Rotz und Rührung

Björn Kuhligks Gedichte von der Oberfläche der Erde

Von Christophe FrickerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christophe Fricker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Klappentext zu Björn Kuhligks viertem Gedichtband „Von der Oberfläche der Erde“ beschreibt den Ton des Autors als „rotzig“ und „unmittelbar berührend“. Die Verbindung dieser beiden Körper-Metaphern ist nicht überzeugend (Kinder, zu Hause nicht nachmachen!), aber der Missmut löst sich beim Lesen schnell auf.

Der Band beginnt mit Reisegedichten, von denen zwei iberische die stärksten sind. Kuhligk erlaubt sich auf Reisen eine intakte Grammatik und findet – auch im Körperlichen – überzeugende Bilder. An einer Stelle etwa „prügelt der Atlantik durch das Handy / in die Heimat“. Den Scheitelpunkt des zerzausten Zeitgeistes treffen die Anfangszeilen von „Zahara de los Atunes“: „Wir standen fern der Kapitalströme / die Frisuren waren dahin, mit dem / Gleichmut eines Idioten schrieb ich“. Das Thema kehrt gleich einem liebenswerten Leitmotiv wieder, wenn eine Frau „ihre Katze als Frisur trägt“.

Die Kapitelüberschrift „Der Mensch verdient kein Privatleben“ riecht für den in Frank Lloyd Wrights Amerika lebenden Rezensenten behaglich nach seiner europäischen Vergangenheit. In diesem Teil des Buches stehen einige der überzeugendsten, welthaltigsten und „rotzigsten“ Gedichte. Der Rotz ist der Trotz desjenigen, der sich die Legolandschaften seiner Geschwister genau ansieht, bevor er sie zusammenwirft. Darin haben sich Technologie und Mensch verbunden, in Worten wie „Starkstromnacht“, in Wendungen wie der, dass das Wetter bei beziehungsweise nach AOL „geladen“ wird, und in der Charakterisierung von zurückgeschickten senegalesischen Flüchtlingen als „Botenstoffe Europas“.

Die nachklassische Welt steht unter dem Motto „Flexibel sei der Mensch, und dehnbare / Kinder möge er mitbringen“, und ihr bevorzugter Ort für „das große Haareraufen (!) als Ergänzungsband / zur nächsten Jugendstudie“ ist die Tanzfläche. Auf der „Postkarte“ heißt es über die Begegnung mit einem Kollegen: „früher, lieber Freund, hat der weggevögelt / was bei zehn nicht in der Tiefgarage war, jetzt / grüßt der täglich und hat sich das Deutschland / der Neunziger als Klingelton heruntergeladen / ich hab den Rotwein im Akkord gekippt, und nun / im Taxi wirft der Mond die Häuser auf die Fahrbahn“. Kuhligk ist aufsässig gegenüber der Melancholie, die er wahrnimmt. Er sägt nicht an dem Ast, auf dem er sitzt, aber er pinkelt auf seiner nächtlich notierenden Fahrt an den Stamm. Die entsprechenden Mitteilungen überzeugen.

Titelbild

Björn Kuhligk: Von der Oberfläche der Erde. Gedichte.
Berlin Verlag, Berlin 2009.
71 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783827008466

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