Eine starke Frau und Führerin oder eine narrativ demontierte Autorität?

Thomas Herrigs Buch über Frauen in „Star Trek“ und den Feminismus könnte den Applaus der Fan-Gemeinde gewinnen. Wissenschaftlichen Kriterien hält es jedoch nicht stand.

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit Richard Hoggart 1964 in Birmingham das „Centre for Contemprory Cultural Studies“ gründete und der damals dort tätige noch wenig bekannte Soziologe Stuart Hall dem Forschungsansatz und somit sich selbst zu weltweiter Anerkennung verhalf, sind populärkulturelle Erzeugnisse kein exotischer Forschungsgegenstand mehr. Auch nicht die Science Fiction, auch nicht Fernseh-Serien. Und so auch nicht „Star Trek“.

Nun hat Thomas A. Herrig unter dem Titel „…wo noch nie eine Frau zuvor gewesen ist…“ ein Buch zu – wie es im Untertitel heißt – „45 Jahren Star Trek und der Feminismus“ vorgelegt. Ob er sein Buch den Cultural Studies oder überhaupt der wissenschaftlichen Forschung zugerechnet wissen möchte, ist jedoch fraglich. Dass der Klappentext „erstaunliche Erkenntnisse“ und „Insider-Wissen“ in Aussicht stellt, verweist eher auf ein an andere Trekkies gerichtetes Sachbuch eines „Star Trek“-Fans als auf ein wissenschaftliches Fachbuch. Gleichwohl spricht der Autor davon, dass das Objekt seines Interesses – „die schrittweise Entwicklung der Frauenrollen innerhalb des Gesamtkonzepts der sechs Serien“ – von ihm „untersucht“ werde, was ja ein durchaus wissenschaftliches Anliegen ist. Darüber hinaus verspricht er zu klären, „ob und inwieweit das Medienphänomen ‚Star Trek‘ Frauen überall auf der Welt und auch deren Rollenbilder beeinflusst hat“, und „anhand der chronologisch geordneten Entwicklung der Star-Trek-Serien auch einen Teil der Emanzipationsgeschichte der Frau nachzuvollziehen.“ Das alles zusammen könnte das Thema einer veritablen Dissertation sein. Hier hat aber kein Wissenschaftler geschrieben, sondern ein Fan, wie schon auf den Anfangsseiten deutlich wird, wenn Herrig von „Star Trek“ als einer „großartigen Vision einer friedfertigen, toleranten und weiterentwickelten Menschheit und deren Zusammenleben mit anderen Völkern in der Zukunft“ schwärmt, in der „im Allgemeinen“ sowohl weibliche „Haupt- als auch Nebenrollen als gleichermaßen intelligente, selbständige und fähige Wesen gezeigt“ werden, „die ihren männlichen Kollegen in nichts nachstehen“.

Andreas Rauscher preist das Buch im Vorwort zwar dafür, dass es „eine wesentliche Lücke in der deutschsprachigen Literatur zu Star Trek“ schließe, doch bleibt er sicherlich nicht von ungefähr vage, welcher Art Literatur hier eine Lücke geschlossen werden soll. Forschungsliteratur kann es sicherlich nicht sein. Auch mangelt es den vom Klappentext versprochenen „erstaunlichen Erkenntnissen“ jeglicher wissenschaftlicher Validität. Die Kenntnisse über die Frauenbewegung sind bruchstückhaft und kaum mehr als oberflächlich zu nennen. So wird etwa in der Tabelle „Die Phasen der Frauenbewegung im Überblick“ für die „Zweite Welle“ die Zeitspanne „1950er/1968“ angegeben und die „endgültige Verwirklichung der Frauenrechte“ in der „Dritten Welle 1990er Jahre“ ausgemacht. Immerhin wird im Text selbst etwas anders datiert und auch die Verwirklichung der Frauenrechte wird nicht mehr so ohne weiteres als endgültig deklariert.

