Zu dieser Ausgabe

Mit Interpretationen, die sich literaturtheoretisch auf die Psychoanalyse beziehen, kann man heute keinen Blumentopf mehr gewinnen. Zumindest bekommt man diesen Eindruck, wenn man LiteraturwissenschaftlerInnen spontan nach ihrer Meinung zu diesem Thema befragt. Die Antworten klingen dann meist ausweichend oder skeptisch, bis hin zur Äußerung offener Ablehnung.

Andererseits ermöglichen Sigmund Freuds Schriften für diejenigen, die sie (wieder-)lesen, nach wie vor Aha-Erlebnisse. Ganz einfach deshalb, weil es sich nicht nur um Dokumente einer wissenschaftlichen Theorie handelt, sondern auch um gut geschriebene Literatur. Sie erzählen Geschichten, indem sie ihre Gedankengänge humorvoll und selbstkritisch entfalten, und sie sind voller historischer, mythischer und nicht zuletzt literarischer Anleihen. Damit lesen sie sich auch heute noch viel anregender als viele literaturwissenschaftliche Schriften unserer Tage, egal für wie ‚hipp‘ diese im Einzelfall auch gelten mögen.

Tatsächlich widmet sie sich unsere Januar-Ausgabe schwerpunktmäßig der Psychoanalyse, wie auch schon früher das eine oder andere mal wieder. Diesmal aber bieten wir Ihnen nicht nur Essays und Rezensionen zu Freud und dem Gründervater der Psychosomatik Georg Groddeck, sondern auch wichtige und grundlegende Texte von Freud selbst. Hier können Sie also spontan ausprobieren, wie es sich tatsächlich anfühlt, diese wieder einmal zu studieren. Zusätzlich finden Sie in unserer Ausgabe einführende und aktuelle Artikel zur Rolle, die Freuds und Groddecks Arbeiten für die Geschichte der Literaturtheorie und der Literaturkritik gespielt haben – und wohl auch weiter spielen werden.

Mit den besten Wünschen zum neuen Jahr grüßt Sie herzlich
Ihr
Jan Süselbeck