„Im Schatten des Großherrn“

Karl May und sein Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld

Von Albrecht Götz von OlenhusenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Albrecht Götz von Olenhusen

I. Karl May und Ernst Friedrich Fehsenfeld: Autor und Verleger im literarischen Feld

Position und Habitus von Karl May, laut Arno Schmidt der letzte „Großmystiker“ der deutschen Literatur, in seiner Beziehung zum Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld und zum Publikum sind das Thema dieser Darstellung. Das literarische Feld, in dem ein Autor wie Karl May in den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts und nach der Jahrhundertwende agierte, in seinen Relationen als Akteur zu anderen Akteuren und Institutionen in einem relativ autonomen Kräftefeld im Sinne Pierre Bourdieus und seiner Struktur darzustellen, ist angesichts der Komplexität des Feldes, seiner Wandlungen und der beteiligten Kräfte heute aufgrund der Archiv- und Forschungslage viel besser möglich als früher.

Um die Entwicklung der Beziehungen von Autor und Verleger und Aufstieg und Fall beider ab der Jahrhundertwende zu verstehen, ist ein Blick auf die Entwicklung von Autor und Verlag seit Ende der 80er- und Beginn der 90er-Jahre notwendig. Der Forschungsstand ist dank der May-Philologie, dank der Forschungen etwa von Claus Roxin, Jürgen Seul und durch eine Reihe von Editionen und May-Biografien besser als vor 30 Jahren. Der Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld steht jedoch immer noch allzu sehr im „Schatten des Großherrn“, um einen bekannten May’schen Titel der Orientromane zu zitieren. Ich versuche eine Skizze in zehn Schritten.

Der erfahrene, im Felde der Kolportage, der Jugend- und Familienperiodika arrivierte Schriftsteller mit seinen 50 Jahren und seinem „symbolischen Kapital“ trifft 1891 auf einen jungen Verleger und einen brandneuen, mit wenig Kapital und kaum einem Programm ausgewiesenen Unternehmer. Diese Verbindung ist ein Rätsel. Mit Spemann, Pustet, Benziger, Union DVA in Stuttgart und anderen Verlagen konnte es der Zwerg Fehsenfeld in dieser Zeit 1891/92 nicht aufnehmen, selbst wenn er auf den Schultern eines erzählerischen Riesen von großmannssüchtiger Egozentrik und fiktiver Heldenstatur stand. Die Gesamtauflagen der „Grünen Bände“ Fehsenfelds gehen jedoch vergleichsweise schnell in ungeahnte Höhen. Das ist rätselhaft und erklärungsbedürftig. Ein Verzeichnis des Stuttgarter Unternehmens, der Druckerei Hoffmann von Krais, vom 16. März 1899 zeigt die für diese Zeit exorbitanten Auflagenzahlen der immer auf 5.000 Stück pro Auflage festgelegten Fehsenfeld’schen Auflagen und Buchausgaben.

Will man sich ein Bild von der immensen Höhe der Autorenhonorare in den Jahren 1892 bis 1906 machen, so ist eine Abrechnung des Verlages von der Hand Fehsenfelds aufschlussreich.

II. Habitus und Honorare

In diesem Zeitraum verdiente May nur bei Fehsenfeld insgesamt 440.670,00 Mark. Hinzu kamen Honorare von Pustet, Union und einigen anderen Verlagen.