Als autoritativ zu zitierende Quellen dienen Herrig insbesondere diverse lexikalische DVDs und kunterbunt gemischte Internet-Seiten von planet-wissen.de über hausarbeiten.de bis hin zu wikipedia.de. Derlei stünde einer wissenschaftlichen Arbeit schlecht zu Gesicht. Hinzu kommt, dass die Quellenangaben oft unzulänglich sind. Unter Berufung auf „(Hardy, 2009/II)“, eine Angabe, die im „Literatur- und Quellenverzeichnis“ näher als „Hardy, Jörg. 2009/II. Vernunft [DVD9 s.l.: © 1993-2008 Microsoft Corporation 2009/II.“ ausgewiesen wird, behauptet der Autor etwa über die „Raumschiffgemeinschaft“ in der „Welt von Star Trek“: „Der Kant’sche Vernunftgedanke spiegelt sich vor allem in deren Handeln wieder – alle Entscheidungen werden versucht, in ihrem speziellen und gleichermaßen im universellen Zusammenhang zu begreifen.“ Wo sich auf der DVD eine diese Behauptung stützende Information finden lässt, müssen die Lesenden selbst herausfinden. Auch erschließt sich keineswegs, welcher Teil der Aussage überhaupt durch den Quellenverweis autorisiert werden soll.

Gedruckte Quellen – seien es Monografien oder Aufsätze – werden von Herrig nur ausnahmsweise einmal herangezogen. Dies ist dem (wissenschaftlichen) Wert seiner Veröffentlichung besonders abträglich, da somit etliche wichtige Forschungsarbeiten unberücksichtigt bleiben, deren Befunde denjenigen des Autors widersprechen. Denn gerade mit ihnen müsste er sich auseinandersetzen, sie weiterführen, wenn nicht gar widerlegen, wollte er denn wirklich Erkenntnisse bieten, die wie angekündigt, „erstaunlich“ oder überhaupt nur neu wären. Doch bleibt etwa Karin Lenzhofers negative Interpretation der von Herrig als „wohl selbstbestimmteste und stärkste aller Voyager-Frauen“ gepriesene und auch sonst unter Trekkies weithin beliebte Figur Seven of Nine ebenso unberücksichtigt wie die „Star Trek“-Arbeiten von Uta Scheer, in denen sie die „geschlechtliche Codierung“ Sevens als „subtil und perfide“ analysiert und ganz grundsätzlich bezweifelt, dass die „Star Trek“-Serien „Deep Space Nine“ und „Voyager“ „neue Geschlechterwelten“ zu bieten haben. Ganz ähnlich verhält es sich mit Herrigs Lobeshymne auf die Voyager-Kommandantin Kathryn Janeway, der er als „Inbegriff einer starken Frau und Führerin“ huldigt, die „ihre Aufgaben als Kommandantin problemlos“ erfülle. Eine Auseinandersetzt mit dem Herrigs Lob diametral entgegengesetztem Befund in Nadja Sennewalds Studie „Alien Gender“ unterbleibt. Janeways „Autorität“ als Kommandantin, konstatiert Sennewald dort, werde in der Serie „laufend narrativ demontiert“.

Nun läge die Vermutung nahe, Herrig lasse ganz gezielt „Star Trek“-kritische Druckwerke der Forschung außer Acht. Dem widerspricht allerdings, dass er auch Andrea zur Niedens durchaus sympathisierenden Aufsatz über die „Sexualisierung von Cyborgs in Star Trek“ nicht heranzieht, dessen Autorin im Schlusswort bemerkt, dass sie die Figur Seven of Nine ungeachtet dieser oder jener Kritik letztendlich mag. Auch ist es keineswegs so, dass Herrig sich selbst jeden kritischen Blick auf die Weiblichkeitskonstruktionen und die Frauenfiguren der Serien versagen würde. So hält er etwa dem zwischen 2001 und 2005 entstandenen Prequel „Star Trek: Enterprise“ vor, dass sich dessen „Frauenbild“ gegenüber früheren „Star-Trek-Serien“ zurückentwickelt hat.

Aufgrund seiner mangelhaften Rezeption der Forschungsliteratur und der einem wissenschaftlichen Verfahren nicht genügenden Zitierpraxis sowie der wahllosen autoritativen Bezugnahme auf beliebige Internetquellen ist Herrigs Buch als wissenschaftlicher Beitrag zum Thema nicht von Belang. Dies mag allerdings vom Autor auch gar nicht intendiert sein. Weit eher denn als Forschungsbeitrag ist es jedenfalls als Untersuchungsobjekt von Arbeiten zur Erforschung der Trekkie-Fankultur denkbar.

Titelbild

Thomas A. Herrig: …wo noch nie eine Frau zuvor gewesen ist…. 45 Jahre Star Trek und der Feminismus.
Tectum Verlag, Marburg 2011.
206 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783828825673

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