Vom Tod und der Sprache

In dem Gesprächsband „Das giftige Herz der Dinge“ redet Michel Foucault über seine Beziehung zum Schreiben

Von Jasmin Marjam Rezai DubielRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jasmin Marjam Rezai Dubiel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kurz nachdem „Die Ordnung der Dinge“ erschienen ist, lässt sich Michel Foucault im Jahr 1968 auf eine experimentelle Unterhaltung mit Claude Bonnefoy ein. In dem aufgezeichneten Gespräch Foucaults mit dem Kritiker äußert sich der engagierte Philosoph über sein persönliches Verhältnis zum Schreiben, zur Medizin und zum Tod. Philippe Artière bringt nun diese unabgeschlossene Aufzeichnung des intimen Interviews heraus. Damit eröffnet er uns den Blick auf einen ganz anderen, verletzlichen Foucault.

Im Mittelpunkt der Abschrift steht Foucaults Beziehung zur Sprache, die von seiner Kindheit an von einem die Sprache abwertenden Diskurs geprägt war: dem medizinischen. Aufgewachsen in einer Mediziner-Familie beschreibt Foucault, wie seine Sprache durch diese Prägung beeinflusst worden ist. Die Besonderheit der Sprache ist ihm – wie der Philosoph betont – erst durch seinen Aufenthalt in Schweden bewusst geworden. Die dort erfahrene Ort- und Sprachlosigkeit werfen ihn gerade auf diejenige Sprache zurück, die er seit seiner Kindheit gelernt hat. Es ist dieses Erlebnis, das ihn dazu gebracht habe, die Sprache wiederzubeleben und sich „ein kleines Haus aus Sprache zu bauen“. Trotz dieser Erfahrung beschreibt Foucault den Prozess des Schreibens zunächst als etwas Leichtes, nicht als etwas Ernsthaftes. Wie auch schon in seinen Werken wie „Die Geburt der Klinik“ deutlich geworden ist, spielt der medizinische beziehungsweise chirurgische Blick für den Philosophen eine wichtige Rolle, und das gerade im Hinblick auf die Literatur und das Schreiben. Während die medizinische Rede nur von einer kargen Sprache zeugt, indem sie Diagnosen stellt und Rezepte verschreibt, ersetzt die literarische Tätigkeit den pragmatischen, der Effizienz verpflichteten medizinischen Diskurs durch die Ineffizienz der freien Äußerung. Das Unausgesprochene in seiner Fremdheit und Differenz offenzulegen, ist der Anspruch des erschöpfenden Schreibens Foucaults. Dem Schreiben eignet auf diese Weise der chirurgische Blick der Medizin. Das Vergnügen zu schreiben, steht nach Foucault zwangsläufig in Zusammenhang mit dem Tod. Beim Schreiben setze er sich zwangsläufig mit dem Tod der anderen auseinander, denn dem Schreiben entspreche der chirurgische Vorgang des Sezierens, dem Erforschen des Inneren mit dem Ziel, das giftige Herz der Dinge im Inneren freizulegen.

Im weiteren Verlauf des Gespräches, in dem er noch einmal auf die Rolle des Wahnsinns eingeht – dem Leser schon durch seine Studie „Wahnsinn und Gesellschaft“ bekannt –, kommt er schließlich auf seine Emotionen zu sprechen, die den Schreibprozess begleiten. Kennt man Foucault vor allem als kühnen Beobachter der Wirklichkeit, zeigt sich hier ein leidenschaftlicher und verletzbarer Autor. Er verleiht seiner literarischen Tätigkeit eine existentielle Dimension, indem er sein Glück an die literarische Produktion bindet, die stets von einer unbestimmten Angst begleitet ist. Er äußert sich zudem über seine Intentionen, zu schreiben. Vor dem Hintergrund einer sorgenvollen und langweiligen Welt wird das Schreiben zu einer Flucht vor der Wirklichkeit, die ihm Schutz bietet und seine eigene Persönlichkeit verbirgt. Gleichzeitig verweist er auf die Verpflichtung des Schreibenden (écrivant) – im Gegensatz zum fantasievollen Schriftsteller (écrivain) nach Roland Barthes’ Definition – der als Seismograf der sonst verborgenen Wahrheiten der gesellschaftlichen Wirklichkeit dient. Als er auf das beeindruckende Gemälde „Las Meninas“ von Velasquez zu sprechen kommt, bricht die Aufzeichnung des Gesprächs abrupt ab.

Die Abschrift des Gesprächs vermittelt dem Leser einen überaus spannenden Einblick in Foucaults Innerstes. Die Beschreibungen seiner Kindheit, die Beziehung zum Schreiben und zur Chirurgie sowie die Parallelen zwischen Schreiben und Tod bilden die Kernthemen des experimentellen, frei geführten Dialogs. Wer sich schon mit den theoretischen Schriften Foucaults und seiner Lebensgeschichte auseinandergesetzt hat, den belohnt diese das Leben und Werk des Philosophen komplettierende Abschrift mit einem Ausflug in die inneren Abgründe des faszinierenden Denkers.

Titelbild

Michel Foucault: Das giftige Herz der Dinge. Gespräch mit Claude Bonnefoy.
Übersetzt aus dem Französischen von Franziska Humphreys-Schottmann.
Diaphanes Verlag, Zürich 2012.
80 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783037342220

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