Zum Vergleich: 5.000-6.000 Mark pro Jahr waren in den 90er-Jahren schätzungsweise das Jahresgehalt eines mittleren Beamten. Mays opulent ausgestattete Villa wie die sogenannten Villa Shatterhand in Radebeul kostete 1895 rund 37.000 Mark. May, der anfangs 1890/91 noch Schulden hatte und auf Vorschüsse Fehsenfelds angewiesen war, konnte seine Jahreseinkünfte binnen weniger Jahre vervielfachen. Er war innerhalb kürzester Frist nicht nur zu einem gefragten, sondern zu einem Bestsellerautor von Büchern, zu einem Star geworden, der zu Vorträgen gebeten, am bayerischen und habsburgischen Herrscherhaus empfangen und dem jegliche überbordende Fantasiestory, auch im persönlichen Gespräch auf seinen Rundreisen in Deutschland und Österreich abgenommen wurde. May hat das selbst im „Hausschatz“ 1896 in einem Stück, das „Freuden und Leiden eines Vielgelesenen“ betitelt war und alle Grenzen der exzentrischen Selbstbeweihräucherung sprengte, geschildert. Die literarische und wie schon immer zuvor christkatholisch grundierte Hochstapelei geriet hier zum Einbruch des orientalischen Märchens in die sächsische Heimatidylle – mit dramatischen Konsequenzen drei Jahre später. Der Starrummel kannte seit etwa 1895 noch nicht da gewesene Ausmaße. Autor und Verleger wurden beispiellos in kurzer Zeit reiche Leute.

III. Wandel der Positionen

Die Beziehung von Autor und Verlag wandelte sich. Der Autor erfolgreicher Geschichten in Zeitschriften wie „Der deutsche Hausschatz“ (Pustet) und „Von Fels zu Meer“ (Spemanns mit seinem protestantische Jugendpublikum), war vom Zeitschriften-Autor, vom Geschichtenerzähler in Marienkalendern (Pustet, Regensburg) jetzt zu einem gefeierten Buchautor avanciert. Seine nicht mehr als „Reise-Romane“, sondern als „Reiseerzählungen“ klassifizierten Texte, welche die Identität von Erzähler und Kunstfigur in Text und Bild betonten, trafen auf ein aufnahmebereites Publikum bei Jugendlichen wie Erwachsenen. Mit dem „Sprung über die Vergangenheit“ – May hatte Jahre seines Lebens bekanntlich vor seiner Redakteurs- und Autorenzeit im Gefängnis und Zuchthaus verbracht – gelang mit Fehsenfeld der Sprung vom Kolportage- und Zeitschriftenautor zum Buchautor einer repräsentativen, auf bürgerliches Publikum zielenden Werkausgabe. Sie umfasste 1912 schließlich 30 Bände, in unterschiedlichen gebundenen und illustrierten Auflagen und Ausgaben. 1899 liegen schon 27 Bände von „Durch die Wüste“ bis „Auf fremden Pfaden“ vor. Die Gesamtauflage bei Fehsenfeld allein beläuft sich 1899 auf 617.150 Exemplare. Dank der May-Forschung weiß man heute viel genauer, in welcher Weise May geschickt und literarisch wirksam Reisebeschreibungen und Lexika als Plagiator geplündert und in spannende höchst erfolgreiche Geschichten verwandelt hat.

IV. Zäsur um 1899/1900: Von den Indianergeschichten zum symbolischen Spätwerk

Mit dem Jahre 1899 beginnt eine Zäsur. Sie charakterisiert auch die Veränderungen der Positionen Mays und des Verlegers im literarischen Feld, in diesem Unterfeld der kulturellen Produktion. Die „Gesammelten Reiseerzählungen“ standen zwar im Mittelpunkt des Verlages. Aber der Verlag versuchte zu diversifizieren: Er setzte auf englischsprachige Literatur: Lewis Wallace’ „Der Prinz von Indien“, Henry Rider Haggards „Das unerforschte Land“ und „Der Zauberer im Sululande“, „Die Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson, Kiplings „Dschungelbuch“, schließlich Kiplings „Wolfsblut“ erschienen in einer Reihe mit dem Titel „Die Welt der Fahrten und Abenteuer“. Für das Verhältnis von Autor und Verlag ist charakteristisch, dass sich May erfolgreich gegen Fehsenfelds Plan wehrte, die Reihe auch in einer Ausstattung zu bringen, die den May’schen Bänden entsprach. Mit Fehsenfelds 1900 begonnener Romansammlung, einer „Bibliothek zeitgenössischer Schriftsteller“ war es schon nach 24 Bänden binnen eines Jahres mangels Erfolgs der drittklassigen unbekannten Autoren schnell zu Ende. In der Belletristik versagte Fehsenfelds Instinkt.

Während May von Freiburg aus im Frühjahr 1899 zu einer großen Orientreise aufbricht – sie dauert bis Ende Juli 1900 – brauen sich Vorboten des Unheils zusammen. May will durch eine große Reise in den Orient und angeblich auch in die USA – er schreibt hunderte von Postkarten an Leser und Redaktionen – seinen Anspruch, er habe seinen Erzählungen selbst erlebt, mit der Realität in scheinbare Deckung bringen. Mit Band 25 „Am Jenseits“ zeichnet sich dies schon ab: „Karl May […] beginnt, mit seinen eigentlichen Absichten herauszurücken. Es handelt sich um eine wohlvorbereitete, großartige Bewegung auf religiös-ethisch-sozialem Gebiete […] man (beginnt) nun auch endlich einzusehen, dass K. May keine Indianergeschichten, sondern ,Predigten an die Völker‘ schreibt“, wie May an Fehsenfeld schrieb. Und 1900: „Alle meine bisherigen Bände sind nur Einleitung, nur Vorbereitung“ (May an Fehsenfeld, 10.9.1900).

Die vertrauten Figuren Old Shatterhand, Kara Ben Nemsi, Hadschi Halef Omar und Winnetou werden plötzlich in Werken des beginnenden symbolischen Spätwerks, das bei Arno Schmidt, Hans Wollschläger und anderen großen Beifall gefunden hat, in anderem Lichte und mit dem Anspruch auf religiöse-weltanschauliche Wahrheit dargestellt.

Die Werke sind, wie man weiß, nun zu großen Teilen bemerkenswerte Schlüsselromane. In ihnen treten Figuren aus Mays Biografie, Freunde, Begleiter, Gegner in orientalischen Gewändern auf. In „Am Jenseits“ findet der Leser plötzlich eine geradezu esoterische, spiristische Atmosphäre, eine Mischung aus Swedenborg und anderen Ingredienzien der Theosophie und des Spiritismus wieder. Aber diesen Aspekt der May’schen Biografie und seines okkultistisch geprägten Haushalts – May als Spiritist – befassen wir uns heute nicht. („Am Jenseits“ ist der Roman, der den frühen Walter Benjamin im Studienjahr in Freiburg, der schon damals ein Student der Dämonologie und Angelologie war, intensiv beschäftigte.)

Für das ungetrübte Verhältnis zu Fehsenfeld spricht, dass der freigeistige Fehsenfeld, Sohn eines liberalen 48ers, diese okkultistische Seite seines Autors großzügig überging, selbst wenn ihm May mitteilte, dass bei Seancen in der Villa wieder einmal Fehsenfelds Vater erschienen sei oder wenn May meinte, dass seine Werke ihm von Engeln, die ihn ständig aus einem Zwischenreich zwischen Dies- und Jenseits umschweben würden, eingegeben würden.

V. Im Kreuzfeuer: Katholische Publizistik. „Geborener“ Verbrecher

May, gegen den sich schon bald auf katholischer Seite Angriffe mehrten, etwa durch Carl Muth, dann durch andere wie Pateri Ansgar Pöllmann oder die „Kölnische Volkszeitung“ mit Hermann Cardauns, gerät in ein Kreuzfeuer: Mays Werke werden allmählich immer stärker als jugendgefährdend, er selbst als literarisch anfechtbarer Nachfolger Münchhausens verteufelt. Die katholische Publizistik, anfangs von Mays christlich-germanischer Missionsarbeit bei indianischen Wilden und islamischen Heiden begeistert, wandelt sich. Mit der selbstschöpferischen Geburt des Reiseschriftstellers aus dem Geist der imperialistischen Rhetorik der Kaiserzeit wird May allmählich zu einer mehr und mehr kontroversen Figur: Er wird zu einem Skandal-“Fall“, zum negativen Paradigma. Der Schriftsteller, vom Straftäter zum gefeierten Autor aus eigener Kraft sozusagen resozialisiert und in die bürgerliche Gesellschaft integriert, wird binnen kurzer Zeit literarisch und gesellschaftlich exkommuniziert. Währenddessen stilisiert er sich weiterhin als Vorkämpfer des wahren, des friedliebenden Christentums – freilich durchaus eigener Prägung. Die Legendenbildung um die Ich-Figur des Helden im Wilden Westen, des Kämpfers gegen den falschen Glauben und für die Höherwertigkeit des Christentums, der Kampf gegen die Kolportage, die Wirkungen der Schmutz- und Schunddebatte namentlich unter Pädagogen, die Enthüllungen über den früheren Zuchthäusler, den gar nicht katholischen, sondern protestantischen Sachsen, der noch nie seinen Fuß auf den Boden Amerikas oder Afrikas gesetzt hatte, kamen zusammen. Den Anfang machte während Mays Orientreise die Frankfurter Zeitung mit einer wochenlangen Polemik Fedor Mamroths, ihrem Feuilletonchef: Hier verbinde sich süßlich-frömmelnde Propaganda für den wahren Glauben mit einem Kultus der Unwahrheit, mit gefährlichen Einflüssen auf die Jugend, gesunde Rohheit mit tendenziöser Verherrlichung des bigotten Christentums. Für Mamroth ist May keine erfreuliche Kulturerscheinung. Für den abwesenden Reisenden werfen sich Fehsenfeld und der Freund Plöhn, der Ehemann von Mays späterer zweiter Frau Klara, nicht gerade geschickt in die Bresche. Das heizt die Kontroverse eher noch an. May wird zum Prototyp für gefährliche Jugendliteratur. In Auseinandersetzungen mit seinem früheren Verleger, dem Kolporteur Münchmeyer, wird kontrovers, dass er angeblich unsittliche Werke geschrieben habe. May bestreitet das. Gerichtliche Prozesse sind die Folge. May muss sich gegen den Vorwurf wehren, er habe früher sittenlose Werke, später aber scheinbar fromme, konfessionell ausgerichtete Bücher geschrieben, seinem Publikum immer etwas vorgeschwindelt und sich auf einem literarisch niedrigen Niveau zum Nachteil der gläubigen Jugend bewegt.

Der Abwehrkampf ist über Jahre hinweg von einem Auf und Ab, aber nach der Jahrhundertwende von einer Reihe von schweren Niederlagen geprägt. Das gilt für den Autor wie für den Verleger gleichermaßen. Fehsenfeld ist von vornherein nicht von Mays neuer literarischer Sendung überzeugt. Er erhofft sich vergeblich erfolgreiche Reiseerzählungen nach früherer Machart. Und jetzt muss er Ende 1900 erst einmal einen lyrischen Sammelband „Himmelsgedanken“ verlegen. „Im Reiche des silbernen Löwen“, mit dem die neue symbolistische Schaffensperiode so richtig beginnt, kommt nicht an die früheren Bestseller heran. Und jetzt müssen auch Verteidigungsschriften verlegt werden: „Karl May als Erzieher“, „Die Wahrheit über Karl May“ oder auch „Die Gegner Karl Mays in ihrem eigenen Lichte von einem dankbaren Karl May-Leser“. Hier schreibt im Jahre 1902 allerdings abermals May unter Pseudonym und in eigener Sache.

VI. Freund und Feind: Karl May – Sascha Schneider. Karl May – Rudolf Lebius

Mays Freundschaft mit dem Weimarer Künstler und Klinger-Schüler Sascha Schneider soll die „höhere Bewegung“ des Schriftstellers im Bilde beglaubigen. Die Werke sollen nach dem Wunsche Mays ein „höheres Aussehen“ bekommen: Einbanddecken als „Buchschmuck von so begnadeter Künstlerhand“ begeistern den Autor, weniger den Verleger. Die Mappe mit den Titelbildern verkauft sich ebenso wenig wie die entsprechend ausgestatteten Werkausgaben. Fehsenfeld schreibt an Sascha Schneider: May werde als Jugendschriftsteller betrachtet und als solcher gelesen. Mays Wunsch, als Bühnenautor zu reüssieren, scheitert. Sein Drama „Babel und Bibel“ wird weder aufgeführt noch ist es ein Bucherfolg. Fehsenfelds Situation ist nicht beneidenswert. Der Vertrag von 1895 verpflichtet ihn, jede neue Auflage schon voll zu honorieren, bevor ein Exemplar verkauft ist.

Seit 1904 tobte in der Öffentlichkeit eine weitere Kontroverse. Der ehemalige Sozialdemokrat, der Vertreter der gelben Gewerkschaften Rudolph Lebius, entwickelt sich zu einem gefährlichen Gegner Mays. Mit einer brisanten Mischung aus Enthüllung und Verleumdung gelingt es, in Prozessen und in einer Reihe von Zeitungs- und Buchpublikationen Mays Vergangenheit zu enthüllen. In zeitweiliger Kooperation mit Mays erster, seit 1902 geschiedener Frau Emma wird die Vergangenheit des Schriftstellers in die Öffentlichkeit getragen: Karl May wird als „geborener Verbrecher“ bezeichnet, seine frühen Delikte, seine Vorstrafen geraten ins Blickfeld. So sieht sich May um 1900 in rund 100 Prozessverfahren verstrickt.

Fehsenfeld, seinem Autor treu, auch wenn er seine Wandlungen kaum oder gar nicht nachvollziehen kann, plant 1906 eine neue illustrierte Ausgabe der Erzählungen. 1907 kommt es zu einer Kündigung des Verlagsvertrages, 1908/1909 einigt man sich wieder. Der neue Verlagsvertrag ist, wie Krais seinem Cousin Fehsenfeld nachweist, wiederum zum Nachteil des Verlegers. Doch man bleibt beieinander.

VII. Auflagen und Ausgaben bei Fehsenfeld

Mays Werke haben zwar nach 1907 bis 1910 höhere Auflagenziffern, weil in dieser Zeit neben der kleinformatigen Standardausgabe die blauen illustrierten Ausgaben erscheinen. Doch die Verkäufe sind weiterhin nicht gut. Das liegt daran, dass die Prozesse namentlich mit Lebius sich als wirksame Verleumdungskampagnen erweisen. Schließlich verbietet der einflussreiche Borromäusverein den Ankauf seiner Werke. 1910 muss May mit dem immer mehr ins Minus geratenden Fehsenfeld eine neue Honorarregelung treffen: Er bekommt nicht mehr 50 Pfennige pro Band, sondern 35 bis auf Widerruf. Bei Fehsenfeld erscheint Mays Autobiografie „Mein Leben und Streben. Band 1“. Aber eine einstweilige Verfügung, von Lebius erwirkt, stoppt den Band gleich Anfang 1911.

1911 werden noch 77.000 Bände neu gedruckt, 1911 sind es nur noch 36.000, und die Talfahrt geht weiter. 1911 finden Prüfungen und Verhandlungen statt, der Leipziger Verleger Grethlein & Co., Curt Hauschild, soll den Verlag von Fehsenfeld übernehmen. Aber die Verhandlungen scheitern, wohl an Fehsenfelds Kaufpreisforderungen.

May, durch prozessuale Siege, vor allem gegen Lebius, wieder erstarkt, stirbt im Frühjahr 1912. Fehsenfeld kündigt sogleich eine bearbeitete Ausgabe von „Mein Leben und Streben“ an. Aber auch diese Ausgabe wird, diesmal von Mays früherem Prozessgegner, Rechtsanwalt Oskar Gerlach, 1912 verhindert. Ende Dezember wird die Ausgabe vom Landgericht Dresden doch wieder frei gegeben.

VIII. Fehsenfeld, der Nachlass und die Gründung des „Stiftungsverlages“ – von Freiburg nach Radebeul

Klara May, von May als Alleinerbin in einer komplizierten Testaments- und Erbfolgeregelung 1902 und 1908 eingesetzt, kündigte, kaum drei Monate nach Mays Tod, den Verlagsvertrag mit Fehsenfeld. Sie nahm mit Euchar Albrecht Schmid Kontakt auf, der zu May schon seit einigen Jahren gute Beziehungen unterhielt und als Redakteur bei der Allianz in Stuttgart tätig war. Mays Testament sah vor: Klara May wird Alleinerbin.

Eine Karl-May-Stiftung soll Einkünfte aus seinen Werken notleidenden Autoren zukommen lassen. Sollte Klara May wieder heiraten, soll das Erbe der Stiftung zufallen. Die Nachlass-Situation ist kompliziert. Fehsenfeld, ohnehin stark belastet, durch Umsatzrückgänge und schwer verkäufliche Lagerbestände zusätzlich an einem Befreiungsschlag interessiert, einigt sich mit Klara May und Euchar Schmid in einem Vertrag: Am 1. Juli 1913 kommt es zur Gründung des Verlags der „Karl-May-Stiftung Fehsenfeld & Co. OHG“ mit Sitz in Radebeul. Geschäftsführer wird Euchar Schmidt, Klara May bringt ihre Autoren-Rechte und ein nominelles Kapital ein, Fehsenfeld das Buchlager und die Verlagsrechte. Eine genaue Analyse des Vertragswerks zeigt die Interessenlagen: Klara May geht es um eine Weiterführung der Ausgaben. Sie erwartet von Fehsenfeld, zu dem sie jedenfalls in den letzten Jahren kein gutes Verhältnis mehr hatte, für die Zukunft wenig. Sie lässt Euchar Schmid weitgehend freie Hand, obwohl sich in der Folge erhebliche Kontroversen ergeben sollten. Fehsenfeld will das Obligo loswerden und Investitionen kassieren. Das lässt sich aus dem OHG-Vertrag gut ablesen, auch die Bewertung der Buchbestände. Letztlich ist das kein Stiftungsvertrag im Sinne von Mays Regelung. Klara May geht es um das Erbe und die Rehabilitierung Mays. Sie ist nicht zimperlich, wenn es um Bearbeitungen geht oder um Verfälschungen der Biografie, um Vernichtung von belastenden Akten. Schon die Bezeichnung und der Inhalt waren trickreich, denn als Stiftung konnte dieser Stiftungsverlag nicht gelten. Ich übergehe die komplexen Rechtsprobleme. Denn am 1.1.1915 wird aus diesem Projekt der Karl-May-Verlag Fehsenfeld & Co. GmbH in Radebeul. Unabhängig davon besteht die May-Stiftung, die aber keine besondere Bedeutung erlangt.

IX. Fehsenfeld in Freiburg

Der May-Verlag in Radebeul Fehsenfeld betreibt seinen Verlag in Freiburg weiter. Er wird, wie es der Vertrag mit ihm vorsieht, nach und nach ausbezahlt, er scheidet aus dem Radebeuler Unternehmen 1921 aus. 1933 nach seinem Tode wird der Verlag an den List-Verlag verkauft.

Im Freiburger Fehsenfeld-Verlag erscheinen noch Bände aus der Reihe „Die Welt der Fahrten und Abenteuer“, vor allem Kiplings „Dschungelbuch“, bis 1931 in einer Auflage von 120.000, die Zeitschrift „Alemannia“, Werke seines Schwiegersohnes Konrad Günther, ein früher engagierter Naturschützer. Aber die Geschichte des Verlages nach 1912 ist für das Werk Mays und für das Verhältnis des Autors zu seinem großen erfolgreichen Verleger seit 1891 nicht mehr von Belang, auch nicht regionalgeschichtlich.

