Der Mann ist ein Nichts

Kathrin Mädler untersucht Männlichkeitskrisen in zeitgenössischen Hollywood-Melodramen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das Weib ist ein Nichts" betitelte Mela Hartwig 1929 einen ihrer Romane und griff damit nicht nur einen Topos aus Friedrich Hebbels 1840 in Berlin uraufgeführter Tragödie "Judith" auf, sondern auch eine insbesondere um 1900 unter misogynen Autoren wie Otto Weiniger verbreitete Ansicht. Kathrin Mädler verkündet nun aber das gerade Gegenteil: "Der Mann ist ein Nichts". Mädler ist Filmwissenschaftlerin und vertritt diese These in ihrer Dissertation über "Sentimentale Melodramen der Männlichkeit im zeitgenössischen Hollywood-Film". So bezieht sie sich denn auch nicht auf Otto Weiningers misogyne Theorien oder auf Mela Hartwigs Protagonistin Bibiana, sondern auf die Männerfiguren in dem Spielfilm "Million Dollar Baby", an dessen Ende der Mann kein Kämpfer und kein Patriarch mehr sei, sondern "heimatlos und beraubt". Er sei - kurz gesagt - zum Nichts geschrumpft und "seine Position vakant" geworden.

Eine markante Behauptung, mit der Mädler eine Untersuchung eröffnet, die mehr als nur manches Schlaglicht auf die Männlichkeitskonstruktionen der fünf näher untersuchten Spielfilme bietet ("American Beauty", "The Shipping News", "Magnolia", "Mystic River" und "Boys don't Cry"). Die Filme dienen der Autorin als Beispiele einer neuen "Genreausprägung", die sie "als sentimentales Melodrama der Männlichkeit bezeichnet und konzeptionalisiert". Die "wirkliche Besonderheit" der diesem Genre zuzuschlagenden Filme liege in der "spezifische[n] und recht explizite[n] Form", mit der sie "krisenhafte Männlichkeit" zur Darstellung bringen, die stets "auf der individuellen und daher unpolitischen Ebene von persönlicher Verletzung und emotionaler Belastung verhandelt" werde. Wobei die Filme einen "öffentlichen und politischen Diskurs" ausblendeten, "der beweisen würde, daß Männer gesellschaftlich immer noch die Machtpositionen okkupieren".

Die männliche Hauptfigur und deren "Gender-Krise" bilden der Autorin zufolge gemeinsam mit dem "sentimentale[n] Gestus von Film und/oder Figur" sowie dem Rekurs auf "tradierte Themen" des Melodramas und der "Sprengung einer kohärenten Narrative" durch eine "exzessive Form" die "kanonisierbare[n] gemeinsamen Komponenten" des sentimentalen Melodramas der Männlichkeit. Dabei werde Männlichkeit sowohl eng an die "familiäre, häusliche Sphäre" wie auch an den "Diskurs des Sentimentalen" gebunden, der "traditionell mit dem Femininen assoziiert" ist. Aus all diesen Gründen sei das Melodrama besonders geeignet, "die gegenwärtige männliche Gender-Krise sowohl thematisch als auch formal aufzunehmen".

Als "Leitfaden" für die Lektüre der fünf ausgewählten Filme dienen Mädler fünf Thesen, deren erste besagt, dass die Melodramen "das große Verdrängte einer patriarchalen und heteronormativen Kultur" offen legen, indem sie "Männlichkeit als performativ" begreifen und zeigen, dass sie weder einen essentialistischen Kern besäße noch "naturgegeben" sei. Die "unterdrückte Furcht der weißen heterosexuellen Männlichkeit, als performativ entlarvt zu werden", werde auf diese Weise bestätigt.

Merkwürdig an dieser These mutet an, dass der Eindruck erweckt wird, nur Männer der US-amerikanischen weißen Mittelschicht hegten diese unbewusste Furcht. Gerade so, als würden andere Männer, etwa supersexistische Rapper in den USA und andernorts, misogyne islamische Fanatiker oder die extrem homophoben Rastas auf Jamaika nicht mindestens ebenso sehr von ihr geplagt. Nun ließe sich die Einschränkung auf die Männer der heterosexuellen weißen Mittelschicht mit einem Hinweis auf die Auswahl der untersuchten Filme begründen. Der aber bleibt aus. Zudem hätten sich sicherlich auch Hollywood-Melodramen finden lassen, anhand derer über schwarze heterosexuelle Männlichkeiten hätte gesprochen werden können.

Vergleichbare Bedenken werden von den anderen Thesen nicht provoziert, deren zweite besagt, dass die Familie in den Filmen der "zentrale Ort der Verhandlung alltagspraktischer Realitäten von Männlichkeit" sei, womit sich dieses "zentrale Sujet" vom "weiblich konnotierten Thema" zum "Problemkomplex der Männlichkeit" wandle. Drittens würden die männlichen Charaktere "mit sentimentalen Strukturen und Motiven assoziiert", die ebenfalls weiblich konnotiert seien. Der vierten These gemäß "äußer[n] und realisier[en]" sich die "Probleme der Männlichkeit" oft auf der "formalen Ebene des melodramatischen Textes". Der fünften und letzten These zufolge ist Genre ebenso wie Gender "nicht essentialistisch, sondern performativ" aufzufassen, wobei sich beide "gegenseitig performativ beeinflussen".

