Eichmann, Mengele und Co.

Philip Kerr kehrt mit seinem Roman "Das letzte Experiment" zu seinem Erfolgskonzept zurück

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Politische Krimis sind gelegentlich ein wenig grob in der Darstellung politischer Zusammenhänge. Das hängt nicht zuletzt daran, dass Politik eben nicht nur auf der öffentlichen Bühne stattfindet, sondern auch und besonders unter Ausschluss der Öffentlichkeit und damit jeder Kontrolle entzogen ist. Hinzu kommt, dass mit der zunehmenden Komplexität der internationalen politischen Szene auch die Komplexität der politischen Interaktion zunimmt.

Berücksichtigt man außerdem, dass sich keineswegs alle Spieler an Regeln wie Fairness, Offenheit und Orientierung am öffentlichen Wohl orientieren, sondern den Vorteil ihres Landes, ihrer Partei oder ihrer selbst in den Vordergrund stellen, dann ergibt sich daraus eine Gemengelage, die für den politischen Roman, zumal den politischen Krimi, nicht einfach zu verarbeiten ist. Zumal dann, wenn das Ganze auch noch lesbar und verständlich sein soll. Komplexität muss also reduziert werden (Niklas Luhmann wäre stolz auf die Krimischreiber), ohne dass damit der Aussageanspruch der Texte aufgegeben wird.

In seiner Berliner NS-Trilogie hat Philip Kerr bereits bewiesen, dass er auch imstande ist, sich in unwegsamem Gelände souverän zu bewegen. Immerhin stehen beim Thema "Drittes Reich" eine Menge Fettnäpfe herum und es gibt viele Möglichkeiten, gegen die guten Sitten und die politische Korrektheit zu verstoßen (allein bei der Schreibung von "Drittes Reich" mit und ohne Anführungen).

In "Das letzte Experiment" nun nimmt Kerr ein nicht minder schwieriges Thema auf, das er nicht minder souverän löst als in seinen früheren NS-Krimis: Er lässt seinen Ermittler Bernhard Gunther als NS-Flüchtling nach Argentinien fliehen (wenn auch unbescholten, muss Gunther fliehen, weil ein echter NS-Verbrecher unter seinem Namen seine Untaten vollbracht hat), und das auch noch in Begleitung eines Mannes Namens Riccardo, der sich den Lesern bereits kurz nach Beginn der Lektüre als ein gewisser Adolf Eichmann vorstellt. Neben anderen, heute weniger bekannten NS-Größen tritt später sogar der berüchtigte Josef Mengele auf (jener Mengele, der durch seine Menschenexperimente, die er an KZ-Häftlingen durchführte, bis heute eine grausame Prominenz hat).

Kaum in Buenos Aires angekommen, wird Gunther vom Geheimdienstchef mit dem Namen Montalban (man ahnt, woher Kerr seinen Namen nimmt, auch ein gewisser Wowereit taucht im Roman auf) verpflichtet, um den Mord an einem jungen Mädchen aufzuklären und nach einem weiteren Mädchen zu suchen, das verschwunden ist. Montalban kommt auf Gunther, weil - so sagt er - Gunther in den frühen 1930er-Jahren an einem ähnlichen Fall gearbeitet habe. Das getötete Mädchen ist nämlich ausgeweidet worden, es handelt sich bei dem Mord offensichtlich um die Tat eines Serienmörders. Und der hat anscheinend bereits zu Beginn der 1930er-Jahre in Berlin und München sein Unwesen getrieben. Damals wurde Gunther kurz vor der Entdeckung des Täters, den er in NS-Kreisen suchte, von dem Fall abgezogen, um dann später seine Karriere als Privatermittler im "Dritten Reich" zu starten.

Jetzt, wieder unter Nazis, nimmt Gunther den Faden abermals auf. Dabei gerät er jedoch unversehens in die Machtränke des peronistischen Regimes, das vom Faschismus vielleicht nur graduell unterschieden ist. Er stößt auf eine alte SS-Kamarilla, die an einer Renaissance des Nationalsozialismus arbeitet und dafür die geheimnisvollen NS-Kapitalrücklagen nutzen will, die auf Schweizer Konten lagern. Er stößt auf jüdische Einwanderer, die verschwunden sind, und auf eine geheimnisvolle Direktive, von der niemand wissen darf, wie sie lautet. Er lernt den populären und skrupellosen Diktator Juan Perón kennen, der - wie anscheinend alle Männer von Macht - eine Vorliebe für Minderjährige hat, was hier vornehm auf seine etwas kleiner ausgefallene männliche Ausstattung zurückgeführt wird (aha, im Zeitalter des "penis enlargement" hätte er das nicht nötig gehabt). Außerdem ist er weniger an der Unterstützung der geflohenen Nazi-Größen als an deren Geldschatz interessiert, mit dem er seine Macht zu sichern hofft.

Kerr verschneidet zudem die Ereignisse des Jahres 1950 mit denen des Jahres 1932. Die beiden Ermittlungen werden parallel geschildert und es gelingt Kerr tatsächlich, die früheren Ereignisse nicht nur als Reminiszenz dastehen zu lassen, als billigen inszenatorischen Rückgriff auf die Vorereignisse, die die Gegenwart erklären können, sondern ihnen eigenen erzählerischen Wert zuzuschreiben. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass die Spätphase der Weimarer Republik zu den spannenden und spannungsreichen Phasen der an Ereignissen nicht eben armen deutschen Geschichte gehört. Aber Kerrs zurückhaltende Erzählweise ermöglicht es ihm, Personen, Dialoge und Ereignisse in den Vordergrund zu stellen (was nicht bedeutet, dass die Figuren sich als besonders klug erweisen würden, auch nicht Bernhard Gunther). Beides zusammen genommen - die Ereignisse in Deutschland im Jahre 1932 und die Ereignisse in Argentinien 1950 - lassen schließlich den Charme jenes buddhistischen Fluches aufscheinen, man möge in interessanten Zeiten leben. Angesichts der Gesellschaft der Mengeles, Eichmanns und anderer kann man das wohl nur seinem ärgsten Feind wünschen, und nicht einmal dem.


Titelbild

Philip Kerr: Das letzte Experiment. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Axel Merz.
Wunderlich Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009.
462 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783805208697

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