Zypernfrage im Dickicht der Städte

Über Yadé Karas Roman "Cafe Cyprus"

Von Kirsten PrinzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kirsten Prinz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Beziehungsstress, chronische Geldsorgen und die Zypernfrage: Als ob nicht eines der Probleme schon reichen würde - Hasan Kazan muss es gleich mit allen aufnehmen. Glücklicherweise hat dieser Held aus Yadé Karas neuem Roman "Cafe Cyprus" bereits einige Übung im Lavieren zwischen historischen Umbrüchen und privaten Katastrophen. Mit ihrem Debütroman "Selam Berlin" gelang es Yadé Kara, das Genre "Wenderoman" neu zu gestalten, indem der Berliner Hasan Kazan (von seinen Freunden Hansi genannt) seine Sicht auf den Mauerfall, auf Klischees über 'Türken' und die Borniertheit Berliner Filmemacher schilderte.

Der umgangssprachliche, am Filmdialog orientierte Stil ist auch in Karas neuem Roman "Cafe Cyprus" wiederzufinden. Nun jedoch ist die Handlung nach London verlagert, wo Hasan offiziell einen Sprachkurs absolviert, de facto jedoch in drei Jobs eingespannt ist, um sich finanziell über Wasser zu halten. Seine Jobs führen ihn nach Camden Town, wo er in der Dönerbude seines Freundes aushilft, zum Seconhand-Kleiderstand am Portobello Market und zu "Ali's Supermarket" in Green Lanes. Und hier betritt Hazan ungewollt die Bühne globaler Politik, als er im Auftrag von "Ali's Supermarket" Schulden im Cafe Cyprus eintreiben soll. Dieser Mikrokosmos griechischer und türkischer Zyprioten ist Austragungsort erbitterter Flügelkämpfe, großer politischer Entwürfe und historischer Deutungshoheiten. Trotz der aktuellen Brisanz des Themas geht Karas lockerer Erzählstil nicht verloren, wenn beispielsweise die gesamte Geschichte "auf den Tisch" gepackt wird, um mit Teegläsern, Löffeln, Streichholzschachteln und Aschenbechern die Ereignisse des Sommers 1974 miltärisch und strategisch durchzuspielen.

Dass der Roman dabei keineswegs verharmlost, zeigt sich an Hikmet, der psychisch tief verletzt nach London migriert und dort verrückt wird. Ali, der Supermarktbesitzer, benennt klar die Verletzungen, aber auch Verdrängungen griechischer wie türkischer zypriotischer Migrantinnen und Mirgranten: "Ja, die meisten wollten vergessen, die Massaker von 67, den Krieg von 74, Angst, Flucht, das Verlassen der Heimat".

So werden die Londoner Stadtteile in "Cafe Cyprus" zum Knotenpunkt transnationaler Ereignisse. Städte sind keine in sich abgeschlossenen Gebilde, sondern Teil eines Netzes, in dem sich die Figuren bewegen - und das mit allen Vor- und Nachteilen, denn vor dem Überraschungsbesuch seiner nun in Istanbul (vormals in Berlin) lebenden Mutter ist Hasan auch in London nicht gefeit. Durch den leichten und gleichzeitig tiefgründigen Erzählstil, der die Figuren wie in einem Film ständig in Aktion zeigt, wird man beim Lesen in das anstrengend-vitale Chaos Londons hineinkatapultiert.

Die Figuren werden in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit und ihrem Facettenreichtum in Szene gesetzt. Da ist Hasans Mutter, die trotz ihrer Karriere-Ideale einen Aufstand im British Museum startet und mit ihrem Gebrüll am liebsten die Vitrinen zum Bersten bringen möchte, um die dort ausgestellten osmanischen Kunstwerke aus den Händen der britischen Diebe zu befreien. Da sind der manisch-depressive Khan und seine Freundin Betty aus Berlin. Da ist die Modedesignstudentin Hannah, die Hasan und damit auch die Romanhandlung immer wieder in Schach hält - und nicht zu vergessen Hasans alter Berliner Freund Kazim, der im stressigen Rip-of-London von "Kültür Kazim" zu "Turbo Kazim" mutiert.

Voller Lebendigkeit und Spannung werden die Irrungen und Wirrungen der aufgedreht-nachdenklichen Figuren im ebenso pulsierenden wie inspirierenden London geschildert. Auch wenn Hasan dem Berliner Familienstress entflohen ist, stellt er doch oft Vergleiche zwischen Berlin und London an: Während in Soho sogar Straßennamen in chinesischen Schriftzeichen geschrieben seien, versacke das Kreuzberger Bezirksamt im "Integrationsgelaber".

Allerdings häufen sich gegen Mitte des Romans die Dialoge über Kulturen, Identitäten und Stereotypbildungen dann doch sehr. Weniger wäre hier sicherlich mehr gewesen. Dennoch - Yadé Kara hat einen packenden Roman geschrieben, der bis heute verdrängte historische Erinnerungen artikuliert, Traditionen des Großstadtromans aufnimmt und mit einer Liebesgeschichte verbindet. Diese gewagte Verbindung ist überzeugend gelungen.


Titelbild

Yadé Kara: Cafe Cyprus.
Diogenes Verlag, Zürich 2008.
376 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783257066234

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