X. May und Fehsenfeld im literarischen Feld. Ein Fazit

Wie lässt sich die Position der beiden Protagonisten im literarischen, im kultuellen Feld abschließend beschreiben? Wie verhält sich Karl May, wie verhält sich Fehsenfeld, wie entwickelt sich ihre Beziehung? Gewiss ist die persönliche Beziehung von Belang. Sie lässt sich aus dem Briefwechsel gut ablesen. Mich interessiert – wie auch bei den Verlagen Münchmeyer, Spemann, Pustet – die Entwicklung der Position im Verhältnis Autor-Verleger innerhalb des literarischen Feldes. Das ist zunächst die Kolportage. Rechts-, buch- und verlagsgeschichtlich ist die Kolportage und ihr Vertrieb eine wichtige Basis für Mays Existenz und seinen Aufstieg als Autor gewesen. Das System des Lieferungsvertriebs im Abonnement bot den Verlegern eine solide Kalkulationsbasis. Sie erreichten außerdem neue Käuferschichten, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch ländliche und kleinstädtische Mittelschichten, Angehörige der Unterschichten in Industrie und häuslichen Diensten. Periodika wurden über Kolportage vertrieben, zum Beispiel „Gartenlaube“, „Über Land und Meer“, neben Sammelwerken vor allem auch speziell für die Kolportage hergestellte Artikel wie Kalender und Kolportageromane. Die Vertriebsstrategie war geschickt: Gratisexemplare zu Anfang, dann sinkende Zahlen kostenloser Exemplare. Die Autoren wurden bescheiden entlohnt. Auch May musste sich trotz Begabung, immensen Fleißes und unerschöpflicher Fantasie, seiner profunden Leserkenntnis mit Zeilen- und Seitenhonoraren mehr schlecht als recht durchschlagen. Das umfasst die Periode 1875 bis 1891. Darin unterscheidet er sich nicht vom Gros der Autoren in diesem Feld.

May gehört zu den Autoren, deren Fortsetzungsromane zunächst in Familienblättern erfolgreich waren. Prototyp ist zum Beispiel die „Gartenlaube“. Der „Deutsche Hausschatz“ auf der katholischen Seite wird in den 90er-Jahren mit 30.000 relativ hohe Auflagenzahlen erreichen. Reinhard Wittmann kommt bei der Analyse des Buchmarkts der Gründerzeit zu dem Fazit: „Der Trend zum Trivialen verband das kolportagekonsumierende Dienstmädchen mit dem preußischen König – ein eindrucksvoller Beweis für die Homogenisierung des literarischen Geschmacks, die kulturelle Assimilation aller Schichten, und, wenn man will, auch für die ,Demokratisierung‘ des Lesens“. Die Kolportage als Vertriebsinstrument spielt eben anfangs bei Fehsenfeld noch eine bedeutsame Rolle. Das Produktionsvolumen im Buchwesen steigt in den 90er-Jahren erheblich an. Der Buchmarkt teilt sich ins sogenannte Kultur- und Massenbuch. Konzentrationen finden statt: Kröner in Stuttgart übernimmt die „Gartenlaube“, dann Cotta, Schönlein, dann 1890 auch Spemann und 1890 wird daraus die Union DVA AG. Fehsenfeld beweist seinen verlegerischen Instinkt auch mit seinen Entscheidungen für anderen interessante, vor allem ausländische Autoren. Aber die Vertrags- und Verlagskonstruktion mit May bringt ihn nach der Jahrhundertwende an den Rand des Ruins. (Dass er wie mir sein Enkel Ekke Günther berichtet hat, die Inflation nicht verstand, falsche Entscheidungen traf und zudem mit seinen Grundstücksspekulationen in Freiburg und Umgebung vielleicht nicht immer die glücklichste Hand hatte, ist ein anderes Thema.)

Als Verleger war er gewiss nicht der größte in Baden, auch nicht von Dauer kein Vergleich zum langen Atem etwa der Verlage Herder oder C. F. Müller, aber immerhin einer derjenigen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt und mit einer glücklichen, grandiosen Entscheidung für May und dessen Werke einen Grundstein gelegt haben für einen nach hunderttausenden und inzwischen nach Millionen zählenden weltweiten Weg eines Autors. May und Fehsenfeld: Das war eine für wenige Jahre dauerhafte beispiellose Erfolgsstory. Daran hatte Fehsenfeld sicherlich über viele Jahre hinweg keinen geringen, meines Erachtens lange unterschätzten Anteil. Über die Wandlungen der Positionen im literarischen Feld hinaus hat sich posthum durch das verlegerische Genie Euchar Schmids, kein Kurzstrecken-, sondern ein Marathonläufer-Werk, eine neue Verlagsdynastie und eine andere Rezeption von May entwickelt. Doch das ist ein neues Thema, welches das May-Jahr 2012 noch in mancher Beziehung beschäftigen wird.