Das Drama der Feministinnen

Yvanka B. Raynovas Untersuchung wechselseitiger Missverständnise und Konflikte in den Genderdebatten von „Ost“ und „West“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1989 sei zusammengewachsen, was zusammen gehöre, meinte ein damals zwar nicht mehr führender, doch immerhin noch prominenter Politiker hocherfreut angesichts des sich abzeichnenden Übertritts der DDR in die BRD. Doch ließ sich nicht immer alles so nahtlos zusammenfügen. Zumal die Menschen aus Ost und West sich eher fremd denn brüderlich oder gar schwesterlich gegenüberstanden. Dies galt auch für die Feministinnen aus dem Westen und ihre Geschlechtsgenossinnen aus den ehemals sozialistischen Ländern, deren Staatsideologie besagte, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter längst erreicht sei.

Diesem Zusammen- und Aufeinandertreffen, genauer gesagt, den „Genderdebatten zwischen ‚Ost‘ und ,West‘“, widmet sich ein jüngst erschienenes Buch von Yvanka B. Raynova mit dem Titel „Feministische Philosophie in europäischem Kontext“. Der Band besteht aus zwei Teilen. Im ersten, etwa 160 Seiten umfassenden befasst sich die Autorin mit „Geschichte und Aktualität“ feministischer Philosophie in Europa. Der zweite, knapp 100 Seiten lange Teil versammelt neun Gespräche und Interviews mit feministischen Philosophinnen aus verschiedenen europäischen Ländern, unter ihnen Hertha Nagl-Docekal und Bożena Chołuj.

Der erste Abschnitt ist seinerseits wiederum in vier „Studien“ untergliedert, deren erste sich mit der „Entstehung der feministischen Philosophie“ beschäftigt und der Frage nachgeht, was der Begriff bezeichnet und ob Philosophie und Feminismus überhaupt miteinander zu vereinbaren sind, zu deren Beantwortung Raynova die „Beziehung zwischen Feminismus und der Philosophie“ in fünf „Hauptgruppen“ unterteilt: „Integrationismus“, „Additivistischer Reformismus“, „Gynozentrismus“, „Separatismus“ und „Performativismus“. Ansonsten erklärt die Autorin den „feministischen Ansatz“ zu „einer bestimmten Fragestellung, die alle Bereiche der Philosophien durchdringt“, „weil er zutiefst mit dem Gegenstand und der ‚Fundamentalfrage‘ (Heidegger) der Philosophie selbst verbunden ist – mit der Frage nach dem Sein des besonderen Seienden, das wir jeweils sind.“ Nun hat Heidegger die ‚Fundamentalfrage‘ der Philosophie keineswegs allgemeinverbindlich festgelegt, doch heideggert die Autorin noch etwas weiter und erklärt apodiktisch, es sei „klar“, dass es „Befreiungsbewegungen“ „immer“ geben werde, „weil es immer Unterdrücker und Unterdrückte, Krieg und Leid geben wird“. „Unklar“ sei nur, „ob sich damit die skandalöse Antinomie zwischen der Situation der Frau als ‚Andere‘ und ihres ‚Da-seins als Gleiche‘ perpetuieren wird.“

In der zweiten Studie zeichnet die Autorin die Genese der philosophisch orientierten Geschlechterstudien und der feministischen Philosophie in Osteuropa nach. Sodann erörtert sie, „ob es in ‚Osteuropa‘ Frauenbewegungen gibt“, um in der abschließenden Studie „die Wertekonflikte und Dramadynamik am Beispiel einer Kontroverse zwischen ‚Westfeministinnen‘ und ‚osteuropäischen Frauenforscherinnen‘ zu untersuchen, indem sie den „Konflikt zwischen beiden ‚Parteien‘ einem close reading“ unterzieht. Ihren „persönlichen Zugang“ versteht sie als „Metaposition, die in der Konfliktforschung als ‚Allparteilichkeit‘ bezeichnet wird“, und greift zur Analyse auf die „Erklärungsmodelle“ des „Drama-Dreiecks“ der Beziehungen zwischen „Verfolger/Täter“, „Opfer“ und „Retter“ sowie auf die „Transaktionsanalyse“ und das „Neurolinguistische Programmieren“ zurück, wobei sie sich „speziell“ auf Roman Brauns wenig bekannte Trinergy®-Strategie bezieht, die sie als „Erklärungsmuster“ nutzt. Denn diese veranschauliche „Verhaltensmuster“, „die so archetypisch sind, dass sie allen Gesellschaften und Kulturen zugrunde liegen und deshalb gerade bei interkulturellen Zusammenstößen originäre, allgemeine und ‚gemeinsame‘, das heißt nicht kulturell bedingte Aktions-Reaktions-Muster aufzudecken vermag“.

Unabhängig von der fraglichen Erklärungskraft der von Raynova herangezogenen Theoreme sind ihre Ausführungen nicht immer ganz frei von inneren Spannungen. So meint sie etwa einerseits, dass „feministische Philosophie als ‚feministisch‘ den Aktivismus voraussetzt“, erklärt aber andererseits, „feministische Bewegungen“ seien von „sozialen Bewegungen“ zu unterscheiden, da es sich oft nur um „eine Strömung von Ideen, Theorien und Strategien“ handele, die daher „nicht unbedingt in eine besondere soziale Frauenbewegung eingebunden“ sein müsse.

Titelbild

Yvanka B. Raynova: Feministische Philosophie in europäischem Kontext. Genderdebatten zwischen "Ost" und "West".
Böhlau Verlag, Wien 2010.
273 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783205784982

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch