Ein zuweilen starrsinniges Beharren auf Unabhängigkeit

In bislang ausführlichster Weise berichtet der 2011 verstorbene Literaturwissenschaftler Heinz Ludwig Arnold über seine Zeit mit Ernst Jünger

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heinz Ludwig Arnold (1940-2011), Gründer und Herausgeber der Literaturzeitschrift „Text + Kritik“ und des „Kritischen Lexikons zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“ hat sich als Experte der deutschen Nachkriegsliteratur einen Namen gemacht.

In den vorliegenden „Wilflinger Erinnerungen“, die zudem von 35 charakteristischen Briefen Ernst Jüngers an Arnold ergänzt sind, berichtet er in bislang ausführlichster Form über seine Erlebnisse mit Ernst Jünger. Von 1961 bis 1964 war Arnold als junger Student während seiner Semesterferien Privatsekretär bei Ernst Jünger, ähnlich, wie es in den 1950er-Jahren zunächst Armin Mohler und später Albert von Schirnding gewesen waren. Heinz Ludwig Arnold erzählt in sehr persönlicher und ansprechender Weise, wie er als junger Leser an Schriften von Ernst Jünger geraten und wie es dazu gekommen war, dass sich ihre Wege kreuzen sollten.

Vor allem Jüngers Denkfigur der „Schleife“ hatte es ihm bereits als Gymnasiasten angetan und ihn dazu geführt, Jünger direkt anzuschreiben. Von der „Schleife“ war eine geheimnisvolle Faszination ausgegangen. Ihre „höhere Art, sich den empirischen Widersprüchen zu entziehen“, ließ sich nicht auf einen klaren Nenner bringen. Ergänzend dazu beobachtet Arnold an anderer Stelle bei Jünger zudem auch eine Art Naivität, die mit einer bewussten Ausblendung unliebsamer Wahrnehmungen einherging.

Die Jahre der Begegnungen mit Ernst Jünger wirkten prägend auf Heinz Ludwig Arnold und führten nicht zuletzt zum Entschluss, das Studium der Rechtswissenschaft mit jenem der Literaturwissenschaften einzutauschen: „In Wilflingen erlebte ich an Ernst Jünger das Vorbild eines unabhängigen Lebens, das Leben eines freien Menschen, einer, damals durchaus pathetisch so empfundenen: freien geistigen Existenz“.

Diese Erinnerungen aus erster Hand halten auch für Jünger-Experten manch neue Aspekte bereit. Während eines Abends im Herbst 1961 waren sie in der Literaturzeitschrift „Akzente“ auf Gedichte von Günter Grass und Hans G. Helms gestoßen, die sich für beide ausschließlich in Form „Literarischer Scherze“ rezipieren ließen. Gemeinsam verfassten sie Persiflagen, die dem „Akzente“ Verleger Carl Hanser zugeschickt wurden. Der reagierte schriftlich und entschuldigte sich gleichsam für den Abdruck „solcher literarischer Exzesse“.

Aussagestark ist auch Arnolds Erinnerungskapitel über Richard Scheringer (1904-1986), einen ehemaligen Reichswehroffizier und späteren kommunistischen Aktivisten. Jünger hatte zeitlebens die Freundschaft zu dieser eigenwilligen Persönlichkeit gewahrt. Arnold verschweigt auch sein Befremden über manche Züge Jüngers nicht, vor allem dessen zuweilen „manchmal bis zum Starrsinn ausgebildeter Stolz und sein Beharren auf Unabhängigkeit“. Gerade weil Heinz Ludwig Arnold sowohl an seiner frühen Jünger-Begeisterung teilhaben lassen kann, als auch seine spätere Abnabelung samt einiger Befremdungen offen zu reflektieren vermag, entsteht ein authentisches und somit menschliches Porträt des oftmals umstrittenen Autors Ernst Jünger.

Die abgedruckten Briefe Ernst Jüngers an Heinz Ludwig Arnold aus dem Zeitraum zwischen 1960 und 1980 ermöglicht Einblicke in dessen Lebens- und Denkgewohnheiten, an denen er den fast fünfzig Jahre jüngeren Arnold teilhaben ließ. Neben politischen Auslassungen spricht Jünger auch offen über seine Einschätzungen bezüglich verschiedenster Anliegen mancher Korrespondenten.

Jüngers geradezu demonstrative Distanz zum Literaturbetrieb mag zuweilen auch dem Stolz eines Verschmähten geschuldet sein. Andererseits blickte Jünger auf eine langjährige, wie er es nannte „Autorschaft“ zurück, die sich nicht immer unkompliziert gestaltete. Aufrichtig verabscheute er „Figuren, wie sie nach verlorenen Kriegen auftauchen und auf Kosten derer, die den Kopf hinhielten, daraus Profit ziehen“.

Öffentliche Einlassungen wie jene des Literaturwissenschaftlers Walter Jens, dass Jünger nur deshalb nicht mit den Nationalsozialisten gegangen sei, da diese über schlechte Manieren verfügten, trafen ihn mehr, als er zuzugeben bereit war. Zumal er im Unterschied zu Jens, dem die schlechten Manieren scheinbar nicht hinderlich waren, niemals Parteigänger oder Mitglied der NSDAP gewesen war.

In der Veröffentlichung eines Auszuges seines gesamten Briefwechsels mit Ernst Jünger gibt Arnold auch politisch unkorrekte Einblicke frei. Jünger konnte in seinen Wertungen zuweilen kräftig austeilen. Als Gefolgsmann schlichten Leugnens monströser historischer Sachverhalte stand er hingegen nie zur Verfügung. Er hatte sich als Anhänger einer soldatischen Gesinnung gefühlt, der Niedertracht fremd war.

Titelbild

Heinz Ludwig Arnold: Wilflinger Erinnerungen. Mit Briefen von Ernst Jünger.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012.
144 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783835310704

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch