Zu dieser Ausgabe

Mit Hermann Hesse ist es seltsam. So gut wie alle haben ihn in ihrer Jugend einmal begeistert gelesen, erinnern sich aber nur noch dunkel an seine Werke, die sie damals verschlangen – und wollen mit dem Autor später lieber gar nichts mehr zu tun haben. Das scheint auch vor Hesses Tod am 9. August 1962 schon so ähnlich gewesen zu sein – jedenfalls, wenn man an das Beispiel Arno Schmidts denkt. Der war noch Mitte der 1930er-Jahre ein glühender Verehrer Hesses gewesen und hatte dem Vorbild drei erste eigene Gedicht-Versuche in die Schweiz geschickt, auf die er als Antwort einen freundlichen, knappen Gruß erhielt. 1950 aber sandte Schmidt aufgrund einer ihm nicht wohlwollend genug erscheinenden Rezension seiner ersten Publikation „Leviathan“ (1949) durch Hesse, die als freundliche Hilfestellung für den Nachwuchsschriftsteller gedacht und durch den Verleger Ernst Rowohlt angebahnt worden war, eine bitterböse Postkarte nach Montagnola. Und zwar mit der folgenden distanzierten Beurteilung Hesses, noch dazu formuliert in der dritten Person Singular: „Zweierlei fehlt ihm: naturwissenschaftliche Kenntnisse und das Erlebnis folgender Urphänomene: Soldat sein müssen, Krieg, Gefangenschaft, Hunger.“

Das klingt nicht nur anmaßend, sondern auch nach der für die Zeit so typischen Nachkriegs-Rhetorik – nämlich nach einer an die späteren literarischen Selbstinszenierungen Alfred Anderschs erinnernden Täter-Opfer-Umkehr. Nicht zuletzt gleicht Schmidts Angriff den typischen Exil-Ressentiments der Autoren der sogenannten „Inneren Emigration“, wie sie Frank Thiess 1945 gegenüber Thomas Mann geäußert hatte: „Sie, Herr Hesse, hatten es sicher ganz schön im Tessin“, raunzt Schmidt dem Literaturnobelpreisträger von 1946 mit seiner Karte sinngemäß zu, „während arme Schlucker wie ich Opfer von ‚Urphänomenen’ wie Adolf Hitler wurden, gegen die nichts auszurichten ist, die man aber aus nächster Nähe miterlebt haben muss, um ehrliche Literatur schreiben zu können, die so ‚exakt‘ und ‚wahrhaftig‘ wie die Naturwissenschaft verfährt“.

Angesichts dieser Form von Polemik wird einem Hesse, der in seinem Leben viel blumige und kitschige Literatur verfasst haben mag, schon wieder sympathisch. So selbstgewiss wie Arno Schmidt gab er sich jedenfalls nie: „Aller Humor fängt damit an, dass man die eigene Person nicht mehr ernst nimmt“, heißt es in Hesses Roman „Der Steppenwolf“, den Schmidt sogar sehr geschätzt haben muss. Davon zeugte selbst seine besagte Karte, in der es am Ende allerdings ganz und gar nicht humorvoll, sondern eher im schnippischen Ton des Beleidigten und unter Aufrufung des Protagonisten des Hesse-Textes von 1927 heißt: „Ich verbleibe mit tiefer Ehrerbietung für Harry Haller (der mich wohl anders angesehen hätte). Ihr sehr ergebener Arno Schmidt.“

Die August-Ausgabe von literaturkritik.de nimmt den 50. Todestag Hesses zum Anlass, an den Autor von Romanen wie „Unterm Rad“ (1906), „Demian“ (1919) oder auch „Narziß und Goldmund“ (1932) zu erinnern. Neue Biografien zu Hesse sowie Wiederauflagen seiner Werke laden zur Relektüre oder auch zur Entdeckung eines Autors ein, der ähnlich wie Heinrich Böll als absolut ‚uncooler‘ deutschsprachiger Literaturnobelpreisträger gilt, im Gegensatz zu Böll aber immer noch gelesen wird. Zumindest zeugt davon die aktuelle Aufmerksamkeit, die Hesse zum Jubiläum entgegengebracht wird und zu der wir mit unserem Themenschwerpunkt unseren Beitrag leisten möchten.

Herzliche Grüße
Ihr
Jan Süselbeck