Im ersten der beiden Hauptteile zeichnet die Autorin die Entwicklung der Gender- und Masculinity Studies bis zum heuten Diskussions- und Forschungsstand nach, beleuchtet die "Repräsentationskonventionen des Melodramas" unter dem Gesichtspunkt "genderspezifischer Konzeption" und legt ihre methodischen Ansätze dar, wobei sie betont, dass Judith Butlers Thesen die "maßgebliche Grundlage für das Gender-Verständnis dieses Buches" bilden.

Zurecht weist Mädler darauf hin, dass die Masculinity Studies "äußerst diversifiziert" sind und betont, dass sich die Verfechter eines ihrer oft misogynen Flügel, die angry white men "als Rachetendenz auf den Feminismus verstehen und das weitere Bestehen männlich geprägter Machtstrukturen leugnen". Daher seien sie "mit Vorsicht zu betrachten". Entgegen solcher Forschungsrichtungen sollte jede den Masculinity Studies zuzurechnende Untersuchung von Männlichkeit, die zu dem "notwendigen feministischen Projekt" beitragen möchte, Mädler zufolge "der stets präsenten Gefahr entgegentreten, innerhalb der Masculinity-Studies Strukturen zu reproduzieren, die wiederum zur Marginalisierung oder sogar Okkupation der Frau beitragen." Hierzu gelte es die "Bedeutung von Inszenierung von Männlichkeit" als Teile eines "Systems von Machtstrukturen" zu untersuchen, "in dem die Frauen und das Feminine ebenfalls befangen und immer [...] von den Effekten einer bestimmten Performanz von Männlichkeit [betroffen] sind."

Im zweiten, wesentlich umfangreicheren Teil geht die Autorin der Frage nach, auf welche Art und Weise die einzelnen Filme Männlichkeit konzeptionalisieren. Besonders interessiert sie hierbei, ob die cineastischen Entwürfe die Männlichkeitskrise "zu Strategien der Remaskulinisierung und der Festigung einer tradierten Ordnung und patriarchalischen Gesellschaftsstruktur unter neuen Bedingungen greifen", wie es Susan Faludis Backlash-These entspräche, oder ob sie "zur Verbesserung der immer noch ungleichen Verhältnisse des Sex- und Gendersystems" beitragen.

Viele einschlägige Filme halten Mädler zufolge an der Konzeption einer patriarchalischen Männlichkeit fest, "leugnen" jedoch zugleich, dass diese noch immer existiert. So werde "Remaskulinisierung im Sinne eines patriarchalen Systems" in den Filmen zu einer "beständigen Sehnsucht". Anstelle von "Selbstkritik und Kritik an einer herrschenden dominanten heterosexuellen Männlichkeit" stehe oftmals ein "Viktimisierungsdiskurs" der wie in den Filmen "American Beauty" und "Mystic River" im Gewand einer "larmoryante[n] Klage um eine verlorene stabile Männlichkeit" auftrete. "[S]ogar gänzlich realisiert" werde diese "Sehnsucht nach Remaskulinisierung im Sinne traditioneller Geschlechterbilder" in dem Film "The Shipping News". "Boys don't Cry" fordere hingegen, wenn auch nur auf "inkonsequente Weise", so immerhin doch eine "größere Offenheit" gegenüber "alternativen Männlichkeiten". Allerdings "kapituliert" der Film vor "der konstatierten Unveränderlichkeit der realen Gesellschaft." "Magnolia" formuliere schließlich eine "positive Vision von Männlichkeit", mit der sich "zwangsläufig" eine "Kritik an der Männlichkeit selbst" und an der "patriarchalisch geprägten Gesellschaft" verbinde. Dem Protagonisten des Filmes gelinge es, sein "lähmendes Selbstmitleid" "zaghaft" zu überwinden.

Zwar erweisen sich Mädlers Überlegungen zum männlichen Melodram als innovativ, doch bleiben sie nicht immer ganz frei von argumentativen Spannungen. So legt sie einerseits dar, dass das 'herkömmliche', also weibliche Melodrama als "Woman's Film" zwar den "Konflikt der Frau im patriarchalischen System" kritisch verhandeln könne, männlichen Melodramen hingegen fehle diese "potentiell subversive aber auch schwierige und widersprüchliche Dialektik". Andererseits erklärt - und wichtiger noch - zeigt sie jedoch, dass sich in Hollywood-Melodramen "reaktionäre und subversive Strukturen der 'Geschlechtererfindung'" als - wie sie mit Stefan Brandt sagt -"double discourse of masculinity" verbinden. Indem Mädler darauf hinweist, dass "allein die Darstellung abweichender Strukturen und Identitäten einen Film noch nicht revolutionär und subversiv" macht, lockert sie das argumentative Spannungsverhältnis zwar, löst es jedoch nicht zur Gänze auf. Jedenfalls aber ist zutreffend, dass für die "politische Aussage" eines Filmes entscheidend ist, "wie Differenzen und hegemonialer Diskurs dargestellt werden".

Insgesamt, so resümiert Mädler, "beweisen die Filme mit ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen der Männlichkeit, die sich mit Widerspruchswillen mit den vorhandenen theoretischen Diskursen im Sinne der Butler'schen Perlformativitätsthesen auseinandersetzen, gerade deren Richtigkeit. Es existiert keine naturhaft gegebene eine Männlichkeit, sondern Männlichkeiten, die immer wieder neu und verschieden, sowohl in der Alltagspraxis, als auch in den kulturellen Diskursen, hier dem Hollywoodfilm, produziert werden."


Titelbild

Kathrin Mädler: Broken Men. Sentimentale Melodramen der Männlichkeit im zeitgenössischen Hollywoodfilm.
Schüren Verlag, Marburg 2008.
335 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783894726218

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