Theater in Schutt und Asche

Camillieris Roman, unangemessen übersetzt

Von Pia-Elisabeth LeuschnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Pia-Elisabeth Leuschner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Ende klärt sich alles: die Panik im Theater, das Verhalten des Militärs, der Großbrand, die verkohlten Leichen in dem anliegenden Haus, der Tote im Salz - wie auch das Dutzend anderer 'Unglücksfälle', die sich um die Eröffnung des Theaters in dem kleinen sizilianischen Fischerort Vigàta ranken (offiziell ungeklärt bleibt nur, warum einer der ehrenwertesten Bürger, Don Memé, so grundlos bei der Obsternte gemeuchelt wurde). Aber der Erzähler wäre nicht der gewitzte Sizilianer Andrea Camilleri, wenn es der Leser am Ende seines Romans nicht ein wenig besser wüsste als die offizielle Version des Behördenprotokolls.

Schier unerschöpflich ist die Zahl einzelner novellesker Begebenheiten, die sich in seinem neuen Thriller "Die sizilianische Oper" verweben. Fast jedes Kapitel konfrontiert den Leser mit einer neuen, lebensvollen Szene aus einem Arsenal skurriler Gestalten: dem Italienisch radebrechenden deutschen Feuerwehrhauptmann, der wiederverheiratungswütigen Witwe, dem lokalen Musikästheten und früheren Kunstschreiner Amabile Adornato, genannt Don Ciccio, dem dickköpfig unbestechlichen Kommissar Puglisi. Der Leser muss sich auf dieses Szenenmosaik, südliches Lokalkolorit goûtierend, zunächst einlassen, erst allmählich kristallisiert sich daraus die auf verschiedenen Zeitebenen erzählte Handlung: eine Geschichte von fanatischem Lokalpatriotismus, Korruption, Gewalt und Totschlag. Alles beginnt damit, dass der profilierungssüchtige Florentiner Präfekt Bortuzzi, in die sizilianische Provinz Montelusa versetzt, mit allen Mitteln versucht, in der Ortschaft Vigàta die Aufführung der Oper "Der Bierbrauer von Preston" eines gewissen Lucio Ricci als Theatereröffnung durchzusetzen.

Um diesen Kern (einer historischen Begebenheit) inszeniert der Erzähler und ehemalige Theaterregisseur Camilleri einen Roman, der sich an dem Besten geschult hat, was Sizilien narrativ zu bietet: an Pirandello für die Figurenschilderung - nicht umsonst liegt der Ort der Handlung in der Nähe von Pirandellos (und Camilleris) Geburtsort Agrigento - und an Leonardo Sciascia für die Schürzung und Lösung des Verbrechens. Daneben beherrscht der Autor das postmoderne Spiel mit Zitaten, das freilich angenehm unauffällig eingeflochten wird. Vor allem aber ist Camilleri ein Meister der Kunst doppelbödigen Erzählens, etwa bei der Schilderung eines Beischlafes oder der karikierten Opernaufführung, die sich dynamisch zum Höhepunkt steigert: So liest sich das Kapitel über die Opernpanik wie das sprachliche Äquivalent eines Rossinischen Opernfinales, bei dem alle Beteiligten in rasendem Rhythmus und subtil inszeniertem Chaos durcheinanderwirbeln.

Dass sich "Die sizilianische Oper" im Deutschen so seltsam spröde liest, ist darauf zurückzuführen, dass Camilleris Kunst-Sizilianisch, das im Original sogar die Sprache des Erzählers durchsetzt, in der deutschen Übersetzung von Monika Lustig nicht nur keine Entsprechung findet, sondern durch eine Literatursprache ersetzt ist, die sich zwar provokativ Worte wie "Scheiß" und "Arsch" samt allen erdenklichen Varianten leistet, aber daneben die italienisch schlichte "signora Hoffer" im Deutschen zur antiquierten "werten Signora Hoffer" oder ein kolloquiales "far soffrire" (leiden lassen) zu "strapazieren" werden lässt. Lustigs Übersetzung, die sie in einem eigenen Nachwort zu rechtfertigen versucht, ist nicht in der Lage, Camilleris Figuren ihre eigene Sprache zu geben, und sie reduziert etwa das italienisch anspielungsreiche "Chiamatemi Emanuele!" - Call me Ishmael! - auf ein irreführendes, literarisch gestelztes "So ruft denn Emanuele!"

So hängt die Bewertung des deutschen Taschenbuches letztlich davon ab, ob man Werke, die im Original zu eng mit ihrer Erzählsprache verwoben sind, um von ihm ablösbar zu sein, grundsätzlich übersetzt zu sehen wünscht. Im Falle von "Die sizilianische Oper" ist das Ergebnis ein über weite Strecken amüsanter und spannender Thriller, aus dem sich allerdings der Eindruck von sprachlichem Second-Hand nie verflüchtigt und der deshalb in seiner satirischen Effizienz, als Allegorie aktueller Mafia-Verhältnisse, dürftig bleibt.

Titelbild

Andrea Camilleri: Die sizilianische Oper. Aus dem Italienischen von Monika Lustig.
Kabel Verlag, München 2000.
271 Seiten, 13,30 EUR.
ISBN-10: 3492270026

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