihn in die Geheimnisse des Lebens einführen. Hinter allem Handeln, Denken und Sein steht dabei immer der etwas überstrapazierte Begriff der Weltenseele. Was genau diese Weltenseele ist, ob Gott, eine Energie oder die Summe allen Seins, wird allerdings nicht vollkommen ersichtlich. Sicher ist nur, dass sie als die Kraft erscheint, „die die Welt im Innersten zusammen hält“. Und je weiter Santiago seinen eigenen Weg geht und seine Ziele verfolgt, desto mehr beginnt er, die Weltenseele zu verstehen und selbst ein Teil von ihr zu werden: „Wenn du dir etwas aus tiefstem Herzen wünschst, dann bist du der Weltenseele näher.“ Freilich darf auch die Liebe nicht ganz außen vor bleiben. So trifft Santiago in einer Wüstenoase auf Fatima und erkennt pathetisch: „Wenn man liebt, hat alles noch mehr Sinn.“
Zum großen Glück fehlt also nach der Erkenntnis und der Liebe nur noch der Schatz, der auf denjenigen wartet, der den Mut hat, an seine Träume zu glauben. Doch kann das Ziel dieser wundersamen und spirituell erhellenden Reise, die Santiago zum höchsten Grad der Selbsterkenntnis führen soll, wirklich ein materieller Gewinn sein?
Wer die Naivität des „Kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint-Exupéry, die Esoterik von Hesses „Siddharta“, die Reiselust von Voltairs „Candite“ oder die kleinen Lebensweisheiten des „Monsieur Ibrahim“ von Eric-Emmanuel Schmitt zu schätzen weiß, der liegt zweifellos auch beim „Alchimisten“ goldrichtig. Coelho wagt sich mit einfachen Worten an komplexe philosophische Themen. Er fragt nach dem tieferen Beweggrund menschlichen Handelns. Nach dem Schicksal. Nach der Vorhersehung. Nach Gott. Und natürlich – in letzter Konsequenz – auch nach dem Sinn des Lebens. Es wäre schön (aber auch langweilig), wenn die Antworten auf diese ewigen Menschheitsfragen so einfach wären, wie sie bei der Lektüre des „Alchimisten“ für kurze Momente erscheinen. Aber genau darin liegt die große Stärke und der Reiz dieses kleinen Büchleins: Es macht blind für die Schwierigkeiten des Lebens, weil es einfache Weisheiten als welterklärende Wahrheiten erscheinen lässt. Es ist verlockend, sich diesen Wahrheiten für kurze Zeit hinzugeben und sich von Paulo Coelho durch eine wundersame, orientalische Welt führen zu lassen. Am Ende der Lektüre steht aber doch die Erkenntnis, dass man hier nur einem Märchen aufgesessen ist.
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