Hollywood in Angst und Schrecken

Julian Hanich geht in seinem Buch „Cinematic Emotion in Horror Films and Thrillers“ dem ästhetischen Paradoxon der Angst-Lust am Beispiel von Horror-Filmen und Thrillern nach

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass die Projektoren in den hinter den Kinosälen gelegenen kleinen Räumen, zu denen den Filmfreudigen der Zutritt untersagt ist, nicht zuletzt Emotionsmaschinen sind, dürften alle erfahren haben, die sich von ihren inzwischen ja schon lange nicht mehr flimmernden Bildern in die Leinwandwelten ziehen ließen. So vielfältig wie diese Welten sind auch die evozierten Emotionen. Dabei wecken die diversen Genres bekanntlich jeweils unterschiedliche Gefühle. So wird man in einer Komödie wohl zu Recht erwarten dürfen, erheitertes Gelächter durch den dunklen Raum hallen zu hören. Ebenso wie man annehmen darf, dass Horrorfilme und Thriller im Kinosaal Angst und Schrecken verbreiten. Warum werden letztere dann aber überhaupt freiwillig und auch noch gegen Bezahlung angeschaut? Sollte das Empfinden von Furcht etwa Freude und Genuss bereiten können? Oder wie Julian Hanich fragt: „Can fear be pleasurable?“.

In seinem englischsprachigen Buch über „Cinematic Emotion in Horror Films and Thrillers“ verspricht der Autor diese vermeintlich „unusual question“ zu beantworten und droht damit unfreiwillig eine langweilige Lektüre an. Denn natürlich liegt die Antwort schon längst vor. Bereits die aufklärerische Philosophie zu Zeiten Immanuel Kants kannte sie, später sprach Sigmund Freud von der Angstlust (ein Begriff der schließlich auch vom Autor benutzt wird – auf Deutsch übrigens). Und seit Jahrtausenden hat wohl kaum ein Mensch das Licht der Welt erblickt, der sie nicht erfahren hat. Man könnte also geneigt sein, das Buch schon nach diesen ersten Seiten aus der Hand zu legen.

Dass es sich dennoch lohnt weiterzulesen, ist dem Umstand zu verdanken, dass der Autor weit mehr hält als er mit seiner Ankündigung verspricht. So legt er denn auch alsbald genauer dar, dass die Leitfrage der Untersuchung lautet: „What pleasures do viewers gain from experiencing types of cinematic fear like horror, shock, dread or terror?“. Und das ist dann doch eine andere Frage, als die, ob es Angstlust überhaupt gebe. Sie setzt sogar deren positive Beantwortung voraus.

Hanich nimmt nun für seine Untersuchung nicht etwa die zahlreichen B-Movies des Genres oder abgelegene Streifen der hohen Filmkunst in den Blick, sondern konzentriert sich ganz auf die Mainstream-Filme des Hollywood-Kinos. Und hier wiederum auf eine bestimmte Art deren Rezeption, nämlich diejenige in einem Multiplex-Kino. Dabei unterscheidet er fünf dominante Arten von Ängsten, welche die in den Stuhlreihen versunkenen ZuschauerInnen lustvoll durchleiden: „direct horror, suggested horror, cinematic shock, cinematic dread and cinematic terror“. Eine Differenzierung, die der Autor im Laufe des Buches mit Inhalt füllt und zu plausibilisieren versteht. Außerdem schlägt er wiederum fünf „components“ der Angst vor, die „in fact form an integrated whole: intentionality, appraisal, action tendency, physiological change and phenomenological experience“.

Zunächst zeigt Hanich auf, wie das Multiplexkino die Erfahrung der fünf von ihm benannten „types of fear“ beeinflusst. Die folgenden Kapitel gelten jeweils der Untersuchung dieser Angst-Typen. Hierbei werden einschlägige Szenen aus zahlreichen Filmen zur Veranschaulichung herangezogen. Ein Vorgehen, dass sich als wesentlich erhellender erweist als es separate Analysen jeweils bestimmter Filme sein könnten. Vor all dem stellt der Autor in einer Art Prolegomenon jedoch zunächst seine für die Filmwissenschaften nicht ganz übliche phänomenologische Methode vor und legt dar, warum er sich ihrer bedient. Dabei ist er keineswegs der Auffassung, sie könne andere Methoden cineastischer Analysen ersetzen oder überflüssig machen. Doch bleibe das – wie er metaphorisch sagt – Bild ohne diese „unfinished, unintelligible, left with white spots“. Da die phänomenologische Methode ihrerseits viele „parts of the painting untouched“ lässt, erweitert er sie für seine Studie in drei Richtungen: „Film, Form and Style“, „Emotions“ und „Reception Surroundings“.

Tatsächlich ist es Hanich gelungen, einen frischen, erkenntnisstiftenden Blick auf die „Cinematic Emotion in Horror Films and Thrillers“ zu werfen. Marginale Fehlgriffe wie derjenige, dass er beiläufig von „women, African Americans, homosexuals and other minority groups“ spricht, lassen sich da fast überlesen. Doch seit wann sind Frauen eine Minderheit?

Titelbild

Julian Hanich: Cinematic Emotion in Horror Films and Thrillers. The Aesthetic Paradox of Pleasurable Fear.
Routledge, Oxford 2010.
300 Seiten, 110,00 EUR.
ISBN-13: 9780415871396

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