Kein moderner Herrscher

Olaf B. Rader zeigt den legendären Kaiser Friedrich II. als einen durch und durch mittelalterlichen Menschen

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Stauferkaiser Friedrich II. war die ideale Projektionsfolie für vieles, was manche Historiker, wie etwa der Schweizer Carl Jakob Burckardt, später gern als Protoform eines modernen Menschen auszumachen glaubten. Vielseitig gebildet soll er gewesen sein, ein Suchender und brennend an den Erkenntnissen der Wissenschaft interessiert. Ein Herrscher, dem die Konventionen seiner Zeit gleichgültig waren, vor allem wenn sie seinen Interessen entgegenstanden, ein Tyrann und „Antichrist“, der den Papst bekämpfte und offenbar viel besser mit Orientalen als mit Abendländern zurecht kam, ein revolutionärer Neuerer, dessen Königreich Sizilien angeblich bereits frühe Formen einer zentralisierten Verwaltung aufwies. Nicht zuletzt schien der Kaiser sogar eine frühe Ikone des nationalen Gedankens zu sein, dessen Leichnam samt Sarkophag die „Nazis“ noch im August 1943 vor den Alliierten aus Palermo evakuieren wollten.

Von Anfang an rankten sich zahlreiche Mythen um sein Leben, das am 26. Dezember 1194 im mittelitalienischen Jesi begonnen haben soll und das ihn, den früh verwaisten Erben zweier mächtiger europäischer Herrschaftshäuser, bereits mit 26 Jahren auf den Kaiserthron führte. Wer denkt bei der ersten gefahrvollen Reise des 17-Jährigen über die Alpen nicht an den Zug, den sein weniger glücklicher Enkel unter ähnlich gewagten Umständen ein halbes Jahrhundert später nach Süden unternehmen sollte. Doch so unwahrscheinlich und schließlich glanzvoll Friedrichs Aufstieg war, so unausweichlich war auch das Scheitern des Staufers, dem es mit den beschränkten Mitteln des Feudalstaates nicht gelingen konnte, seine dem antiken Kaisertum nachempfundene Universalmonarchie zu festigen, und der am Ende seiner Regierungszeit, von vielen Verbündeten und Vertrauten verlassen und vom Papst verfemt, vor dem Scherbenhaufen seiner Politik stand.

Der Berliner Mediavist Olaf B. Rader hat nun mit seinem handlichen Band versucht, Leben und Herrschaft des letzten imperialen Staufers, der sich in seinem Reich nördlich der Alpen nur dreimal aufgehalten hat, als Kaisertum eines in Sizilien aufgewachsenen Südländers zu beschreiben, dessen politischer Schwerpunkt stets im Mittelmeerraum gelegen hat. Während der Professor an der Humboldt-Universität zunächst die ersten Schritte seines Protagonisten bis zur feierlichen Kaiserkönig in Rom nach dem gewohnten chronologischen Schema einer Biografie abhandelt, wechselt er danach zu einer systematischen Präsentation des Stoffes. Dabei leiten ihn drei zentrale Gesichtspunkte im Leben Friedrichs: Herrschaft, Leidenschaft und Feindschaft. Raders fragmentierende Methode hat fraglos den Vorteil, dass sie ihm mehr Raum lässt für ausführliche Exkurse zu den einzelnen Rollen des Staufers, den er einmal als Bauherrn und dann wieder als Dichter oder Liebhaber sieht. Allerdings erkauft er das durch einen Verzicht auf den biografischen Gesamtzusammenhang und den damit fraglos verknüpften narrativen Spannungsbogen.

Auch wenn die einzelnen Kapitel noch grob einer chronologischen Logik folgen, so sind sie doch in sich geschlossen und geben dem Leser immerhin die Freiheit, ihn weniger interessierende Kapitel zu überspringen. Fast wirkt der Band sogar wie ein Handbuch, in dem man sich schnell und gezielt zu einzelnen Aspekten informieren kann, wobei Rader eine ausgewogene Mischung anbieten kann. Auch eher sperrigen Themen wie die mittelalterliche Kriegführung und das Flottenwesen weicht er nicht aus und liefert hier jeweils konzise Überblicke, in denen auch der Fachmann noch Neues findet. Tatsächlich aber gelingt es Rader mit seiner systematischen Gliederung, eines der Hauptprobleme jedes Biografen zu lösen, der sich mit Persönlichkeiten des Mittelalters befasst. Nur die Rekonstruktion des bestimmenden Handlungskontextes und eines besonderen Wahrnehmungsraumes bewahrt ihn vor anachronistischen Fehldeutungen und erlaubt auch, nach den tatsächlichen Motiven des Kaisers zu fragen, die in den literarischen Quellen oft absichtlich verfälscht wieder gegeben wurden. Gleichwohl muss vieles in der Deutung Friedrichs II. fragmentarisch bleiben, zumal mittelalterliche Autoren gerade bei hoch gestellten Persönlichkeiten nicht die tatsächlichen Charaktereigenschaften zu schildern pflegten, sondern ihnen lieber jene Züge andichteten, wie sie Fürsten oder Prälaten idealerweise haben sollten.

Rader kann so zeigen, dass Friedrich II. als Herrscher und Mensch weitgehend in die Handlungs- und Denkgewohnheiten seiner Zeit eingebunden war und sich viele seiner zukunftsweisenden Maßnahmen, so etwa die Gründung der Universität von Neapel oder die Veröffentlichung der Konstitution von Melfi, aus einer konkreten Interessenlage erklären lassen. Kaiser Friedrich II. war kein Visionär oder revolutionärer Wegbereiter späterer Epochen. Im Gegenteil: Durch seine bezeugten Versuche, seine Herrschaft als Wiederbelebung des antiken Kaisertums zu inszenieren, verfolgte er sogar ein rückwärts gewandtes Ideal, während in Frankreich, England und Spanien bereits die ersten Schritte zur späteren Nationalstaatsbildung vollzogen wurden. Der Verfasser hat seinen Stoff in einer modernen und verständlichen Sprache präsentiert – wenn auch manchmal abschweifend wie etwa bei der Schilderung der Kaiserkrönung – und auch auf einen übermäßigen Anmerkungsapparat verzichtet. Raders Biografie ist auch an den Nichtfachmann gerichtet, und gerade dieser Leserkreis wird seine fundierte Darstellung zu schätzen wissen.

Titelbild

Olaf B. Rader: Friedrich II. Der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Eine Biografie.
Verlag C.H.Beck, München 2010.
592 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783406604850

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