Rebellierende Männer in Korsetts

Imke Meyer untersucht in „Männlichkeit und Melodrama“ Arthur Schnitzlers erzählende Schriften

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Arthur Schnitzler zählt zu den weder von der Forschung noch vom Lesepublikum vergessenen AutorInnen der vorletzten Jahrhundertwende. Zu den Themen, mit denen sich die ihn betreffende Forschung von jeher besonders gerne befasste, gehört aus gutem Grund die Spannung und einflussreiche Wechselbeziehung zwischen dem literarischen Œuvre des an Hypnose und der Psyche interessierten Arztes und der Psychoanalyse Sigmund Freuds. Mit der in den 1970er-Jahren aufkommenden Frauenbewegung und -Forschung trat ein zweites Themengebiet kaum minder in den Fokus: die Geschlechterkonstruktionen und -konzeptionen in Schnitzlers Werk. Und da es sich nunmal um Frauenforschung handelte, erstaunt es nicht, dass ihr eines der Geschlechter im Vordergrund des Interesses stand: das weibliche. Allerdings kam es gelegentlich auch schon mal vor, dass sich eine AutorIn mit den Männerfiguren bei Schnitzler befasste. So erschien etwa zu Beginn des neuen Jahrhunderts Jenneke A. Oosterhoffs Studie über die infamen Männerfiguren Schnitzlers.

Genau ein Jahrzehnt später liegt nun mit Imke Meyers Monografie „Männlichkeit und Melodram“ die jüngste Publikation zu den Männlichkeitskonstruktionen in Schnitzlers literarischem Werk vor. In ihr zeigt die vor einigen Jahren bereits mit einer weithin überzeugenden Monografie zu „Ich-Fiktionen in Texten von Franz Kafka und Ingeborg Bachmann“ hervorgetretene Germanistin, wie sich der Autor mittels eines „melodramatischen Erzählmodus“ die Möglichkeit eröffnet, „die hysterischen und neurotischen Verhaltensweisen seiner männlichen Figuren zu repräsentieren in nicht etwa trivialer Manier, sondern sie darzustellen als Symptome einer Rebellion gegen das eben nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer repressive Geschlechterrollen-Diktat“. Doch bietet Schnitzler der in den USA am Bryn Mawr College lehrenden Literaturwissenschaftlerin zufolge mehr als nur eine „Kritik am Männlichkeitsbild der Zeit“. Denn die „Identität vieler Schnitzlerscher Männerfiguren sprengt“ nicht nur „das Korsett stereotyper Männlichkeit im Wien der Jahrhundertwende“, sondern zugleich „die binäre Opposition der Geschlechterrollen des fin de siècle“. Dem Literat gelinge dies, indem er mit dem melodramatischen einen Erzählmodus wählt, der gemeinhin mit der „Darstellung von Frauenfiguren“ einhergeht. Denn da der „Männlichkeitsbegriff“ des Wiener fin de siècle in „direktem Kontrast“ zum seinerzeitigen Weiblichkeitsbegriff stand, erreicht Schnitzler über dessen „Dekonstruktion“ zugleich diejenige „stereotyper Imaginationen von Weiblichkeit“.

Meyer hat mit ihrer Studie einen oft erhellenden Beitrag zur Erforschung der bislang weithin vernachlässigten Männlichkeitskonstruktionen in den Werken Schnitzlers vorgelegt, der es verdient, nicht übergangen zu werden.

Titelbild

Imke Meyer: Männlichkeit und Melodrama. Arthur Schnitzlers erzählende Schriften.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2009.
192 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783826040504

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